Gefährliche E. coli verdrängen statt vernichten |
Daniela Hüttemann |
04.07.2025 10:30 Uhr |
Elektronenmikroskopische Aufnahme des Escherichia-coli-Stamms, der multiresistente E.-coli-Stämme verdrängen kann. / © HZI/Mathias Müsken
Bei rund 90 Prozent der Menschen kommt das Bakterium Escherichia coli im Darm vor. »Es ist eine Art Nutznießer, der im Darm seine Nahrungsnische gefunden hat und sich dort dauerhaft ansiedeln kann«, erklärt Dr. Marie Wende von der Abteilung Mikrobielle Immunregulation am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in einer Pressemitteilung des Instituts. »Abgesehen von einigen Stämmen, die Magen-Darm-Infekte auslösen können, ist die Mehrzahl der E.-coli-Stämme im Darm eigentlich harmlos. Gelangen E.-coli-Bakterien jedoch in die Blutbahn, kann es gefährlich werden, da sie Organe schädigen oder zu einer Blutvergiftung führen können.« Das gilt vor allem dann, wenn die Bakterien multiresistent gegen Antibiotika sind.
»Infektionen mit multiresistenten E.-coli-Bakterien führen weltweit zu rund 800.000 Toten jährlich. Das ist eine unglaublich hohe Zahl – hier besteht dringender Handlungsbedarf«, sagt Abteilungsleiter und korrespondierender Autor Professor Dr. Till Strowig. »Gegen eine Infektion mit multiresistenten E.-coli-Bakterien hilft dann als letzte Option im besten Fall noch ein Reserve-Antibiotikum.« Doch Reserve-Antibiotika hätten oftmals schwere Nebenwirkungen und seien nur begrenzt verfügbar.
Am HZI hatte man nun die Idee, solche multiresistenten E. coli aus dem Darm zu vertreiben, bevor sie Schaden anrichten können – und zwar durch Nahrungskonkurrenz mit ihren harmlosen Verwandten. Unter mehr als 430 verschiedenen E. coli-Stämmen, die die Forschenden aus Stuhlproben von Spendern isoliert hatten, konnten sie einige ausmachen, die einen multiresistenten E.-coli-Stamm erfolgreich verdrängten, indem sie ihm die Nahrung »wegaßen«. Das wies die Gruppe zunächst im Labor am Darminhalt steril gehaltener Mäuse nach. »Einige Stämme konnten das Wachstum des multiresistenten Stamms tatsächlich stark hemmen und waren offensichtlich in der Lage, ihm die Nahrungsgrundlage zu entziehen«, berichtet Erstautorin Wende.
Die vielversprechendsten Kandidaten testeten die Forschenden anschließend an Versuchstieren. »Wir konnten zeigen, dass diese E.-coli-Stämme auch im Darm von Mäusen in der Lage waren, den multiresistenten E.-coli-Stamm erfolgreich einzudämmen«, sagt Wende. »Den wirksamsten Stamm testeten wir noch gegen einen weiteren multiresistenten Stamm. Den konnte er ebenso erfolgreich verdrängen.«
Im weiteren Versuchsverlauf ließen sie die drei erfolgreichsten Stämme gegen ein großes Spektrum multiresistenter Stämme antreten – und stellten den schützenden E. coli mit dem Bakterium Klebsiella oxytoca einen Partner zur Seite, der etwas andere Nahrungsvorlieben hat. Diese Kombination habe sich als äußerst wirksam gegen multiresistente E.-coli-Stämme erwiesen, die durch einzelne E.-coli-Stämme nicht effizient verdrängt werden konnten, berichtet Wende. »Durch die Kombination konnten sie im Mausmodell komplett eliminiert werden.« Die Studienergebnisse wurden jetzt im Fachjournal »Nature Communications« veröffentlicht.
»Auf diese Weise könnten künftig gefährliche Infektionen bei vulnerablen Patientengruppen vermieden und auch die weitere Verbreitung multiresistenter Darmbakterien eingedämmt werden«, hofft Strowig. Besonders gefährdet seien schwer oder chronisch Kranke sowie Menschen mit geschwächtem Immunsystem. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg.
Als nächster Schritt will die Arbeitsgruppe die besonders wirksamen Stämme genauer untersuchen, vor allem dahingehend, ob sie für den Menschen wirklich ungefährlich sind und nicht etwa schädliche Stoffe ausscheiden, wie das Immunsystem auf sie reagiert oder ob sie womöglich selbst resistent gegenüber Antibiotika werden.
»Unser langfristiges Ziel ist die Entwicklung eines neuartigen Medikaments, das aus definierten Bakterienstämmen besteht«, erklärt Strowig gegenüber der Pharmazeutischen Zeitung. »Wir sind bestrebt, diese Erkenntnisse in die Anwendung zu bringen und arbeiten aktiv an der Entwicklung von Lebenden Biotherapeutischen Produkten (LBP), einer neuen Klasse an Arzneimitteln bestehend als lebenden Mikroorganismen«, ergänzt Dr. Lisa Osbelt-Block, die die strategische Weiterentwicklung leitet und ebenfalls an der Publikation beteiligt war. Dafür soll mit Arvalus Therapeutics ein Spin-off mit Fokus auf LBP gegen multiresistente Bakterien gegründet werden.
In den kommenden zwei Jahren soll ein erstes Prototyp-Präparat mit anderen Bakterienstämmen hergestellt werden, in desssen endgültige Formulierung später die erforschten Stämme eingefügt werden sollen. Eine Erprobung am Menschen könne frühestens in zwei bis drei Jahren im Rahmen einer ersten klinischen Studie erfolgen.
»Die Sicherheit der verwendeten Bakterienstämme von Klebsiella oxytoca und E. coli steht dabei an oberster Stelle«, betont Osbelt-Block. »Da es sich bei den verwendeten Bakterien um Enterobakterien handelt, welche von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) generell als Probiotika ausgeschlossen sind und somit nicht einfach so in freiverkäuflichen Produkten verwendet werden dürfen, muss eine Zulassung als Arzneimittel erfolgen.«