Glucose-Monitoring ohne Diabetes |
Christina Hohmann-Jeddi |
16.09.2025 07:00 Uhr |
Auch manche Menschen ohne Diabetes interessieren sich inzwischen für ihren Blutzuckerspiegel –aus verschiedenen Gründen. / © Adobe Stock/Halfpoint
Kalorien, Schritte, Schlafrhythmus – gesundheitsbewusste Menschen tracken so einiges. Neu hinzu kommt aktuell der Blutzuckerspiegel. Kleine Sensoren, die auf die Haut geklebt werden, messen alle paar Minuten den Glucosegehalt in der Flüssigkeit unter der Haut und senden die Daten in Echtzeit an das Smartphone.
Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes ist dieses kontinuierliche Glucose-Monitoring (CGM) inzwischen die Norm; teilweise wird es auch bei Typ-2-Diabetes eingesetzt. Aber auch Menschen ohne Diabetes interessieren sich verstärkt für ihren Blutzucker. Vor allem in den USA ist dies ein Trend.
Dort erhielt im März 2024 ein erstes freiverkäufliches CGM-System eine Zulassung, das explizit auch für Stoffwechsel-Gesunde gedacht ist: »Das Dexcom Stelo Glucose Biosensor-System ist ein integriertes CGM für alle Personen ab 18 Jahren, die kein Insulin verwenden, wie Menschen mit Diabetes, die ihre Erkrankung mit oralen Medikamenten behandeln, oder Menschen ohne Diabetes, die besser verstehen möchten, wie sich Ernährung und Bewegung auf den Blutzuckerspiegel auswirken können«, schrieb die US-Zulassungsbehörde FDA damals.
In den USA und auch in Europa sind mehrere CGM-Systeme auf dem Markt. In Deutschland können sie auch von Menschen ohne Diabetes verwendet werden – wenn sie sie selbst bezahlen. Von den Krankenkassen erstattet bekommen die Systeme nur Typ-1-Diabetiker und in Einzelfällen Typ-2-Diabetiker, wenn sie die Zielwerte nicht auf andere Weise erreichen.
Dafür, dass Menschen ohne Diabetes ihren Blutzucker monitoren wollen, kann es verschiedene Gründe geben. Viele interessieren sich ganz einfach dafür, was Ernährung, Bewegung und Schlaf mit ihrem Körper machen. Womöglich können diese Informationen als Motivation dienen, das Verhalten zu verändern und so das Risiko für Diabetes zu verringern oder einem bereits bestehenden Prädiabetes entgegenzuwirken. Manche Menschen wollen auch den Blutzuckerspiegel optimieren und Blutzuckerspitzen vermeiden, um sich gesünder zu fühlen oder abzunehmen. Das propagiert unter anderem die französische Ernährungsexpertin Jessie Inchauspé in ihrem 2022 erschienenen Buch »Der Glukose-Trick: Schluss mit Heißhunger, schlechter Haut und Stimmungstiefs«. Auch auf Social-Media-Kanälen gibt es Befürworter von CGM bei Gesunden.
Zur Prävention von Diabetes könne die Visualisierung der Glucosewerte durch CGM-Geräte sinnvoll sein, bestätigt Dr. Julia Parzinger, niedergelassene Internistin in Thiersee, Österreich, im Gespräch mit der PZ. Sie setzt die Systeme – nach einem Selbstversuch im vergangenen Jahr – bei einzelnen Patienten mit Prädiabetes, also grenzwertigen HbA1c-Werten, gezielt ein. »Es ist interessant, wenn man sieht, was die einzelnen Nahrungsmittel mit dem Blutzucker machen«, sagt Parzinger.
Sie verwendet das CGM als eine Art Schulungstool zur visuellen Unterstützung der Ernährungsberatung. »Wenn die Patienten selbst sehen, welche Auswirkungen einzelne Nahrungsmittel haben, ist der Lerneffekt stärker als wenn sie es nur erzählt bekommen.« Und auch der blutzuckersenkende Effekt von Sport auf den Glucosewert sei gut zu erkennen; das könne motivierend wirken, sich mehr zu bewegen. »Eigentlich ist es vor einem manifesten Diabetes wichtig, zu lernen: Was darf ich und was darf ich nicht.« Die Ärztin setzt die CGM-Systeme, die etwa 70 Euro kosten und zwei Wochen halten, bei Patienten nur einmal zu Schulungszwecken ein und nicht dauerhaft.
Bei Personen mit Prädiabetes könne eine regelmäßige Bestimmung der Stoffwechsellage sinnvoll sein, um einen Diabetes rechtzeitig zu erkennen und frühzeitig mit Lebensstiländerungen entgegenzuwirken, erklärte Professor Dr. Andreas Fritsche von der Universität Tübingen, damals Präsident der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG), Mitte Juni 2025 in einer Stellungnahme. Notwendig sei ein routinemäßiger Einsatz von CGM dabei aber nicht. Insgesamt sieht Fritsche den aktuellen Trend zur Nutzung von CGM bei stoffwechselgesunden Personen kritisch. Der Nutzen stehe in keinem Verhältnis zu den Kosten und den potenziellen psychischen Belastungen. Es bestehe die Gefahr, dass die Verwendung der Technologie zu einer übermäßigen Beschäftigung mit dem eigenen Gesundheitszustand führen könnte.
Auch in den USA gab es zum Teil kritische Stimmen. Im Jahr 2024 schrieb Dr. Robert Shmerling, Rheumatologe und leitender Redakteur bei Harvard Health Publishing, dass der Nutzen der CGM-Technologie bei Gesunden bisher nicht belegt und auch nicht ausreichend erforscht sei. Hohe/niedrige Werte oder falsche Warnungen des Geräts könnten bei den Trägern der Sensoren unnötige Ängste oder Arztbesuche hervorrufen. Bei jeder neuen Technologie gebe es eine wissenschaftliche Lernkurve, wann diese sinnvoll einzusetzen ist. Auf dieser Kurve befinde man sich derzeit noch am Anfang, so Shmerling.
In eine ähnliche Richtung geht der Bericht von Medizinern der Boston University School of Medicine im »Journal of Diabetes Science and Technology«. Sie hatten 18 Diabetologen gebeten, potenziell schwierige CGM-Daten, HbA1c- und Nüchternblutzuckerwerte von Stoffwechselgesunden zu bewerten, und eine große Unstimmigkeit bei deren Einschätzungen festgestellt. Das Team fordert daher, besser zu untersuchen, wie physiologische Blutzuckerwerte bei Stoffwechselgesunden aussehen, und Leitlinien zur Interpretation der CGM-Daten zu erarbeiten.
Noch ist weitere Forschung nötig, um festzustellen, ob die kontinuierliche Blutzuckermessung bei gesunden Personen langfristig die Gesundheit verbessern kann. Dass CGM-Systeme tatsächlich zur Prävention beitragen können, zeigt aber die aktuelle FDA-Zulassung eines Systems speziell zur Gewichtskontrolle. Bei dem Produkt des Unternehmens Signos handelt es sich um eine auf künstlicher Intelligenz basierende App, die anhand der Analyse von CGM-Daten personalisiert Lebensstilveränderungen vorschlägt. /