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Arzneiverordnungsreport 2018

Hochpreistrend reißt nicht ab

2017 haben die Krankenkassen 39,9 Milliarden Euro für Arzneimittel ausgegeben. Das sind rund 3,7 Prozent mehr als im Jahr davor, wie aus dem aktuellen Arzneiverordnungsreport (AVR) hervorgeht. Schuld daran sind demnach vor allem teure patentgeschützte Medikamente. Sparvorgaben der Politik griffen bei diesen Präparaten schlichtweg zu kurz, kritisierten die AVR-Autoren heute in Berlin.
Stephanie Schersch
20.09.2018  14:06 Uhr

Allein für patentgeschützte Arzneimittel zahlten die Kassen im vergangenen Jahr 18,5 Milliarden Euro. Ihr Umsatzanteil sei damit von 33 Prozent vor 20 Jahren auf heute 45 Prozent gestiegen, sagte Professor Ulrich Schwabe, Mit-Herausgeber des Reports. 24 der 34 neuen Medikamente im Jahr 2017 verursachten jährliche Kosten von mehr als 20.000 Euro. Spitzenreiter seien dabei Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen, die sogenannten Orphan Drugs. »Hier kosten sieben Präparate sogar mehr als 100.000 Euro im Jahr«, so Schwabe.

Zwar müssen Hersteller in Deutschland seit 2011 den Nutzen neuer Arzneimittel im Vergleich zu bestehenden Therapiemöglichkeiten unter Beweis stellen. Das Ergebnis dieser Prüfung ist anschließend ausschlaggebend für den Preis, den die Krankenkassen für das Medikament zahlen. Für das erste Jahr nach Markteintritt gilt diese Regelung allerdings nicht. Hier dürfen die Unternehmen einen beliebigen Preis verlangen. Für Schwabe ist das die zentrale Schwachstelle im deutschen System. »Dies ist in keinem anderen europäischen Land möglich.« Er forderte daher erneut, dass die Preise nach Nutzenbewertung rückwirkend ab Marktzugang gelten. Allein im vergangenen Jahr habe diese Lücke die Kassen 353 Millionen Euro gekostet.

Keine Sonderregeln für Orphan Drugs

Darüber hinaus müssten zusätzlich alle Arzneimittel im Bestandsmarkt auf den Prüfstand kommen, auch diese Forderung stellen die AVR-Autoren seit Langem. Rund 1,5 Milliarden Euro könnten die Kassen damit pro Jahr sparen. Kritisch sieht Schwabe zudem die in Deutschland geltenden Sonderregeln für Orphan Drugs. Sie müssen keine Nutzenbewertung durchlaufen, sofern sie eine Umsatzschwelle von 50 Millionen Euro pro Jahr nicht überschreiten. Die Politik möchte auf diese Weise Unternehmen belohnen, die Arzneimittel für seltene Erkrankungen mit vergleichsweise wenigen Patienten entwickeln. Allerdings werde diese Regelung von immer mehr Firmen ausgenutzt, sagte Schwabe. Sie unterteilten Indikationsgebiete bewusst in mehrere kleine Subgruppen, um auf diese Weise den Orphan-Status zu erlangen.

Großes Sparpotenzial sehen die Autoren des AVR mit Blick auf Nachahmerpräparate im Biologika-Markt. Allerdings haben Biosimilars dem Report zufolge nur geringe Marktanteile, unter anderem da Ärzte immer noch recht häufig die Originalpräparate verordneten. 2017 hätten die Kassen 170 Millionen Euro durch die Umstellung auf Biosimilars eingespart, sagte Professor Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und Mit-Herausgeber des AVR. »Weitere 279 Millionen Euro könnten durch den noch konsequenteren Einsatz dieser Präparate gehoben werden.« Ludwig zufolge gibt es für die Zurückhaltung der Ärzteschaft keinen Grund. So seien Biosimilars gleichwertig mit Blick auf das Referenzarzneimittel »und können deshalb wie diese eingesetzt werden«.

Biosimilars: Austausch in der Apotheke

Neben einer verstärkten Aufklärung der Ärzte drängen die Autoren des Reports auf mehr Wettbewerb in diesem Marktsegment. Laut AVR waren 2017 unter den 14 Biosimilars-Anbietern im deutschen Markt sechs Originalhersteller beziehungsweise deren Tochterfirmen, auf die ganze 83 Prozent der gesamten Ausgaben für Biosimilars entfielen. Schwabe forderte vor diesem Hintergrund europaweite Rabattausschreibungen der Krankenkassen. Zudem sollten auch für Biosimilars Festbeträge mit einem europäischen Preisvergleich gelten.

AOK-Chef Martin Litsch kann sich darüber hinaus vorstellen, den Austausch von Biosimilars künftig den Apothekern zu übertragen. So könnten Ärzte etwa über ein Kreuz auf dem Rezept ähnlich wie bei Generika deutlich machen, ob substituiert werden kann oder nicht, sagte er.

Hersteller: Kostenanstieg ist maßvoll

Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) wehrte sich gegen die Darstellung des Reports. Demnach ist der Anteil der Arzneimittelausgaben in der Gesetzlichen Krankenversicherung in den vergangenen zehn Jahren gesunken - von 17,6 Prozent im Jahr 2008 auf 16,4 Prozent im jahr 2017. "Von einer Verschärfung eines Hochpreistrends bei Arzneimitteln kann also keine Rede sein",  sagte BAH-Vizechef Hermann Kortland. Ähnlich äußerte sich der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie. Der Report verschweige Sparvorgaben wie das Preismoratorium für Arzneimittel ohne Festbetrag, die Hersteller massiv unter Druck setzten, hieß es dort.

Der Verband der forschenden Pharmaunternehmen verwies auf die Möglichkeiten der modernen Medizin. So sei die Sterblichkeit bei Krebs hierzulande seit 1990 um 25 Prozent gesunken. »Angesichts dieses Fortschritts ist der Anteil der Krebsmedikamente an den Arzneimittelausgaben der Krankenkassen von 14,5 Prozent im Jahr 2017 maßvoll.« Auch die AG Pro Biosimilars sieht sich zu Unrecht in der Kritik. Das Problem sei nicht ein vermeintlich fehlender Preiswettbewerb unter den Herstellern, sondern der unzureichende Einsatz von Biosimilars in der Versorgung, teilte die Arbeitsgemeinschaft mit. Gerade hier hätten die Krankenkassen selbst Gestaltungsspielraum über regionale Vereinbarungen mit den Ärzten.

Der Arzneiverordnungsreport wird seit 1985 jährlich herausgegeben. Die Analysen basieren dabei im Wesentlichen auf Daten des Wissenschaftlichen Instituts der AOK.

Foto: Fotolia/Robert Kneschke

 

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