Grundsatzstreit um Telemedizin |
Alexander Müller |
17.10.2023 14:00 Uhr |
Auf die Einhaltung dieser Standards hatte der BGH in einer anderen Entscheidung zur Fernbehandlung gepocht. Bei Beschwerden wie erektiler Dysfunktion, Haarausfall und vorzeitigem Samenerguss sei nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein ärztlicher Kontakt mit dem Patienten aber erforderlich, bevor ein Arzneimittel verordnet werde, fand der klagende Verband. Die Wellster-Werbung verstoße zudem gegen das Werbeverbot außerhalb der Fachkreise.
Wellster hatte entgegnet, dass die Fernbehandlungen hier ordnungsgemäß durchgeführt werden könne, ohne dass ein persönlicher ärztlicher Kontakt erforderlich sei. Auch ein Verstoß gegen das Werbeverbot außerhalb der Fachkreise liege nicht vor, da die vermeintlichen Krankheitsgeschichten und die vermeintliche Werbung mit Bezug darauf weder in missbräuchlicher, abstoßender oder irreführender Weise erfolgten noch zu einer falschen Selbstdiagnose verleiten können.
Das Landgericht München I hatte bereits im Oktober 2021 dem Unterlassungsantrag von Integritas stattgegeben, Wellster war in Berufung gegangen. Doch das OLG bestätigte im April dieses Jahres die Entscheidung der Vorinstanz.
Im ersten Schritt ging es um die von Wellster angezweifelte Klagebefugnis des Verbands. Laut OLG sind die Vermittlungsleistungen »nicht diagnoseoffen«, sondern zielen darauf ab, nach der »Online-Diagnose« zu drei konkreten Beschwerdebildern sowie anschließende Verordnung in die Abgabe von Cialis, Viagra, Levitra & Co. zu münden. Die Vermittlung der ärztlichen Fernbehandlung sei damit nicht Selbstzweck, sondern aufgrund der Verschreibungspflicht nur »notwendiger Zwischenschritt«, um die vom Kunden von vornherein gewünschte Abgabe der Lifestyle-Medikamente zu erhalten. Damit bestehe für den Vertrieb von Arzneimitteln durch die Integritas-Mitgliedsunternehmen schon eine potenzielle Beeinträchtigung.
Was den Verstoß gegen das Verbot der Werbung für Fernbehandlungen gemäß § 9 Satz 1 und 2 HWG betrifft, sieht das OLG auch diesen laut den jetzt vorliegenden Urteilsgründen als erfüllt an. Die Behandlung habe nach den jeweils aktuell bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen, heißt es mit Verweis auf die BGH-Entscheidung. Der Gesetzgeber sei dabei von einem dynamischen Prozess ausgegangen, in dem sich mit dem Fortschritt der technischen Möglichkeiten auch der anerkannte fachliche Standard ändern kann, so das OLG.
Bei der Bestimmung des Standards seien die Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften und die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses zu berücksichtigen. Nach diesen Maßstäben reiche eine Behandlung der hier relevanten Beschwerden ohne persönlichen ärztlichen Kontakt nicht aus. Entgegen der Auffassung von Wellster komme es nicht auf die in Irland geltenden Standards an. Das HWG sei eine öffentlich-rechtliche Eingriffsnorm und aufgrund des geltenden Territorialitätsprinzips sei es dem deutschen Staat erlaubt, die Werbung für Fernbehandlungen zu regeln, die aus dem Ausland heraus im Inland erbracht würden.
Das OLG München hat keine Revision zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung habe. Wellster will eine Verhandlung in Karlsruhe erreichen: »Die Wellster Healthtech Group hat gegen die Entscheidung Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH eingereicht«, teilte ein Sprecher gegenüber der PZ mit. Die Telemedizin könne das Gesundheitssystem entlasten, indem gefährdete Gruppen gezielt angesprochen würden – was insbesondere für Adipositas-Betroffene und urologische Problematiken zu einer früheren Behandlung führen könne. Digitale Angebote seien aber hierzulande noch wenig bekannt, daher müsse die Telemedizin ihr Angebot mittels Werbung sichtbar gemacht werden können, so die Stellungnahme.