Gelbes »Impfbuch für alle« soll Zweifler überzeugen |
Cornelia Dölger |
09.07.2021 16:00 Uhr |
Kostenlos und mit niedrigschwelligem Angebot: Seit Anfang Juli liegt in Apotheken das »Impfbuch für alle« aus. Laut Bundesgesundheitsministerium ist das Interesse daran groß. / Foto: AVNR
Noch vor wenigen Wochen heiß begehrt und inzwischen immer öfter verschmäht: Derzeit häufen sich die Nachrichten darüber, dass die Menschen in Deutschland impfmüde sind, Impftermine versäumen oder gar nicht erst vereinbaren. Dabei ist das Ende der Coronavirus-Pandemie längst nicht erreicht, darin sind sich Mediziner einig. Auch aus der Politik kommen warnende Rufe, es mit den Lockerungen nicht zu übertreiben, eben weil es noch keine Herdenimmunität gibt und gleichzeitig die Delta-Variante des Virus um sich greift. Genügend Impfstoff wäre allmählich da – genügend Nachfrage aber womöglich irgendwann nicht mehr.
Mussten also Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sowie Behördenchefs auf Landes- oder Kreisebene die Menschen noch vor Kurzem regelmäßig auf den Zeitpunkt vertrösten, an dem endlich genug Vakzine für alle Impfwilligen vorhanden sein würde, haben sie inzwischen einiges an Phantasie aufzubringen, um den Impfstoff überhaupt effektiv verteilen zu können. So gibt es mancherorts Impfbusse oder mobile Impfstationen, die die Menschen direkt erreichen sollen, anderswo wird auf Wochenmärkten geimpft. »Kreativere Impfangebote« sind gefragt, wie die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Sabine Dittmar, der Zeitung »Welt« sagte. Bürger müssten sich auch in Fußgängerzonen, Wohnsiedlungen und bei Veranstaltungen impfen lassen können.
Ähnlich wertet es die Ärztegewerkschaft Marburger Bund. »Da ist etwas mehr Kreativität bei den lokalen Behörden gefragt«, sagte deren Vorsitzende Susanne Johna der »Rheinischen Post«. »Wir müssen Menschen auch direkt ansprechen und nicht warten, bis sie ins Impfzentrum oder zum Hausarzt kommen. Je niedrigschwelliger, desto besser.« Entscheidend sei, diejenigen zu erreichen, die »noch zögern oder überzeugt werden wollen«.
Hierbei kommen nun auch die Apotheken ins Spiel. Wer dieser Tage eine Apotheke aufgesucht hat, wird womöglich ein kleines gelbes Büchlein im Handverkauf oder an anderer Stelle bemerkt haben, das kostenlos mitzunehmen ist. Es ist das so genannte »Impfbuch für alle«, ein Handbuch, das das Thema Corona-Schutzimpfung in leicht verständlicher Sprache erklären und den Menschen so zugänglicher machen soll. Seit Anfang Juli liegt es in vielen Apotheken aus und erfreut sich laut Bundesgesundheitsministerium großer Nachfrage: 80 Prozent der drei Millionen Exemplare seien bereits von den Apotheken in Deutschland bestellt worden, erklärte das Ministerium der PZ.
Und wie kommt das Buch bei denen an, an die es sich richtet? Nachgefragt bei einigen Apothekerverbänden, ergibt sich ein gemischtes Bild. Laut Apothekerverband Westfalen-Lippe etwa ist die Kundenresonanz auf das Heftchen »verhalten«, auch in Brandenburg gibt es demnach bislang keinen nennenswerten Andrang. Anders zum Beispiel in Nordrhein: Von dort meldet der Apothekerverband (AVNR) reges Interesse an dem »Impfbuch für alle«, wie AVNR-Chef Thomas Preis der PZ sagte. Zwar falle das Buch angesichts der vielen anderen Broschüren und Hefte, die in der Apotheke ausliegen, zunächst nicht weiter auf, so Preis. Tatsächlich sei es aber zumindest in seiner Apotheke in Köln beinahe vergriffen. »Das Impfbuch findet hier großen Anklang.« Viele Apothekenkunden fragten aktiv nach, insbesondere Menschen, die noch nicht geimpft seien oder noch ungeimpfte Verwandte und Bekannte hätten. »Gerade die, die noch zweifeln, nehmen das Buch oftmals mit.«
Ob die große Nachfrage auch an der Aufmachung liegt – das Büchlein hat das Format und die tiefgelbe Farbe von Impfausweisen –, sei dahingestellt. Zweifellos aber setzen die Herausgeber für den Erfolg auch auf die Zugkraft des prominenten Arztes, Wissenschaftsjournalisten und Kabarettisten Eckart von Hirschhausen, der das Heft mitverfasst hat. Dieser klärt schon länger über das Impfen auf, zuletzt vor allem über die Corona-Schutzimpfung, und nutzt dazu von den sozialen Medien über Talkshows oder eben Bücher alle möglichen Kanäle. Insofern wundert es nicht, dass Hirschhausens Beiträge für das Heft bereits auf der Titelseite publikumswirksam angepriesen werden. »Womöglich gehen viele davon aus, dass das Buch allein von Hirschhausen stammt«, vermutet Preis.
