Hat Metformin als Erstlinientherapie ausgedient? |
Laura Rudolph |
24.04.2024 10:30 Uhr |
Metformin hemmt die Glykogenolyse und Gluconeogenese in der Leber und verbessert die Glucoseverwertung in den peripheren Geweben. In Deutschland gilt es bislang als Mittel der ersten Wahl bei Typ-2-Diabetes. Diese Vorrangstellung ist aber nicht unumstritten. / Foto: Adobe Stock/Soni's
Die Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) Typ-2-Diabetes empfiehlt Metformin als Erstlinientherapeutikum bei T2D. Bei Patienten ohne Herz-Kreislauf-Erkrankungen (CVD) als Monotherapie, bei Patienten mit CVD als Kombinationstherapie mit einem SGLT2-Inhibitor oder einem GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP1-RA). Doch ist Metformin die beste Erstlinientherapie für die Mehrheit der Typ-2-Diabetiker? Darüber waren sich Referentinnen und Referenten beim DGIM-Jahreskongress uneinig.
Während beispielsweise die Diabetologin Dr. Monika Kellerer vom Marienhospital Stuttgart einige Pluspunkte des oralen Antidiabetikums hervorhob (etwa eine jahrzehntelange klinische Erfahrung, eine effektive HbA1c-Wert-Senkung, keine Hypoglykämie-Gefahr und sehr geringe Kosten), argumentierte Marx gegen den universellen Einsatz als Erstlinientherapeutikum.
Die Evidenz für die Wirkung von Metformin auf die Herz-Kreislauf-Gesundheit beruhe hauptsächlich auf einer kleinen Subgruppe von Patienten aus der UKPDS-Studie (»The Lancet«, 1998; DOI: 10.1016/S0140-6736(98)07037-8). Diese Patienten waren neu diagnostiziert, übergewichtig und hatten keine kardiovaskuläre Erkrankung. 342 erhielten Metformin. Das orale Antidiabetikum habe zwar die Anzahl der Ereignisse reduziert – die Gesamtzahl der Ereignisse sei allerdings sehr gering gewesen. »Die UKPDS-Daten sind schön, aber 39 Ergebnisse sind eine verhaltene Evidenz«, so Marx.
Der Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und internistische Intensivmedizin verwies zudem auf eine Cochrane-Analyse zur Monotherapie mit Metformin bei Erwachsenen (2020; DOI: 10.1002/14651858.CD012906.pub2). Demnach gibt es keine klare Evidenz, dass Metformin patientenrelevante Endpunkte wie Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall oder Nierenversagen im Vergleich zu gar keiner Intervention, einer Lebensstiländerung oder anderen blutzuckersenkenden Medikamenten positiv beeinflusst.
In seiner Argumentation stützte sich Marx auf die Ergebnisse von großen kardiovaskulären Outcome-Studien der letzten zehn Jahre. Diese untersuchten den Benefit neuerer Antidiabetika-Klassen wie GLP-1-RA oder SGLT2-Inhibitoren mit und ohne Metformin.
In der EMPA-REG OUTCOME-Studie (»New England Journal of Medicine«, 2015; DOI: 10.1056/NEJMoa1504720) blieben die Endpunkte kardiovaskulärer Tod und Hospitalisierung aufgrund von Herzinsuffizienz unbeeinflusst davon, ob die Patienten zusätzlich zu Empagliflozin Metformin erhielten oder nicht. Patienten, die kein Metformin erhielten, hatten sogar Vorteile hinsichtlich der Nierengesundheit. Ähnliches sei in der CANVAS-Studie beobachtet worden, so Marx. Typ-2-Diabetiker mit einer chronischen Nierenerkrankung (CKD), die neben Canagliflozin kein zusätzliches Metformin erhalten hatten, hatten demnach ein geringeres Risiko für Schlaganfall (NEJM, 2015; DOI: 10.1056/NEJMoa1611925).
Schließlich konnte Metformin in der HARMONY-Studie, die den GLP-1-RA Albiglutid untersuchte, die drei »Major Adverse Cardiovascular Events« Herzinfarkt, Schlaganfall und kardiovaskulär bedingter Tod (3-Punkt-MACE) nicht signifikant beeinflussen.
Marx blickte in seinem Vortrag über den Tellerrand der Landesgrenze. Im Gegensatz zur NVL enthalte die gemeinsame Empfehlung der US-amerikanischen und europäischen Diabetologen und Kardiologen (ADA/EASD) nicht generell Metformin als Erstlinientherapeutikum (»Diabetes Care«, 2022; DOI: 10.2337/dci22-0034). Insbesondere bei Patienten mit Herzinsuffizienz, CKD, arteriosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung (ASCVD) oder hohem ASCVD-Risiko seien GLP-1-RA oder SGLT2-Inhibitoren zu bevorzugen.
Die Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) von 2023, an deren Erstellung eine Reihe von Experten (Kardiologen, Diabetologen, Nephrologen, Herzchirurgen, Angiologen, eine Pflegevertreterin und eine Patientenvertreterin) und auch Marx selbst beteiligt waren, enthalte ähnliche Empfehlungen. Auch hier werden bei ASCVD, Herz- oder Niereninsuffizienz in erster Linie entweder GLP-1-RA oder SGLT2-Inhibitoren empfohlen, unabhängig vom HbA1c-Wert und der begleitenden blutzuckersenkenden Medikation. Metformin kommt demnach erst zum Einsatz, wenn sich der HbA1c-Wert mit der jeweiligen Erstlinienmedikation nicht ausreichend senken lässt.
Bei einer bestimmten Patientenpopulation konnte Metformin seine Stellung aber auch auf europäischer Ebene verteidigen: Bei Patienten ohne ASCVD, Herz- oder Niereninsuffizienz und einem nur geringen bis mäßigen kardiovaskulären Risiko behält das orale Antidiabetikum auch in der ESC-Leitlinie seinen Platz als Erstlinientherapien-Therapeutikum. Dennoch: »Metformin sollte definitiv nicht die First-Line-Therapie für die Mehrheit der Patienten mit Typ-2-Diabetes sein«, sagt Marx.