Givinostat im Handel |
Sven Siebenand |
06.08.2025 09:00 Uhr |
Guillaume-Benjamin Duchenne beschrieb im 19. Jahrhundert in Paris die nach ihm benannte Form der Muskeldystrophie. / © Imago Images/Gemini Collection
Die Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) ist eine seltene neuromuskuläre Erkrankung, die durch Mutationen im Dystrophin-Gen ausgelöst wird. Sie betrifft in erster Linie Männer. Fehlt das Strukturprotein Dystrophin, bricht der Dystrophin-assoziierte Proteinkomplex zusammen. Das macht die Muskelfasern anfälliger für Schäden und erhöht die Histon-Deacetylase (HDAC)-Spiegel in den Muskelzellen, wodurch die Aktivierung wichtiger Gene blockiert wird, die für die Erhaltung und Reparatur der Muskeln benötigt werden. Infolgedessen werden die Muskelfasern ständig geschädigt, was zu chronischen Entzündungen und schlechter Regeneration führt.
Mit der Zeit sterben die Muskelzellen ab und werden durch Narben- und Fettgewebe ersetzt. Mit dem Fortschreiten der Erkrankung verschlimmert sich die Muskelschwäche, was zu Schwierigkeiten beim Gehen und schließlich zum Verlust des Gehvermögens führt. Im Laufe der Zeit werden auch die Herz- und Atemmuskulatur in Mitleidenschaft gezogen, was die Hauptursache für einen vorzeitigen Tod ist.
Zur Basistherapie in jeder Krankheitsphase zählen supportive und symptomatische Maßnahmen. Neben operativen und nicht medikamentösen Verfahren wie Physiotherapie kommen auch Medikamente zum Einsatz, insbesondere Glucocorticoide. Im vergangenen Jahr kam mit Vamorolon ein modifiziertes Corticosteroid für DMD-Patienten ab vier Jahren in Deutschland auf den Markt.
Mit Givinostat gibt es nun einen weiteren neuen Wirkstoff. Zugelassen ist er in Kombination mit einer Corticosteroid-Behandlung bei gehfähigen DMD-Patienten ab einem Alter von sechs Jahren.
Givinostat ist ein HDAC-Inhibitor. Dadurch lässt sich der Krankheitsprozess bei der DMD positiv beeinflussen: Entzündliche Reaktionen nehmen ab, Muskelfaserschäden werden reduziert, es bildet sich weniger Narbengewebe und Fetteinlagerungen sind weniger häufig.
Basis für die bedingte Zulassung von Givinostat sind Daten aus der EPIDYS-Studie. Die randomisierte und doppelblinde Studie lief über 18 Monate und schloss gehfähige DMD-Patienten im Alter ab sechs Jahren ein. Diese erhielten zusätzlich zur Corticosteroid-Behandlung entweder Givinostat oder Placebo. Primärer Endpunkt nach 18 Monaten war die Veränderung der Gehfähigkeit der Patienten, gemessen an der Zeit, die für das Erklimmen von vier Treppenstufen erforderlich ist (4 stairs climb, 4SC). Nach 18 Monaten benötigten die Patienten der Verumgruppe dafür durchschnittlich 1,25 Sekunden länger, die Patienten unter Placebo benötigten 3,03 Sekunden länger. Die langfristige Sicherheit, Verträglichkeit und Wirksamkeit von Givinostat werden in einer laufenden Verlängerungsstudie bewertet.
Die Dosierung richtet sich nach dem Körpergewicht und erfolgt zweimal täglich. Kinder mit einem Gewicht von 10 bis unter 20 kg erhalten zweimal täglich 2,5 ml der oralen Suspension, ab 20 bis unter 40 kg sind es 3,5 ml, bei 40 bis unter 60 kg 5 ml und ab 60 kg beträgt die empfohlene Dosis 6 ml zweimal täglich. Falls die Einnahme einmal vergessen wird, sollte keine doppelte Dosis eingenommen werden. Stattdessen wird die nächste reguläre Dosis zur üblichen Zeit verabreicht.
