HNO-Ärzte wollen Kinder-OPs aus Protest aussetzen |
Aus Protest gegen eine Honorarreform beim ambulanten Operieren wollen HNO-Ärzte künftig auf ambulante Kinder-Operationen verzichten. / Foto: IMAGO/Science Photo Library
Die niedergelassene Ärzteschaft befindet sich im dauerhaften Protest-Modus: Erst zu Beginn des Jahres hatte der NAV-Virchowbund ins Spiel gebracht, dass die Praxen mittwochs grundsätzlich geschlossen bleiben. Überbordende Bürokratie, ein budgetiertes Finanzierungssystem, Inflation, explodierende Energiepreise, gestrichene Extravergütung bestimmter Leistungen sowie zu geringe Honorare ließen nichts anderes zu, so der Virchowbund. Allerding: Rein rechtlich wären flächendeckende Praxisschließungen an einem bestimmten Wochentag schwierig – selbst die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hatte daher vor den Folgen einer solchen Aktion gewarnt.
Nichtsdestotrotz setzen die Mediziner (zumindest regional) ihre Schließungspläne nun in die Realität um. Am morgigen Mittwoch sollen zahlreiche Arztpraxen in Hessen geschlossen bleiben. «Die Proteste werden so lange weitergehen und auch intensiviert, bis es verlässliche Zusagen und tatsächliche Veränderungen seitens der Politik gibt. So, wie es im Moment ist, kann und wird es nicht weitergehen», erklärten die Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (KV), Frank Dastych und Armin Beck, am gestrigen Montag in Frankfurt. Patientinnen und Patienten werde ausdrücklich empfohlen, sich vorab darüber zu informieren, ob ihre Praxis an der Aktion teilnehme. Konkret geht es um Haus- und Fachärzte sowie Psychotherapeutinnen und -therapeuten. Die Begründung der Mediziner ist nicht neu – man fühle sich im Vergleich zur Klinikvergütung ungerecht behandelt. «Anstatt die Leistungen der Niedergelassenen angemessen zu honorieren, war und ist Geld immer nur für die Kliniken vorhanden», hieß es bei der KV. Und: «Weil das Maß nun voll ist, sind die Proteste nicht nur absolut nachvollziehbar, sondern notwendig, um die erforderlichen Änderungen nun endlich zu erzwingen.»
Eine neue Form des Protests kündigen nun die Hals-Nasen-Ohren-Ärzte an. In einer Mitteilung vom gestrigen Montag rufen der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte (BVHNO) sowie die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO) dazu auf, aus Protest bestimmte ambulante Operationen an Kindern auszusetzen. »Durch die jahrelange Unterfinanzierung des ambulanten Operierens ist es im gesamten Bundesgebiet zu einem eklatanten Versorgungsnotstand mit monatelangen Wartezeiten auf dringend benötigte Operationen bei kleinen Kindern gekommen. Die jüngste Kürzung der GKV-Erstattungsbeträge für die Eingriffe zum Jahresbeginn hat das Fass zum Überlaufen gebracht«, erklären die Präsidenten der Verbände, Jan Löhler und Orlando Guntinas-Lichius. Es bleibe nichts anderes übrig, als mit einem Aussetzen der Operationen auf die Lage aufmerksam zu machen. »Wir erwarten eine hohe Beteiligung der Kolleginnen und Kollegen an der Aktion. Viele Operateure in OP-Zentren und Kliniken haben bereits das Handtuch geworfen und die Eingriffe aus ihrem Leistungsspektrum gestrichen«, erklären die Verbände.
Konkret geht es insbesondere um die Eingriffe Adenotomie mit Paukenröhrchen, bei der die Rachenmandel (kindliche Polypen) entfernt und die Belüftung des Mittelohrs verbessert werden, sowie um die Tonsillotomie, die operative Teilentfernung der Gaumenmandel. Beide Eingriffe werden laut den Verbänden in der Regel bei Kindern zwischen dem zweiten und achten Lebensjahr vorgenommen. Die Bedeutung dieser Eingriffe für die Patienten ist den Medizinern sehr wohl bewusst. Guntinas-Lichius dazu: »Je länger eine Mittelohrerkrankung bestehen bleibt, umso mehr steigt die Gefahr, dass sich eine bleibende Hörstörung ergibt. Bei kleinen Kindern kann sich die Sprachentwicklung verzögern. Beides ergibt einen neuen und langfristigen Therapiebedarf.«
Zum Hintergrund: Im Dezember 2022 hatten der GKV-Spitzenverband und die Kassenärztliche Bundesvereinigung den Verbänden zufolge eine Teilreform des ambulanten Operierens beschlossen. Mit dem Beschluss wurden Eingriffe der Kategorien N1 bis N3 in der Vergütung abgesenkt. Aus Sicht der Mediziner sind die Eingriffe aber nicht mehr wirtschaftlich darstellbar: »Die meisten Operateure haben die kleinen Patienten bisher trotz der unzureichenden Finanzierungsgrundlage versorgt und mitunter sogar bei den Operationen Geld draufgezahlt. Damit ist nach der Entscheidung, ab 2023 die Bewertung der Eingriffe abzusenken, jedoch Schluss.« Die Entscheidung sei von den ambulanten Operateuren mit Fassungslosigkeit aufgenommen worden, so Löhler. Der Aufruf, die Adenotomie und die Tonsillotomie nicht mehr anzubieten und keine entsprechenden Termine mehr zu vergeben, gelte so lange, bis es eine gesicherte Zusage für eine deutliche Anhebung der Bezahlung gebe, kündigten die Verbände an. Ziel sei es, als Sofortmaßnahme die Vergütung der Kinder-Operationen aus dem Honorarkatalog der Mediziner (EBM) auszugliedern.
Dabei können sich die Kassenärzte eigentlich nicht über ausgebliebene politische Erfolge beschweren. Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz hatte die Ampel-Koalition den Medizinern zwar eine Honorar-Komponente für Neupatienten gestrichen. Allerdings hatten die Regierungsfraktionen kurz vor dem Beschluss des Gesetzes eine gänzlich neue Vergütungsstruktur – ebenfalls für Neupatienten – hinzugefügt. Und auch in den beiden von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angekündigten Versorgungsgesetzen soll eine neue Vergütung für die Aufnahme von neuen Patienten untergebracht werden.