Gentherapie am Auge rettet Kind vor Blindheit |
Theo Dingermann |
13.02.2024 09:00 Uhr |
Foto: Getty Images/Natali_Mis
Beremagen geperpavec (Vyjuvek®) ist ein topisch anzuwendendes Gentherapeutikum auf Basis eines lebenden, replikationsdefizienten Herpes-simplex-Virus-1 (HSV-1). Das Gentherapeutikum, das ein funktionelles Gen für die Alpha-1-Kette des menschlichen Kollagens Typ VII (COL7A1) enthält, kann ein Gen, das einen genetischen Effekt korrigiert, sowohl in Keratinozyten als auch Fibroblasten einschleusen.
Auf diese Weise können Patienten, die an einer dominanten oder rezessiven Form der Epidermolysis bullosa dystrophica erkrankt sind, eine intakte Kopie des COL7A1 verabreicht werden. Dafür wird es als Gel auf die Wunden aufgetragen. Die FDA hat Beremagen geperpavec im Mai vergangenen Jahres eine Zulassung erteilt. In Europa ist das Gentherapeutikum noch nicht zugelassen.
In einer Arbeit, die in der aktuellen Ausgabe des »New England Journals of Medicine (NEJM)« publiziert wurde, beschreiben Dr. Arianna Tovar Vetencourt vom Bascom Palmer Eye Institute an der Miller School of Medicine der Universität von Miami und Kollegen einen Fall, bei dem das Gentherapeutikum experimentell bei einem 13-jährigen Jungen, der seit seiner Geburt an Hautblasen litt, am Auge eingesetzt wurde, um die drohende Erblindung des Kindes abzuwenden.
Der Junge hatte im Jahr 2020 an der Phase-III-Zulassungstudie für B-VEC teilgenommen. Durch die topische Anwendung von B-VEC verbesserte sich bei dem Kind signifikant die Heilung der vielen Hautläsionen. Da bei dem Kind auch die Augen von der Krankheit schwer betroffen waren, stellten die Forschenden die Hypothese auf, dass B-VEC auch eine therapeutische Option zur Behandlung der schweren und wiederkehrenden Augenoberflächenläsionen sein könnte.
Da eine Zulassung von Beremagen geperpavec für die Anwendung am Auge bisher nicht erteilt ist, testeten die Forschenden die lokale Gentherapie zunächst in einem Hornhautläsionsmodell an gesunden Mäusen. Histologisch ließen sich durch die Behandlung keine negativen Reaktionen an der Hornhaut von Tieren erkennen. Wurde jedoch statt des Gentherapievektors Wildtyp-HSV-1 am Auge der Tiere verabreicht, beobachteten die Forschenden eine schwere Herpes-Stroma-Keratitis.
Humanes COL7A1-Protein ließ sich in der mit B-VEC behandelten Hornhaut der Tiere, nicht jedoch im darunter liegenden Trigeminusganglion, nachweisen. Letztlich lieferten die Daten aus diesen Tierversuchen zusammen mit den positiven Daten aus den klinischen Versuchen an menschlicher Haut ausreichende wissenschaftliche Evidenz, um eine experimentelle topische Anwendung von B-VEC am Auge bei einem Patienten zu rechtfertigen.
Als ein schwerer Lidverschluss die zentrale Hornhaut beider Augen des Kindes erreichte, entschlossen sich die Forschenden, das rechte Auge des Jungen zu operieren und anschließend B-VEC auf die Hornhaut aufzutragen. Die Therapie erfolgte nach dem Prinzip des »Compassionate Use«.
Gleich im Anschluss an die Operation wurde in das Auge ein Tropfen der unverdünnten B-VEC-Suspension (5×109 plaquebildende Einheiten pro Milliliter) geträufelt und das Auge dann mit einer Amnionmembran vernäht. In den ersten zwei Wochen nach der Operation wurde B-VEC dreimal pro Woche verabreicht, danach einmal pro Woche. Das Auge wurde gleichzeitig mit topischem Prednisolon und Moxifloxacin behandelt.
Nachdem sich das Epithel vollständig geschlossen hatte, wurde die B-VEC-Anwendungen auf eine monatliche Verabreichung reduziert. Drei Monate nach dem Eingriff war das Hornhautepithel vollständig verheilt. Nach acht Monaten hatte sich Visus auf 20/25 verbessert, was einer annähernd normalen Sehstärke sehr nahekommt.
Der 14-jährige Patient litt bereits seit Jahren an der Erbkrankheit Epidermolysis bullosa dystrophica. Die Anwendung des Gentherapeutikums, die schon seine schlimmen Hautläsionen gebessert hatte, haben Forschende nun auch erstmals am Auge angewendet und konnten ihn so vor der Erblindung bewahren (oben: vor der Gentherapie, unten: danach). / Foto: Miller School of Medicine