Die Suspension muss vor jeder Anwendung mindestens 30 Sekunden lang geschüttelt werden (circa 40-mal kippen um 180°). Eine unzureichend geschüttelte Suspension kann zu Über- oder Unterdosierung führen. Die Suspension soll nicht mit Flüssigkeiten verdünnt werden und sollte mit einer Mahlzeit eingenommen werden, um den bitteren Geschmack zu überdecken.
Dosisanpassungen, zum Beispiel aufgrund von Durchfall, Thrombozytopenie oder erhöhten Triglyceridwerten, können notwendig werden. In der Fachinformation sind dazu Details genannt. Vor Therapiebeginn müssen zudem Thrombozytenzahl und Triglyceride bestimmt werden. Eine Behandlung mit Givinostat darf nur erfolgen, wenn die Thrombozyten bei mindestens 150 × 109/l liegen. Beide Parameter sind auch im Behandlungsverlauf regelmäßig zu kontrollieren, da gegebenenfalls Dosisanpassungen notwendig sein können.
Zudem sollte bei Patienten mit Herzerkrankung oder Begleitmedikation, die eine QT-Verlängerung verursacht, ein EKG zu Behandlungsbeginn, bei Anwendung von Begleitmedikation und wenn klinisch indiziert, erstellt werden. Duvyzat soll nicht angewendet werden, wenn das QTc-Intervall > 500 ms oder die Änderung vom Ausgangswert > 60 ms beträgt. Vorsicht ist geboten, wenn Givinostat zusammen mit Medikamenten verabreicht wird, die das QT-Intervall verlängern. Bei Patienten, die eine Begleitmedikation erhalten, welche die Triglyceridwerte erhöht, sollte der neue Wirkstoff ebenso nur mit Vorsicht angewendet werden, da das Risiko einer Hypertriglyceridämie erhöht sein kann.
Sehr häufige Nebenwirkungen sind Durchfall, Bauchschmerzen, Thrombozytopenie, Erbrechen, Hypertriglyceridämie und Fieber.
Falls der neue Wirkstoff bei Frauen zum Einsatz kommt: Als Vorsichtsmaßnahme ist in der Schwangerschaft ein Verzicht auf den Wirkstoff anzuraten. Auch während der Stillzeit sollte er nicht zum Einsatz kommen.
Die bisherigen medikamentösen Therapieoptionen bei Duchenne-Muskeldystrophie sind limitiert und es besteht medizinischer Bedarf für weitere Arzneimittel. Ein solches ist Givinostat, der erste Histon-Deacetylase-Hemmer in der Therapie der Duchenne-Muskeldystrophie.
Als Add-on zu Corticosteroiden konnte der Wirkstoff die Krankheitsprogression verlangsamen. Kürzlich präsentierte Ergebnisse von Post-hoc-Analysen der abgeschlossenen Phase-II-Studie EPIDYS zeigen zudem, dass sich die Herzfunktion von Patienten unter Givinostat im Verlauf der Studie weniger verschlechterte als bei den Patienten der Placebogruppe. Die bisherigen Studienergebnisse rechtfertigen insgesamt die vorläufige Bewertung als Sprunginnovation. Man wird sich aber Langzeitdaten genau anschauen müssen. Auch die EMA wird dies tun. Der Wirkstoff ist bislang nur bedingt zugelassen.
Interessant wäre auch zu wissen, ob eine Monotherapie mit Givinostat ausreicht und ob der Wirkstoff bei nicht mehr gehfähigen Patienten noch einen Nutzen bringt.
Dass das Prinzip der Hemmung von Deacetylasen auch bei Krebs funktioniert, zeigt das Beispiel des beim Multiplen Myelom zugelassenen Panobinostat. Auch Givinostat ist in onkologischen Indikationen denkbar. So hat die US-Arzneimittelbehörde FDA der Substanz den Fast-Track-Status für die Behandlung von Patienten mit Polycythaemia vera erteilt, einer seltenen hämatologischen Krebserkrankung, für die es nur wenige Behandlungsmöglichkeiten gibt. In der EU gibt es für dieses Anwendungsgebiet bereits die Orphan-Drug-Designation.
Sven Siebenand, Chefredakteur