»Historischer Angriff auf das Apothekensystem« |
Christina Hohmann-Jeddi |
23.11.2023 16:00 Uhr |
Ronald Schreiber sieht in den Liberalisierungsplänen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach einen Angriff auf das deutsche Apothekensystem. / Foto: PZ/Christina Hohmann-Jeddi
Das Apothekenwesen habe sich während der Coronapandemie als flexibel und effektiv bewiesen, stellte der Präsident der Landesapothekerkammer Thüringen (LAKT), Ronald Schreiber, gestern bei der Versammlung in Erfurt fest. »Trotzdem plant Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach den größten Einschnitt in das Apothekensystem, den es seit Jahrzehnten gegeben hat.« Statt auf die Forderungen des Berufsstands einzugehen, das seit 2013 nicht veränderte Fixhonorar anzupassen, habe der SPD-Politiker Pläne vorgestellt, die das bestehende Apothekensystem abschaffen werden.
In diesen sind ein Aufweichen des Mehrbesitzverbots und Vereinfachungen für die Gründung von Filialapotheken vorgesehen – ohne Rezeptur, Notdienste und teilweise ohne approbiertes Personal – mit dem Ziel, die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln zu sichern. Dagegen wandte sich Schreiber: Die Annahme, dass die Absenkung der Anforderungen an Zweigapotheken dazu führe, dass mehr Apotheken auf dem Land entstehen, sei ein Trugschluss. Groß sei dagegen die Gefahr, dass solche »Apotheken zweiter Klasse« neben wirtschaftlich erfolgreichen Apotheken aufgemacht würden, was deren Wirtschaftlichkeit bedrohe und letztlich negative Effekte auf die Arzneimittelversorgung mit sich bringe.
Die Pläne des Ministers sehen auch eine Reform der Apothekenvergütung vor, die letztlich dazu führen solle, dass Apotheken in strukturschwachen Gebieten mehr und Apotheken in Städten weniger verdienen sollten. Dabei seien viele Apotheken unter Druck, nicht nur auf dem Land, was Neugründungen unattraktiv mache, sagte Schreiber. Laut Schätzungen der Treuhand Hannover schrieben 10 Prozent der Apotheken in Deutschland bereits rote Zahlen, rund ein Viertel sei gefährdet. »Das sind die Auswirkungen der Politik der letzten Jahre«, sagte Schreiber.
Lauterbachs Liberalisierungspläne würden die Situation noch verschärfen. »Diesen historischen Angriff auf das Apothekensystem können wir uns nicht gefallen lassen«, sagte Schreiber. Der gesamte Berufsstand müsse sich jetzt stark machen; der LAKT-Präsident forderte seine Kolleginnen und Kollegen dazu auf, sich an dem Protest in Dresden am 29. November zu beteiligen.
Die für die Finanzierung der pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) zur Verfügung gestellten Mittel von jährlich 150 Millionen Euro könnten Apotheken keine finanzielle Entlastung bringen, machte Schreiber deutlich. Es fehle an Personal, um die Leistungen erbringen und abrechnen zu können. In der Diskussion bei der Versammlung wurde deutlich, dass viele Betriebe aufgrund des Personalmangels Mühe haben, den Alltagsbetrieb am Laufen zu halten, Add-ons wie pDL seien nicht möglich.
Stefan Fink, Vorsitzender des Thüringer Apothekerverbands (ThAV) sagte dazu, die Tatsache, dass der pDL-Fonds von den Apotheken nicht ausgeschöpft wurde, sei ein Fingerzeig für die Politik, wie stark die Apotheken derzeit durch Lieferengpässe und fehlendes Personal belastet seien. »Selbst wenn für die Dienstleistungen das Dreifache an Vergütung gezahlt würde, würden sie nicht dreimal häufiger erbracht«, zeigte sich Fink überzeugt. Erst 4000 der 17.800 Apotheken in Deutschland würden monatlich pDL erbringen. Auch der Einstieg in die pDL müsse noch vereinfacht werden, so der ThAV-Vorsitzende. »Da sind wir gerade auf dem Weg.«
Was die ABDA hier an Hilfestellungen für Apotheken bietet, stellte Dr. Uta Müller, Leiterin der Abteilung Wissenschaftliche Entwicklung der ABDA, in Erfurt vor. Auf der Website »pDL Campus« stünden für die fünf pDL jeweils die zu unterzeichnende Vereinbarung und der Informationsbogen für den Patienten sowie spezielle Schulungsmaterialien zur jeweiligen pDL bereit.
Informationen zu den Dienstleistungen würden zudem über den ABDA-Newsroom, und -Newsletter, Social Media und die Fachpresse verbreitet. Um den Einstieg zu erleichtern, wurde das Konzept des pDL-Managers/der pDL-Managerin entwickelt. In einer Fortbildung bestehend aus drei Modulen, die als Webseminare durchgeführt werden, kann sich ein Mitglied des Apothekenteams zum pDL-Verantwortlichen ausbilden lassen, um dann den Rest des Teams anzuleiten und zu motivieren.
Müller bot den Thüringer Apotheken auch ein Pilotprojekt an, an dem sich alle Kolleginnen und Kollegen, die bisher noch keine pDL erbracht hätten, beteiligen könnten. Interessierte hörten bei einem ersten Termin einen Vortrag zur pDL Inhalativaschulung. Bis zu einem Folgetermin sollte dann eine bestimmte Anzahl der Dienstleistung erbracht werden. »Das Ziel ist Starten«, sagte Müller. Schreiber bedankte sich für das Angebot. »Die Kammer ist dabei«, so der LAKT-Präsident.
Von der Situation des Pharmazeutischen Instituts der Friedrich-Schiller-Universität in Jena berichtete Professor Dr. Oliver Werz. In die Forschung sei die Pharmazie in Jena gut eingebunden, was ein wichtiger Faktor für deren Erhalt sei. Derzeit sei man auf sechs Standorte in der Stadt verteilt, aber ein Neubau für das Institut sei geplant und solle bis 2029 fertig gestellt werden. Der Neubau sei für 75 Studienanfänger pro Jahr ausgelegt – was der aktuellen Zahl entspricht.
Von den sechs Professuren seien derzeit vier besetzt mit der Aussicht, alle sechs zu besetzen. Die Sparpläne der Universität sähen allerdings vor, drei Stellen bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern zu streichen, informierte Werz. »Da die Personalsituation essenziell für die Zahl der Studierenden ist, hätte dies zur Folge, dass sich zukünftig nur noch 68 neue Studierende pro Jahr einschreiben können«, so Werz. Gegen diese potenzielle Absenkung der Studienplätze wandte sich Schreiber: »Das könne wir nicht hinnehmen.« Die Kammer werde sich weiterhin für eine Erhöhung der Studienplatzzahl in Jena einsetzen.