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Neue Leitlinie pAVK

Gehen für die Gesundheit

Nach acht Jahren ist die S3-Leitlinie zur peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) endlich aktualisiert worden. Unter dem Strich ist die Therapie jetzt konservativer denn je: Strukturiertes Gehtraining hat einen höheren Stellenwert und wird zum wichtigsten Pfeiler der Therapie. Selbst Katheter-Eingriffe profitieren von gezielter Bewegung.
Elke Wolf
22.05.2025  07:00 Uhr

Die ganzheitliche Therapie der pAVK ist ein zentraler Punkt der aktualisierten Leitlinie. »Durchblutungsstörungen betreffen den ganzen Organismus und spielen sich nicht nur in den Beinen ab. Die Betroffenen sind mehrfacherkrankt: Viele haben zusätzlich Typ-2-Diabetes, Übergewicht und Bluthochdruck, tragen also ein hohes Risiko, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden«, erklärte Privatdozent Dr. Ulrich Rother, Vorsitzender der Kommission pAVK und Diabetischer Fuß der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG), kürzlich bei der DGG-Jahrestagung die Notwendigkeit einer interdisziplinären Behandlung dieser Volkskrankheit. Bis zu 10 Prozent der Menschen in Deutschland seien von einer pAVK betroffen.

Insgesamt 22 Fachgesellschaften plus Patientenvertretern waren an der Ausgestaltung der Leitlinie beteiligt. Die Federführung lag wie zuvor bei der Deutschen Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin (DGA). Aber selbst der Gefäßchirurg vom Uniklinikum Erlangen sagte: »Ziel muss es sein, das Gefäßsystem möglichst lange in Ruhe zu lassen. Der Stellenwert der konservativen Therapie und vor allem des Bewegungstrainings wird dank seiner Effektivität stark aufgewertet.«

Konkret empfehlen die Leitlinienautoren ein Gehtraining als Initialtherapie im Stadium II, also wenn sich Schmerzen im Beim beim Gehen bemerkbar machen. In Kombination mit einer lipidsenkenden und antithrombotischen Therapie sollen die Aktiv-Einheiten mindestens drei bis sechs Monate konsequent durchgeführt werden. Erst wenn sich die klinische Symptomatik danach nicht verbessert hat, können ab Stadium IIb invasive Maßnahmen erwogen werden. Allerdings muss, das betont die Leitlinie sehr klar, eine ausführliche Aufklärung über damit verbundene Risiken wie der Amputationsgefahr erfolgen.

Auch ein operativer Eingriff, bei dem endovaskulär mithilfe eines Katheters Ballons oder Stents gesetzt oder offen chirurgisch Bypässe gelegt werden, entbindet nicht vom Gehtraining: »Der Erfolg von interventionellen Therapien kann nur dann gehalten werden, wenn anschließend ein konsequentes und einigermaßen strukturiertes Bewegungstraining erfolgt. Nach einer erfolgreichen Rekanalisation bleiben die Gefäße desto länger offen, je länger und öfter man trainiert. Es ist deshalb fundamental, die Betroffenen zu mehr Bewegung anzuhalten.«

Therapeutische Maßnahmen Stadium I Stadium II Stadium III Stadium IV
Risikofaktorenmanagement:
Nikotinkarenz, Diabetestherapie, Statine
Blutdruckbehandlung
+ + + +
Thrombozytenaggregationshemmung:
ASS oder Clopidogrel
+ + +
Bewegungstherapie:
strukturiertes Gehtraining
+ +
Medikamentöse Therapie:
Cilostazol oder Naftidrofuryl
(+)
Strukturierte Wundbehandlung +
Endovaskuläre Therapie +* + +
Offen chirurgische Therapie +* + +
Therapiemöglichkeiten der pAVK in Abhängigkeit des vorliegenden Stadiums / +) Empfehlung, *) bei fehlender Besserung unter konservativer Therapie, hohem individuellem Leidensdruck und geeigneter Gefäßmorphologie / Quelle: S3-Leitlinie

Zum ersten Mal macht die Leitlinie detaillierte Angaben, wie ein »Gefäßtraining« überhaupt gestaltet sein sollte. Dabei hat das so genannte strukturierte Gehtraining eine A1-Empfehlung bekommen, während es eine A2-Empfehlung für ein »häusliches Bewegungstraining mit Zielvorgaben und engem zielorientiertem Monitoring« gibt, wenn das Gehtraining nicht machbar ist. Präferiert wird das Training in der Gruppe. »Durch die Gruppendynamik fällt es leichter, Risikofaktoren wie beispielsweise das Rauchen, falsche Ernährung und Bewegungsmangel zu bekämpfen«, erläuterte Rother.

