Ganz Italien soll zu Hause bleiben |
In ganz Italien gilt ab heute: Wer kann, soll zu Hause bleiben. / Foto: Getty Images/golero
Weltweit haben sich inzwischen mehr als 110.000 Menschen nachweislich mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert, die Dunkelziffer liegt Experten zufolge noch wesentlich höher. Die Zahl der Infizierten in Deutschland stieg bis Montagnachmittag auf 1.139, knapp die Hälfte davon verzeichnete NRW. Dort traten am Montag auch die ersten zwei Todesfälle innerhalb Deutschlands auf. Eine 89-jährige Frau aus Essen sei an einer Lungenentzündung in Folge der Coronavirus-Infektion gestorben, teilte die Stadt mit. Sie sei seit Anfang März in der Universitätsklinik behandelt worden. Ein 78-jähriger Mann habe sich vergangenen Freitag in einem Krankenhaus in Geilenkirchen gemeldet und sei an Herzversagen gestorben, sagte der Heinsberger Landrat Stephan Pusch. Der Mann habe unter Vorerkrankungen wie Herzproblemen und Diabetes gelitten. Er habe vorher eine Karnevalssitzung besucht.
Die Ausbreitung von SARS-CoV-2 ist nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) noch lange nicht vorbei. «Wir sind noch am Anfang oder in der Mitte dieses Verlaufs», sagte WHO-Nothilfekoordinator Michael Ryan am Montag in Genf. «In vielen Ländern wird es noch schlimmer werden, bevor es besser wird», warnte Maria van Kerkhove, Leiterin der WHO-Abteilung neue Krankheiten. «Wir sehen aber Licht am Endes des Tunnels», fügte sie hinzu. Die Beispiele von China und Singapur, die den Anstieg der Fälle deutlich reduziert haben, sei ein Hoffnungszeichen.
Die Krankheit könne eingedämmt werden, betonen die WHO-Experten. Notfalls auch mit drastischen Maßnahmen wie in China oder Italien, wo die Bewegung der Menschen in bestimmten Regionen stark eingeschränkt wurde. Dies helfe zumindest, die Ausbreitung zu verlangsamen und gebe anderen Regionen Zeit, sich vorzubereiten, so Ryan. In diesem Zusammenhang seien Reisebeschränkungen eine vernünftige taktische Strategie.
Chinas Behörden meldeten am Dienstag nur noch 19 neu nachgewiesene Virusfälle und 17 weitere Todesfälle. Nicht nur der Anstieg der Infektionen war relativ gering, auch der tägliche Zuwachs der Todesfälle war der niedrigste seit sechs Wochen. Damit sind in der Volksrepublik 3.136 Tote zu beklagen. Seit Beginn der Epidemie im Dezember haben sich nach der offiziellen Statistik insgesamt 80.754 Menschen in Festlandchina mit dem neuen Coronavirus infiziert. Fast 60.000 haben die Krankenhäuser wieder verlassen. Inwieweit die offizielle Statistik aber die wahre Lage widerspiegelt und wie hoch die Dunkelziffer ist, scheint unklar. Seit einer Änderung der Zählweise Mitte Februar hat sich der täglich berichtete Anstieg der neuen Infektionen mit SARS-CoV-2 und der Todesfälle in der amtlichen Auflistung spürbar reduziert.
Auch in Südkorea sank die Zahl der Neu-Infizierten. Am Montag habe es 131 weitere Fälle gegeben, teilten die Gesundheitsbehörden am Dienstag mit. Das war die niedrigste Zunahme an einem Tag seit zwei Wochen. Die Gesamtzahl stieg auf mehr als 7.500. Bisher gab es in Südkorea 54 Todesfälle, die mit dem neuartigen Coronavirus in Verbindung gebracht werden.
In Europa dagegen breitet sich das Virus weiter rasant aus. Im am stärksten betroffenen Land Italien weitete die Regierung die Sperrungen und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit auf das ganze Land aus. Die 60 Millionen Einwohner sollen seit Dienstag möglichst zu Hause bleiben. Das Robert-Koch-Institut reagierte sofort und erklärte ganz Italien zum Risikogebiet (ebenso den Iran). Die Bundesregierung rät seit heute von allen nicht erforderlichen Reisen nach Italien ab. Die Reisehinweise des Auswärtigen Amts wurden am Dienstag entsprechend aktualisiert.
Auf eine Reisewarnung wie für Teile Chinas verzichtet die Bundesregierung weiterhin. Reisewarnungen werden nur bei einer akuten Gefahr für Leib und Leben ausgesprochen und sind daher selten. Sie können eine kostenfreie Stornierung von Reisen ermöglichen. Das Auswärtige Amt weist darauf hin, dass die Rückkehr an einen Wohnort sowohl innerhalb als auch außerhalb Italiens derzeit weiterhin möglich ist. Mit Kontrollen und Nachfragen von Sicherheits- und Ordnungskräften müsse aber gerechnet werden. Eine Selbsterklärung über die Notwendigkeit einer Fahrt innerhalb des Landes müsse ausgefüllt und mitgeführt werden.
Die Regierung in Rom hatte am Montagabend die zuvor im Norden des Landes verhängten Sperrungen auf das ganze Land ausgedehnt. Die Menschen dürfen nach den neuen Regeln nur aus wenigen Gründen ihr Haus verlassen. Als Ausnahmen gelten Einkaufen, wenn man zur Arbeit muss, Arztbesuche oder die Hilfe alter oder kranker Verwandter. Das Besuchen von Freunden oder Spaziergänge in anderen Orten sind untersagt. Kinos und Theater sind landesweit geschlossen. Läden, Bars und Restaurants haben nur eingeschränkt geöffnet.
