»Gehirnschleim« scheint Fettleibigkeit zu fördern |
Theo Dingermann |
23.09.2024 18:00 Uhr |
Durch ungesunde Nahrung bildet sich bei Mäusen ein Schleim um die Neuronen des Appetitzentrums im Gehirn, was zu einer Insulinresistenz der Zellen und zur Entstehung von Adipositas führt. / Foto: Getty Images/Jianhua Shao
Im Hypothalamus befindet sich eine Kernregion, der Nucleus arcuatus (ARC), deren Zellen Teil des Appetitzentrums sind. Die Neuronen dort sind sensibel für Insulin und regulieren unter anderem die Ausschüttung von appetitzügelnden Botenstoffen. Werden die Nervenzellen insulinresistent, geht ein kontrolliertes Essverhalten verloren.
Die Ursachen für den Verlust der Insulinsensitivität in dieser wichtigen Region haben Forschende um Cait A. Beddows von der University of Melbourne in Australien genauer untersucht. Ihre Untersuchungen mit Ratten- und Mausmodellen publizierten sie im Fachjournal »Nature«.
Das Team konnte zeigen, dass sich der Charakter der extrazellulären Matrix im ARC innerhalb weniger Wochen verändert, wenn Mäuse eine ungesunde Nahrung erhielten. Die Konsistenz der Gerüststruktur im Zellzwischenraum wurde immer dicker und klebriger, also schleimig. Auch die Expression der Hauptkomponenten perineuronaler Netze – einschließlich der Proteine, die mit Chondroitinsulfat-haltigen Zuckerstrukturen modifiziert sind – war bei den adipösen Mäusen erhöht.
So wie die Tiere an Gewicht zunahmen, konnten ihre Hypothalamus-Neuronen immer schlechter auf Insulin reagieren, selbst wenn das Hormon direkt in ihr Gehirn injiziert wurde. Die Insulinmoleküle erreichten ihre Rezeptoren auf der Zelloberfläche nicht mehr mit der Konsequenz, dass sich eine Insulinresistenz bei den Zellen in dieser wichtigen Schaltregion einstellte.
Durch den extrazellulären Schleim entladen sich die Neuronen, die unter anderem durch die Expression des Neuropeptids AgRP (Agouti-related Peptide) charakterisiert sind, häufiger spontan. Diese Neuronen liefern auch hemmende Impulse an eine andere Region im Hypothalamus, durch die die Fehlfunktion im hypothalamischen Schaltkreis weiterverbreitet wird.
Um zu beweisen, dass die gestörte extrazelluläre Matrix um die AgRP-Neuronen der entscheidende Auslöser für die Stoffwechselfehlregulation ist, bauten die Forschenden die perineuronale Struktur enzymatisch ab. Dadurch ließen sich annähernd normale Insulinspiegel und eine korrekt funktionierende Signalübertragung im ARC wiederherstellen. Dies regulierte auch die Expression mehrerer Kaliumkanäle hoch. Der in der Folge erhöhte K+-Strom in den AgRP-Neuronen senkte die gesteigerte Signalfrequenz der betroffenen Neuronen wieder.
Interessant ist, dass die Normalisierung des Körpergewichts durch die Wiederherstellung der Insulinsensitivität zu einem großen Teil darauf beruhte, dass die Tiere nun weniger fraßen.
Dass die Insulinresistenz ursächlich für die Pathologie bei den adipösen Tieren war, belegten die Forschenden durch die Inaktivierung des Insulinrezeptorgens in den AgRP-Neuronen. Umgekehrt war die Signalübertragung durch Leptin, ein appetitminderndes Hormon, unabhängig von perineuronalen Netzen. Dies zeigte sich auch dadurch, dass sich eine Leptinresistenz bei adipösen Mäusen durch die enzymatische Verdauung der extrazellulären Matrix nicht beeinträchtigen ließ.
Auch Entzündungsprozesse im Gehirn scheinen dabei eine Rolle zu spielen. So hatten adipöse Mäuse ungewöhnlich hohe Spiegel der entzündungsfördernden Proteine TNF-α und TGF-β. Dies ging mit einer verringerten Expression extrazellulärer Metalloproteinasen (Enzyme, die Bestandteile der extrazellulären Matrix abbauen) einher. Inhibierten die Forschenden die Entzündungsfaktoren, normalisierten sich die Expression von Metalloproteinasen und die Organisation der perineuronalen Netze im ARC.