Tatsächlich aber entstand das »Impfbuch für alle« laut Bundesgesundheitsministerium aus einer Kooperation zwischen Ministerium, dem Robert-Koch-Institut (RKI) sowie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Es ist Teil der Kampagne #ÄrmelHoch für die Corona-Schutzimpfung des Ministeriums, verfasst von einem Redaktionsteam von RKI und BZgA, Von Hirschhausen ist einer der Co-Autoren – er tritt als Kolumnist mit Konterfei auf und wird als einziger Autor namentlich genannt. Drei Millionen Exemplare des 80 Seiten starken Handbuchs wurden gedruckt, zudem ist es im Internet abrufbar. So sei die Broschüre in ganz Deutschland erhältlich, Apotheken könnten nachordern, »so lange der Vorrat reicht«, erklärte das Ministerium auf PZ-Nachfrage.
Dabei sorgte dem Vernehmen nach insbesondere die Art und Weise der Bestellung anfangs für Irritationen. Um das »Impfbuch für alle« tatsächlich allen zugänglich zu machen, setzte das Bundesgesundheitsministerium – neben dem digitalen Angebot – von vornherein auf die Mithilfe der Apotheken. Über ihre Rolle bei der Verteilung wurden die Mitarbeitenden aber offenbar nicht ausreichend informiert, denn einige wunderten sich angeblich, als sie ab Anfang Juni Telefonanrufe mit Angeboten erhielten, ein Impf-Aufklärungsbuch von Eckart von Hirschhausen kostenlos bestellen zu können. Für Aufklärung sorgten dann die Landesapothekerverbände. Etwa schrieb der Verband Nordrhein gleich zwei Mal an seine Mitglieder, dass es sich bei den Telefonanrufen um eine mit dem Bundesgesundheitsministerium abgestimmte Aktion handele und insofern alles mit rechten Dingen zugehe. Ebenso verfuhr der Brandenburger Apothekerverband nach »einzelnen Anrufen von verunsicherten Mitgliedern«, teilte er mit. Auch der Verband Baden-Württemberg klärte seine Mitglieder gleich zu Beginn der Aktion auf, wie es auf PZ-Anfrage hieß.
Und dennoch bleibt ein Nachgeschmack, der aber weniger mit dem Bestellprozedere für das Impfbuch, sondern eher mit der tragenden Rolle zu tun hat, die der Kabarettist Von Hirschhausen dabei spielt. Dieser hatte sich zu Anfang des Jahres keine Freunde unter den Apothekern gemacht, als er in einer Talkshow kritisierte, dass diese sich an der politisch organisierten Verteilaktion von FFP2-Masken »gesundgestoßen« hätten. So zumindest zitierte es Anfang Juni der Chef der schleswig-holsteinischen Apothekerkammer, Kai Christiansen, in einem Brief an den Kabarettisten, der auch Thema bei der Kammerversammlung Mitte Juni war und der PZ vorliegt. Darin weist Christiansen die Kritik entschieden zurück. Nicht nur hätten die Apotheken ein erhebliches finanzielles Risiko bei der Maskenbestellung eingehen und während der Verteilaktion unzählige Überstunden mit ihren Teams leisten müssen. In einer solchen Dienstleistung stecke darüber hinaus ein enormer betriebswirtschaftlicher Aufwand. »Diesen in einer öffentlichen Fernsehdebatte unerwähnt zu lassen, schürt Neid und Missgunst«, schrieb der Kammerpräsident.
Dass sich das Bundesgesundheitsministerium und mithin auch Von Hirschhausen nun bei der Verteilung des Impfbuchs erneut auf die »flächendeckende Struktur der Vor-Ort-Apotheken verlassen« wolle, sei dabei zugleich erfreulich und überraschend, so Christiansen in dem Brief. Dem pflichtet AVNR-Chef Thomas Preis auf Nachfrage bei – allerdings betont er, dass sich unter den Apothekerinnen und Apothekern genügend eigene Impfexperten finden ließen. Auf diese könne beim nächsten Aufklärungsbuch gerne zurückgegriffen werden.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.