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Falsche Signalstellung

Genetische Ursache für eine Form kindlicher Fettleibigkeit entdeckt

Fettleibigkeit ist gerade für Kinder schwer belastend. Diese in den Griff zu bekommen, ist generell schwierig – kaum möglich ist es, wenn die Fettleibigkeit durch einen genetischen Fehler verursacht wird. Ein solcher Fehler wurde nun genauer untersucht.
Theo Dingermann
20.12.2022  17:00 Uhr

In einer aktuellen Studie wird ein neuer genetischer Mechanismus beschrieben, der für eine schwere Fettleibigkeit bei Kindern verantwortlich ist. Durch die Mutation kommt es zu einer abnormen Expression eines Gens, das mit der Kontrolle des Hungergefühls in Verbindung gebracht wird, schreibt ein Team um Professor Dr. Antje Körnerin vom Zentrum für Pädiatrische Forschung an der Universitätsklinik für Kinder und Jugendliche der Universität Leipzig jetzt in der Fachzeitschrift »Nature Metabolism«. Bedeutsam sind die Forschungserbnisse auch, weil dieser genetische Marker von den meisten genetischen Routinetests für Fettleibigkeit nicht erkannt wird.

Bei dem durch die Mutation fehlregulierten Gen handelt es sich um den Melanocortin-4-Rezeptor (MC4R). Die Aktivierung des MC4R im Hypothalamus löst das Sättigungsgefühl aus beziehungsweise signalisiert das Fehlen von Hunger. Folglich führt eine Dysregulation der MC4R-Aktivierung oder -Funktion zu anhaltendem Hunger, unkontrolliertem Essen und somit Fettleibigkeit bei Kindern.

Die Forschenden konnten in Gewebeproben eines schwer fettleibigen Mädchens im Teenageralter zeigen, dass das Gen, welches für das sogenannte Agouti-Signalprotein (ASIP) kodiert, bei dieser Patientin auch in Zellen aktiv ist, in denen es normalerweise nicht exprimiert wird, darunter Fettzellen, weiße Blutkörperchen und Hypothalamus-ähnliche Neuronen.

Der Grund für diese Fehlexpression liegt in einer Reprogrammierung der Genregion, in der auch das Gen für das ASIP lokalisiert ist. Durch die Reprogrammierung gerät bei der Patientin eine Kopie des ASIP-Gens unter die Kontrolle eines konstitutiven Promotors, sodass in allen Geweben der Patientin unkontrolliert große Mengen an ASIP exprimiert werden.

Das hat Konsequenzen: Denn ASIP hemmt die MC4R-Aktivierung, weshalb bei der Patientin ein wichtiges Sättigungssignal stumm bleibt. Dieser komplexe, durch eine Translokation induzierte Mechanismus erklärt auch, weshalb bisher in der Klinik etablierte Routinetests auf genetische Marker, die mit Übergewicht assoziiert sind, nicht anschlagen. Allerdings ist es auf Basis der Daten der Leipziger Forschenden nun möglich, geeignete diagnostische Test zu konzipieren.

Screening unter Risikopatienten

Das Team entwickelte einen geeigneten diagnostischen Test und suchte in einer Kohorte von mehr als 1700 adipösen Kindern nach dieser genetischen Umlagerung. Es gelang, vier weitere Träger (drei Mädchen, einen Junge) zu identifizieren. Bei drei dieser vier Kinder wurde auch eine Überexpression des Agouti-Signalproteins nachgewiesen.

Dies ist eine sehr hohe Trefferquote für ein so komplexes Dysregulationsprinzip. Aus diesem Grund regen die Forschenden auch weitere Screenings in Risikopopulationen an. Zudem weisen die Autoren darauf hin, dass sie die Expression von ASIP und die MC4R-Hemmung zwar an isolierten Zellen, nicht jedoch im Gehirn der Patienten bestätigt haben. Für einen definitiven Zusammenhang zwischen der genetischen Veränderung und der Fettleibigkeit beim Menschen sind daher weitere Studien an Menschen und Tiermodellen erforderlich.

Allerdings spricht vieles für die Relevanz der Entdeckung. Denn das Prinzip dieser genetischen Erkrankung ist nicht neu. Aus Mausmodellen kennt man bereits den Zusammenhang einer Fehlregulation des ASIP mit der Konsequenz einer Fettleibigkeit. Die sogenannten »Agouti-Maus« erlangte in diesem Zusammenhang Berühmtheit. Allerdings wurde in diesem Tiermodell die Fehlexpression durch epigenetische Mechanismen induziert. Die Arbeit der Leipziger Forschenden demonstriert dieses Fehlregulationsprinzip jetzt erstmalig beim Menschen.

Mit Setmelanotid (Imcrivee®) steht sogar seit diesem Jahr eine mögliche Therapieoption bereit. Setmelanotid ist ein α-MSH-Mimetikum und selektiver MC4R-Agonist. Das neue Medikament ist allerdings zugelassen zu Behandlung von Patienten ab sechs Jahren mit genetisch bestätigtem, durch Funktionsverlustmutationen bedingtem biallelischem POMC-Mangel (einschließlich PCSK1) oder biallelischem Leptinrezeptor(LEPR)-Mangel.

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