Bis an die Schmerzgrenze

Dabei sollten die Bewegungseinheiten intervallmäßig erfolgen, also mehrere Wiederholungen mit jeweils eingeschalteten Pausen, mindestens dreimal wöchentlich für 30 bis 60 Minuten. Ein Schrittzähler (»Pedometer«) misst die täglichen Gehstrecken und kontrolliert so die Trainingsleistung. Die »maximale Gehstrecke« wird am deutlichsten mit Gehtraining hoher Intensität verbessert.

Am besten geht man wie folgt vor: Gehen bis Schmerzen einsetzen. Das hat zum Ziel, dass sich durch die so induzierte Ischämie die Perfusion verbessert. Der zurückgelegte Weg entspricht der schmerzfreien Gehstrecke. Dann erfolgt eine kleine Pause von etwa einer Minute. Danach beginnt man, 90 Prozent der Strecke erneut zu gehen. In diesem Rhythmus trainiert man erst eine halbe, später eine Stunde lang. Tipp: Gegen die Schmerzen in den Beinen sind auch regelmäßige Armmuskelbewegungen hilfreich, etwa mittels Armkurbel.

Die schmerzfreie Gehstrecke lässt sich auch durch alternative Trainingsformen steigern, und zwar in einer Intensität, die unterhalb der Schmerzgrenze liegen kann. Die Leitlinienautoren nennen konkret Radfahren, Krafttraining der unteren Extremitäten, Nordic Walking oder Kombinationen davon.

Rheologika kommen bei Weitem nicht an den Effekt von Gehtraining heran. Cilostazol und Naftidrofuryl sollten leitliniengemäß nur noch dann eingesetzt werden, wenn die Gehstrecke unter 200 Metern beträgt und ein Bewegungsprogramm nicht möglich ist. Zeigt sich nach drei Monaten keine Besserung, ist die Therapie abzusetzen. Zwar konnten beide – vor allem in älteren Studien – die Verbesserung der Gehstrecke nachweisen, doch für die Risikoreduktion von kardiovaskulären Ereignissen gebe es keine Evidenz, schreiben die Gefäßexperten.

Das Problem: Trotz hoher Evidenz lässt die Therapietreue der Patienten zu wünschen übrig. Hinzu kommt die schlechte Versorgungslandschaft in Deutschland. »Leider sind in Deutschland Gefäßsportgruppen nur sehr wenig vorhanden«, so Rother. Deshalb sei das Ausweichen auf eine Herzsportgruppe oder andere örtlich verfügbare Rehasportangebote nötig. »Der hausärztliche Bereich ist hier stärker gefordert. Wir versuchen außerdem vermehrt mit lokalen Sportvereinen zu kooperieren, aber es gibt da keine zentrale Steuerung«, kennt Rother das Problem.

Erkrankung des Systems

Eigentlich ist es logisch: Atherosklerose ist ein Phänomen, das sich in allen Gefäßen des Organismus von Kopf bis Fuß zeigt. In der Regel sind bei pAVK-Patienten nicht nur die Arterien der Beine verengt, sondern gleichzeitig auch die herz- und hirnversorgenden Schlagadern. Tatsächlich gibt es eine sehr hohe Kreuzmorbidität. Bis zu 70 Prozent der pAVK-Patienten haben eine relevante koronare Herzerkrankung, 10 bis 20 Prozent der Betroffenen haben Stenosen und Verschlussprozesse der Gehirngefäße, der Halsschlagader und der intrakraniellen Gefäße, nennt die Leitlinie konkrete Zahlen Hinzu kommen bei etwa der Hälfte der Patienten eine Diabetesdiagnose, 20 Prozent haben eine Fettstoffwechselstörung.

Das macht die PAVK aber auch zu einem wichtigen Vorboten von Herzinfarkt und Schlaganfall. Betroffene haben erwiesenermaßen ein erhöhtes Infarkt- und Schlaganfallrisiko. Eine pAVK vervierfacht das Risiko, in den nächsten zehn Jahren an einem Herzinfarkt oder Schlaganfall zu sterben. Jeder dritte bis vierte Patienten mit Claudicatio intermittens erleidet innerhalb von fünf Jahren nach der Diagnose ein kardiovaskuläres Ereignis.

