Pharmazeutische Zeitung online
Wellster will vor den BGH

Grundsatzstreit um Telemedizin

Die Plattform Wellster musste vor dem Oberlandesgericht München (OLG) eine Schlappe hinnehmen. Aus Sicht der Richter verstößt es gegen das Heilmittelwerbegesetz (HWG), den Verkauf verschreibungspflichtiger Potenzmittel nach Ausfüllen eines Fragebogens zu bewerben. Geklagt hatte der Wettbewerbsverband Integritas. Wellster will eine Klärung vor dem Bundesgerichtshof (BGH) erzwingen.
Alexander Müller
17.10.2023  14:00 Uhr

Wellster betreibt verschiedene Plattformen wie Go-Spring, auf der die Nutzer sich mit ein paar Klicks ein Rezept über Potenzmittel und andere Rx-Präparate ausstellen lassen und die diese auch gleich online bei einer niederländischen Versandapotheke bestellen können. Aus Sicht von Integritas wird damit gegen das Werbeverbot für Fernbehandlungen verstoßen. Bei dem »Verein für lautere Heilmittelwerbung« sind unter anderem die Pharmaverbände BAH und BPI engagiert.

Zur Behandlung von Erektionsstörungen, Haarausfall und vorzeitigem Samenerguss können Nutzer der Plattform einen Fragebogen ausfüllen, um eine »Online-Diagnose« zu erhalten. Auf dieser Grundlage wird dann das Rezept ausgestellt. Die »Online-Diagnose« beruht laut OLG »im Wesentlichen auf einem textbasierten Fragebogen zum Gesundheitszustand des Nutzers, zu Krankheitssymptomen, Unverträglichkeiten und zur Einnahme von Medikamenten«. Ein persönlicher Kontakt mit einem der – in Großbritannien beziehungsweise seit dem Brexit in Irland ansässigen – Kooperationsärzte von Wellster, eine Videoschalte oder ein Telefongespräch zwischen Patienten und Arzt erfolgten nicht.

Am Ende der »Online-Diagnose« wird eine Auswahl konkreter verschreibungspflichtiger Arzneimittel unter Angabe des Kaufpreises angeboten. Anschließend wird der Nutzer auf die Seite »Bestellung« weitergeleitet, um seine Kontaktdaten einzutragen und die AGB zu bestätigen. Die Arzneimittel werden dann von dem kooperierenden Versender geliefert.

Integritas machte einen Verstoß gegen das Werbeverbot für Fernbehandlungen geltend. Die behandelnden Ärzte würden sich nicht konkret und individuell zu dieser Person diagnostisch oder therapeutisch äußern. Auch greife der neu geschaffene Ausnahmetatbestand nicht, weil die hier angebotene Fernbehandlung nicht mit den fachlichen medizinischen Standards und der ärztlichen Sorgfalt zu vereinbaren seien.

Telemedizin ohne Arztkontakt

Auf die Einhaltung dieser Standards hatte der BGH in einer anderen Entscheidung zur Fernbehandlung gepocht. Bei Beschwerden wie erektiler Dysfunktion, Haarausfall und vorzeitigem Samenerguss sei nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein ärztlicher Kontakt mit dem Patienten aber erforderlich, bevor ein Arzneimittel verordnet werde, fand der klagende Verband. Die Wellster-Werbung verstoße zudem gegen das Werbeverbot außerhalb der Fachkreise.

Wellster hatte entgegnet, dass die Fernbehandlungen hier ordnungsgemäß durchgeführt werden könne, ohne dass ein persönlicher ärztlicher Kontakt erforderlich sei. Auch ein Verstoß gegen das Werbeverbot außerhalb der Fachkreise liege nicht vor, da die vermeintlichen Krankheitsgeschichten und die vermeintliche Werbung mit Bezug darauf weder in missbräuchlicher, abstoßender oder irreführender Weise erfolgten noch zu einer falschen Selbstdiagnose verleiten können.

Das Landgericht München I hatte bereits im Oktober 2021 dem Unterlassungsantrag von Integritas stattgegeben, Wellster war in Berufung gegangen. Doch das OLG bestätigte im April dieses Jahres die Entscheidung der Vorinstanz.

Im ersten Schritt ging es um die von Wellster angezweifelte Klagebefugnis des Verbands. Laut OLG sind die Vermittlungsleistungen »nicht diagnoseoffen«, sondern zielen darauf ab, nach der »Online-Diagnose« zu drei konkreten Beschwerdebildern sowie anschließende Verordnung in die Abgabe von Cialis, Viagra, Levitra & Co. zu münden. Die Vermittlung der ärztlichen Fernbehandlung sei damit nicht Selbstzweck, sondern aufgrund der Verschreibungspflicht nur »notwendiger Zwischenschritt«, um die vom Kunden von vornherein gewünschte Abgabe der Lifestyle-Medikamente zu erhalten. Damit bestehe für den Vertrieb von Arzneimitteln durch die Integritas-Mitgliedsunternehmen schon eine potenzielle Beeinträchtigung.

Fachliche Standards nicht erfüllt

Was den Verstoß gegen das Verbot der Werbung für Fernbehandlungen gemäß § 9 Satz 1 und 2 HWG betrifft, sieht das OLG auch diesen laut den jetzt vorliegenden Urteilsgründen als erfüllt an. Die Behandlung habe nach den jeweils aktuell bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen, heißt es mit Verweis auf die BGH-Entscheidung. Der Gesetzgeber sei dabei von einem dynamischen Prozess ausgegangen, in dem sich mit dem Fortschritt der technischen Möglichkeiten auch der anerkannte fachliche Standard ändern kann, so das OLG.

Bei der Bestimmung des Standards seien die Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften und die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses zu berücksichtigen. Nach diesen Maßstäben reiche eine Behandlung der hier relevanten Beschwerden ohne persönlichen ärztlichen Kontakt nicht aus. Entgegen der Auffassung von Wellster komme es nicht auf die in Irland geltenden Standards an. Das HWG sei eine öffentlich-rechtliche Eingriffsnorm und aufgrund des geltenden Territorialitätsprinzips sei es dem deutschen Staat erlaubt, die Werbung für Fernbehandlungen zu regeln, die aus dem Ausland heraus im Inland erbracht würden.

Das OLG München hat keine Revision zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung habe. Wellster will eine Verhandlung in Karlsruhe erreichen: »Die Wellster Healthtech Group hat gegen die Entscheidung Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH eingereicht«, teilte ein Sprecher gegenüber der PZ mit. Die Telemedizin könne das Gesundheitssystem entlasten, indem gefährdete Gruppen gezielt angesprochen würden – was insbesondere für Adipositas-Betroffene und urologische Problematiken zu einer früheren Behandlung führen könne. Digitale Angebote seien aber hierzulande noch wenig bekannt, daher müsse die Telemedizin ihr Angebot mittels Werbung sichtbar gemacht werden können, so die Stellungnahme.

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa