Fortan jährlich zur Coronavirus-Impfung? |
Sven Siebenand |
13.04.2021 17:52 Uhr |
Das Virus SARS-CoV-2 hat bereits verschiedene Mutanten hervorgebracht. Die sogenannte südafrikanische Variante zum Beispiel unterläuft teilweise die Immunreaktion. Erste Impfstoffhersteller entwickeln bereits neue Versionen ihres Vakzins. / Foto: Adobe Stock/Melinda Nagy
Influenzaviren verändern sich so schnell, dass die Antikörper, die das Immunsystem nach einer früheren Infektion oder Impfung hergestellt hat, sie nicht mehr gut genug erkennen können. Das ist der Grund, weshalb eine Anpassung der Grippe-Impfstoffe regelmäßig erfolgen muss und der Impfschutz quasi jährlich zu erneuern ist.
Ein Forschungsteam der Berliner Charité hat nun die Evolution von Erkältungs-Coronaviren mit der von Influenzaviren verglichen. Auch diese harmloseren Coronaviren gelangen mithilfe des Spike-Proteins in die menschlichen Zellen. Aus ihrer Arbeit leiten die Forscher eine Prognose ab, wie es mit den Impfungen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 in Zukunft weitergehen könnte. In »Virus Evolution« hat das Team um Erstautorin Dr. Wendy K. Jó Ergebnisse veröffentlicht.
Die Wissenschaftler untersuchten, wie sich das Spike-Gen der beiden am längsten bekannten Coronaviren 229E und OC43 über die vergangenen rund 40 Jahre verändert hat. Dazu verglichen sie die Sequenzen aus unterschiedlich alten Proben, die in einer Gendatenbank hinterlegt worden waren, und entwickelten anhand der über die Zeit entstandenen Mutationen einen Stammbaum für beide Coronaviren. Zum Vergleich erstellten die Forscher auch einen solchen Baum für den Influenza-Stamm H3N2. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass er sich besonders effizient der menschlichen Immunreaktion entzieht.
Das Ergebnis: Die berechneten Stammbäume sowohl der Coronaviren als auch des Grippevirus hatten eines gemeinsam. Sie zeigten eine ausgeprägte Treppenform. »Ein solch asymmetrischer Stammbaum bedeutet, dass eine zirkulierende Viruslinie regelmäßig durch eine andere ersetzt wird, weil diese einen Überlebensvorteil hat«, erklärt Jó in einer Pressemitteilung der Charité. Das sei ein Hinweis auf einen Antigen-Drift, also eine kontinuierliche Veränderung der Oberflächenstrukturen, durch die Viren sich der menschlichen Immunreaktion entziehen. Die Erkältungs-Coronaviren entfliehen dem Immunsystem also ebenso wie das Grippevirus, so die Forscherin. Allerdings müsse man sich zusätzlich die Geschwindigkeit anschauen, mit der dieser Prozess abläuft.
Dazu ermittelten die Wissenschaftler die Evolutionsraten der drei Viren. Während sich in der Influenza-Sequenz pro Jahr 25 Mutationen pro 10.000 Erbgut-Bausteinen ansammelten, waren es bei den Coronaviren nur etwa sechs Mutationen. Damit veränderten sich die länger bekannten Coronaviren also deutlich langsamer als das Grippevirus.
Was bedeutet dieses Ergebnis nun hinsichtlich SARS-CoV-2? Derzeit liegt die Evolutionsgeschwindigkeit von SARS-CoV-2 mit geschätzt rund zehn Mutationen pro 10.000 Erbgut-Bausteinen im Jahr deutlich über jener der altbekannten Coronaviren. Der Grund dafür liegt vermutlich hauptsächlich in dem hohen Infektionsgeschehen während der Pandemie. Schließlich kann sich ein Virus auch dann immer schnell weiterentwickeln, wenn die Infektionszahl insgesamt hoch ist.
»Auf Basis der Evolutionsraten der Erkältungs-Coronaviren gehen wir davon aus, dass sich auch SARS-CoV-2 langsamer verändern wird, sobald das Infektionsgeschehen abebbt, also nachdem ein Großteil der weltweiten Bevölkerung entweder durch die Erkrankung selbst oder durch eine Impfung einen Immunschutz aufgebaut hat«, so Seniorautor Professor Dr. Jan Felix Drexler. Deshalb sei anzunehmen, dass die Covid-19-Impfungen während der Pandemie regelmäßig überprüft und wenn nötig angepasst werden müssen. »Sobald sich die Situation stabilisiert hat, werden die Impfungen aber voraussichtlich länger nutzbar sein«, so die positive Prognose des Wissenschaftlers.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.