Wie streng muss Lipidsenkung sein?

Die Pathophysiologie macht deutlich, dass die Säulen der pAVK-Behandlung die Wiederherstellung und Erhaltung der arteriellen Perfusion der Extremitäten genauso wie die Behandlung der kardiovaskulären Risikofaktoren und der Begleiterkrankungen sein müssen – was auf eine Änderung des Lebensstils hinausläuft. So empfiehlt die Leitlinie denn auch, möglichst frühzeitig sämtliche Risiken für die Gefäße zu minimieren, das heißt Nikotinverzicht, Abbau von Übergewicht, Normalisierung des Blutdrucks, des Blutzuckers und der Blutfettwerte.

Das Hauptaugenmerk der medikamentösen pAVK-Therapie gilt der Lipidsenkung. Deren Nutzen geht über die kardiovaskulären Effekte hinaus. Das gilt vor allem für die Statine, da sie die schmerzfreie Gehstrecke verlängern und die Gesamtsterblichkeit nachweislich zu reduzieren vermögen. So bekommen denn auch die High-Intensity-Statine Atorvastatin und Rosuvastatin in der aktualisierten Leitlinie mit breitem Konsens eine A1-Empfehlung. Dabei sollte – und das ist neu im Vergleich zur Vorgänger-Leitlinie – ein LDL-Zielwert < 55 mg/dl bei gleichzeitiger Absenkung um mindestens die Hälfte erreicht werden, gegebenenfalls durch Kombination mit anderen Lipidsenkern.

Die Allgemeinmediziner sehen das nicht ganz so streng und haben an dieser Stelle ein Sondervotum geltend gemacht. Sie stehen nicht hinter dieser strikten Zielwertstrategie und lehnen sie wegen nicht ausreichender Evidenz und hohem Aufwand bei unklarem Nutzen ab. Vorzüglich High-Intensity-Statine einzusetzen, halten sie für nicht in die Praxis umzusetzen. Stattdessen plädieren sie für Statine mit »mindestens moderater Potenz«.

Die Praxis zeigt: Zehn bis 15 Prozent der Patienten beschreiben unter einer Statintherapie Unverträglichkeiten oder klagen über Muskelschmerzen. Sie steigen deshalb aus der Therapie aus, auch wenn dahinter ein Noceboeffekt vermutet wird. Ein häufiger Fehler ist der Einstieg mit einer hohen Statindosis. Es empfiehlt sich deshalb, mit niedriger Dosis einzuschleichen oder das niedrig dosierte Statin mit Ezetimib zu kombinieren. Eine weitere Möglichkeit: das Statin nur jeden zweiten Tag oder zwei Mal pro Woche einzunehmen. Die Erfahrung zeigt: Auch die moderate LDL-Senkung hat noch klinische Effekte. PCSK9-Inhibitoren sind hochwirksame Alternativen , wenn Statine nicht vertragen werden. Klinische Ergebnisse einer großen randomisierten Studie belegen die Reduktion der Majoramputationen bei Patienten mit PAVK.

Neben der Senkung der Gesamt- und LDL-Cholesterol-Werte gilt der Therapieblick auch der Blutverdünnung. Die Leitlinienautoren empfehlen bei symptomatischen pAVK-Patienten die dauerhafte Gabe von Thrombozytenaggregationshemmern. Dabei erhält aber diesmal Clopidogrel 75 mg/d gegenüber ASS 10 mg/d den Vorzug mit einer B2-Sollte-Empfehlung – international ist diese Vorgehensweise bereits lange Standard, für Deutschland ist es neu.

Die duale Thrombozytenhemmung – also ASS plus Clopidogrel – kommt für Patienten, die sich noch keinem Gefäßeingriff unterzogen haben, nicht infrage. Sie bleibt nur eine Kann-Option als Sekundärprophylaxe nach einer Interventionstherapie für maximal sechs Monate. Dafür sprechen sich alle Fachgesellschaften aus. Die Kombination von ASS (100 mg) und Rivaroxaban (2,5 mg/d) sollte bei vaskulären Hochrisikopatienten ohne erhöhtem Blutungsrisiko erwogen werden (B1-Empfehlung). Jene pAVK-Patienten, die gleichzeitig oral antikoaguliert werden, sollen keine routinemäßige zusätzliche Gabe eines Thrombozytenaggregationshemmers bekommen.

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