Fünf Preisträger, fünf Wirkmechanismen |
Kerstin A. Gräfe |
18.09.2025 11:00 Uhr |
PZ-Chefredakteur Sven Siebenand stellte in der Pharma-World innovative Arzneistoffe vor, die mit dem PZ-Innovationspreis ausgezeichnet wurden. / © PZ/Alois Müller
In den Jahren 2021 und 2022 räumten zwei Lipidsenker den Preis ab: Bempedoinsäure und Inclisiran. »Mit Bempedoinsäure ist damals eine Alternative zu den Statinen auf den Markt gekommen«, sagte der Apotheker. Der therapeutische Bedarf sei vorhanden, denn viele Patienten erreichten trotz einer maximal tolerierten Statin-Therapie nicht die gewünschten LDL-Zielwerte. Zudem gebe es Patienten, die Statine nicht vertragen – Stichwort Muskelbeschwerden.
Bempedoinsäure greift wie die Statine in die Biosynthese des LDL-Cholesterols ein. Es handelt sich um ein Prodrug, das mithilfe des Enzyms Acyl-CoA-Synthetase aktiviert wird. »Da dieses Enzym in den Skelettmuskelzellen nicht vorhanden ist, verursacht Bempedoinsäure keine Muskelschmerzen«, informierte Siebenand. Bempedoinsäure greife etwas früher in die LDL-Biosynthese ein als die Statine, die als HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren wirken: Target der Bempedoinsäure sei die ATP-Citrat-Lyase (ACL). In beiden Fällen führe dies dazu, dass weniger LDL-Cholesterol produziert wird. »Als Gegenregulation werden mehr LDL-Cholesterol-Rezeptoren auf die Leberzelle gesetzt und mehr LDL-Cholesterol aus dem Blut gefischt«, erklärte der Referent.
Mit Inclisiran hielt erstmals das innovative Prinzip der RNA-Interferenz Einzug in die Therapie der Lipidstoffwechselstörungen. Inclisiran verbindet sich mit der mRNA des PCSK9-Gens und verhindert so, dass dieses in das Protein PCSK9 übersetzt wird. »Die Proteinbiosynthese wird auf Ebene der mRNA ganz einfach gestoppt«, so Siebenand. In der Folge werde der PCSK9-vermittelte Abbau des LDL-Rezeptors gehemmt und es befinden sich mehr Rezeptoren auf der Leberzelloberfläche, die LDL-Cholesterol aus dem Blut extrahieren können.
Im Jahr 2023 machte ein Medikament zur Behandlung der chronischen Insomnie das Rennen: Daridorexant, das in das Orexin-System eingreift. Das System besteht aus zwei Neuropeptiden sowie den dazugehörigen Rezeptoren, über die die Wachheit im Körper geregelt wird. Während des Tages geht der Orexinspiegel nach oben, zur Nacht hin fällt er ab. »Bei Menschen mit einer chronischen Insomnie ist das Orexinsystem überaktiv«, sagte Siebenand.
Daridorexant ist ein dualer Orexin-Rezeptorantagonist. Im Gegensatz zu Benzodiazepinen und Z-Substanzen habe der neue Wirkstoff viele Vorteile: Daridorexant beeinflusse die Schlafarchitektur nicht und führe nicht zu einer allgemeinen Sedierung. Im Blick haben sollten Apotheker Wechselwirkungen, da »Daridorexant quasi zu 100 Prozent über das Enzym CYP3A4 verstoffwechselt wird«. Starke CYP3A4-Inhibitoren sind deshalb kontraindiziert.
Der Preisträger des Jahres 2024 hieß Tirzepatid , das erste sogenannte Twinkretin. Es wirkt sowohl am GLP-1-Rezeptor als auch am GIP-Rezeptor. Tirzepatid ist zugelassen bei Typ-2-Diabetes sowie unter bestimmten Bedingungen als Abnehmmittel. »Wie bei anderen Inkretinmimetika kann man im Beratungsgespräch auf eine potenzielle Magen-Darm-Unverträglichkeit hinweisen, die insbesondere bei Dosiserhöhungen oder zu Therapiebeginn auftritt«, empfahl Siebenand. Zudem sei auf ein mögliches Risiko einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse zu achten. Letztere sei zwar selten, aber wenn sie auftrete, sei das sehr gefährlich.
Diabetes ist auch das Indikationsgebiet des aktuellen Preisträgers. Insulin icodec ist ein Ultralangzeit-Insulin, das nur einmal pro Woche injiziert werden muss. Die lange Halbwertszeit wurde auf zwei Wegen erreicht. Zum einen ermögliche ein Albumin-gebundener Insulinspeicher eine langsame und kontinuierliche Wirkstoffabgabe. Zum anderen habe Insulin icodec im Vergleich zu anderen Insulinen eine verminderte Affinität zum Insulinrezeptor beziehungsweise eine langsamere Rezeptor-vermittelte Clearance. »Alle Effekte zusammen führen zu einer Halbwertszeit von insgesamt 196 Stunden.«
Auch für den PZ-Innovationspreis 2026 gebe es schon aussichtsreiche Kandidaten, gab Siebenand einen Ausblick. Potenzielle Anwärter seien ein erster Alzheimer-Antikörper, ein orales Migränemedikament, eine erste CRISPR-Cas-Therapie sowie eine lokale Gentherapie für die sogenannte Schmetterlingskrankheit.