Es gebe keine Zeit zu verlieren, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, sagte Premierminister Giuseppe Conte am Montagabend. Internationale Zug- und Flugverbindungen sowie der öffentliche Nahverkehr sollen aber nicht gestoppt werden. Touristen konnten auch bisher aus den Sperrzonen im Norden ausreisen. Allerdings hatten Fluglinien ihre Verbindungen in den Norden zusammengestrichen oder ganz ausgesetzt. An den Grenzen sollen Einreisende nach Italien kontrolliert werden. Angesichts der Epidemie hatte das Auswärtige Amt in Berlin schon vorher von Reisen in zahlreiche Gebiete im Norden und in der Mitte Italiens abgeraten. Rückkehrer aus den vom Robert-Koch-Institut (RKI) ausgewiesenen Risikogebieten werden zum Teil 14 Tage in häusliche Quarantäne geschickt.
Die Schließung aller Schulen, Universitäten und Kindergärten in ganz Italien wurde von Mitte März auf mindestens Anfang April verlängert. Mittlerweile haben sich fast 10.000 Menschen angesteckt, mehr als 460 sind gestorben. Die Krankenhäuser in den besonders betroffenen Zonen im Norden, etwa in der Lombardei, sind am Limit, Plätze in den Intensivstationen sind knapp. Die Ausbreitungswelle des neuen Coronavirus war im Februar zuerst aufgefallen. Vermutlich ist das Virus aber schon länger im Land.
Eine Ausbreitung wie in Italien kann nach Einschätzung des Arztes und SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach hierzulande noch verhindert werden. In Deutschland gebe es einen guten Überblick über die Zahl der infizierten Menschen. Das sei ein Vorteil, der in den kommenden Wochen zur Verlangsamung der Epidemie genutzt werden sollte, sagte der SPD-Politiker am Dienstag im ZDF-«Morgenmagazin». «Wir müssen verhindern, dass so etwas vorkommt wie in Italien. Das können wir derzeit noch.»
Die Empfehlung von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern abzusagen, hält Lauterbach für «sehr, sehr sinnvoll». Er habe allerdings kein Verständnis dafür, dass das auf lokaler Ebene oft nicht umgesetzt werde.
Spahn fordert derweil heute die Deutschen in einem Gastbeitrag in der »Bild« zu solidarischem Handeln. «Wir werden diese Situation bewältigen. Wenn wir alle mithelfen, zusammenhalten und einander auch unter Stress vertrauen.» Weiter heißt es: «Es geht. Und am besten geht es gemeinsam.» Der Höhepunkt der Epidemie sei noch nicht erreicht. «Wir erwarten einen weiteren Anstieg der Infektionen», schrieb Spahn: «Es wird weitere Einschränkungen unseres Alltags geben.» Spahn schrieb, das Coronavirus sei eine große Herausforderung «für uns als ganze Gesellschaft». Das Virus werde den Alltag verändern.
«Je weniger Menschen sich gleichzeitig anstecken, desto besser kann unser Gesundheitssystem damit umgehen», schrieb Spahn. Gerade Ältere und chronisch Kranke seien auf eine ausreichende Zahl verfügbarer Intensivbetten angewiesen. «Oberstes Ziel ist es daher, den Ausbruch zu verlangsamen.» Klar sei: Die Sicherheit aller gehe vor – auch vor wirtschaftlichen Interessen. Doch das öffentliche Leben einzuschränken, sei keine einfache Entscheidung. Öffentlichkeit gehöre zur Demokratie. «Das soll so bleiben. Deshalb müssen wir behutsam und besonnen vorgehen.» Flächendeckende Schulschließungen sehe er skeptisch. «Weil Eltern dann ihre Kinder betreuen müssen und auch nicht mehr im Krankenhaus arbeiten können.»
Angesichts des sich ausbreitenden Coronavirus verlangt der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, das Arbeiten im Homeoffice unbürokratisch zu ermöglichen. «Viele Menschen möchten aus Sorge vor einer Ansteckung zurzeit lieber von Zuhause aus arbeiten», sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Sie wollten zum Beispiel nicht lange Wege in öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen. Dies sei auch aus Gründen des Infektionsschutzes sinnvoll.
Viele Arbeitnehmer in Deutschland möchten einer Umfrage zufolge angesichts der Coronavirus-Epidemie lieber im Homeoffice arbeiten. PwC Strategy hatte vergangene Woche 716 Arbeitnehmer in Deutschland befragt, die bevölkerungsrepräsentativ nach Alter, Geschlecht und Region ausgewählt worden sind. 38 Prozent sagten, sie wünschten sich von ihrem Betrieb bessere Möglichkeiten, vorsichtshalber zu Hause zu arbeiten. Aktuell hatten demnach nur 14 Prozent der Befragten eine erweiterte Homeoffice-Möglichkeit.
Gut ein Drittel der Befragten verzichtet in den nächsten Wochen grundsätzlich auf die Teilnahme an externen Meetings, Kongressen und Veranstaltungen. Aber nur 19 Prozent der befragten Arbeitnehmer sagten, die Vorschriften zur Reiseplanung seien geändert worden. Weitere 19 Prozent sagen, sie würden gern verzichten, wenn ihr Arbeitgeber dies zulasse. Auf der anderen Seite sagte jeder Vierte, er habe keine Angst vor einer Ansteckung. Weit verbreitet in den Betrieben sind Informationen zur Hygiene und die Ausgabe von Desinfektionsmitteln. Knapp die Hälfte erwartet, dass ihr Unternehmen die Schutzmaßnahmen in nächster Zeit ausweiten wird.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.