Gentherapeutischer Ansatz beim Tay-Sachs-Syndrom |
Theo Dingermann |
25.03.2022 16:30 Uhr |
Erstmals konnten zwei Mädchen mit der sehr seltenen Erbkrankheit Tay-Sachs-Syndrom erfolgreich mit einer Gentherapie behandelt werden. / Foto: Fotolia/nobeastsofierce
Das Tay-Sachs-Syndrom, das vor allem unter Familien mit osteuropäischer jüdischer Herkunft (Aschkenasim) verbreitet ist, und die damit verwandte Sandhoff-Krankheit (SD) werden rezessiv vererbt und durch Mutationen in den HEXA- beziehungsweise HEXB-Genen verursacht. Die Gene kodieren für das heterodimere Enzym β-N-Acetylhexosaminidase A (HexA). Der Schweregrad der Krankheit korreliert mit der Restaktivität. Zu den Krankheitssymptomen gehören unter anderem die Unfähigkeit zu sitzen, Schluckbeschwerden, Krampfanfälle und ein fortschreitender Verlust des erworbenen Entwicklungsstatus des Kindes. Gegenwärtig gibt es keine wirksame Behandlung und die Krankheit führt innerhalb weniger Jahre zum Tod. Bisher lassen sich lediglich die Symptome therapieren.
Jetzt berichten Wissenschaftler um Professor Dr. Terence R. Flotte von der UMass Chan Medical School in Worcester, USA, in »Nature Medicine« über einen gentherapeutischen Ansatz bei zwei Patientinnen. Die beiden Mädchen mit infantilem Tay-Sachs-Syndrom wurden mit einer Gentherapie unter Verwendung eines adenoassoziierten Virus (AAV) als Vektor behandelt. Als einziger primäre Endpunkt der Studie war die Sicherheit der Intervention definiert worden.
Das erste Kind (TSD-001) war bei Behandlungsbeginn zweieinhalb Jahre alt und hatte Symptome im Spätstadium der Krankheit. Es wurde mit einer äquimolaren Mischung aus den Genvektoren AAVrh8-HEXA und AAVrh8-HEXB behandelt, die intrathekal verabreicht wurde. 75 Prozent der Gesamtdosis (1 × 1014 Vektorgenome) wurden in die Cisterna magna und 25 Prozent in die thorakolumbale Verbindungsstelle injiziert. Drei Monate nach der Behandlung hatte sich die Muskelkontrolle gebessert und die Patientin konnte ihre Augen fokussieren. Jetzt, im Alter von fünf Jahren, befindet sich das Kind in einem stabilen Gesundheitszustand und ist anfallsfrei, was für Patienten in diesem Alter normalerweise nicht möglich ist.
Das zweite Kind (TSD-002) wurde im Alter von sieben Monaten behandelt. Ihm wurden beidseitig in den Thalamus je 1,5 × 1012 Vektorgenome injiziert. Zudem erhielt es einer intrathekale Infusion mit 3,9 × 1013 Virusgenomen. Über drei Monate nach Therapiebeginn wurde eine Krankheitsstabilisierung mit fortschreitender Myelinisierung beobachtet. Mit etwas mehr als zwei Jahren ist die Patientin weiterhin anfallsfrei, wobei allerdings ein Fortschreiten der Krankheit erkennbar ist.
Die Injektionen wurden in beiden Fällen gut vertragen und es traten bisher keine vektorbedingten unerwünschten Ereignisse auf. Keine der beiden Patientinnen zeigte einen anhaltenden Anstieg des gesamten Anti-Capsid-Immunglobulins G (IgG) vom Ausgangswert bis zu sechs Monaten nach Behandlungsbeginn. Allerdings waren auch beide Patientinnen immunsupprimiert. Ein vorübergehender Anstieg des Gesamt-IgG-Gehalts, der zwei Monate nach der Behandlung dokumentiert wurde, steht wahrscheinlich im Zusammenhang mit einer intravenösen Immunglobulindosis einen Monat nach Therapiebeginn.
Die HexA-Aktivität in der Zerebrospinalflüssigkeit stieg nach den Behandlungen signifikant an und blieb bei beiden Patientinnen stabil, sodass die Autoren resümieren, dass die Studie frühe Sicherheits- und Proof-of-Concept-Daten für die Behandlung von Patienten mit TSD durch eine AAV-Gentherapie am Menschen liefert.
In einem Eintrag auf der Website SingulatityHub schreibt einer der Autoren, Professor Dr. Miguel Sena-Esteves: »Wir konnten diese Behandlungen den Kindern nur Dank der großzügigen Unterstützung einer betroffenen Familie anbieten. Dieser basisdemokratische Ansatz ist in der Forschung zu seltenen Krankheiten weit verbreitet; Entwicklung und Tests werden oft von Eltern, Stiftungen und staatlichen Zuschüssen unterstützt.«