Fälschungsskandal erschüttert die Alzheimerforschung |
Theo Dingermann |
17.10.2024 15:30 Uhr |
Ein berühmter Neurodegenerationsforscher soll in Hunderten Publikationen manipulierte Bilder verwendet haben. / © Getty Images/Andrew Brookes
Am 27. September publizierte das Wissenschaftsjournal »Science« ein News-Feature des Wissenschaftsjournalisten Charles Piller, in dem er die bisherigen Ergebnisse einer umfangreichen Untersuchung zu einem mutmaßlichen wissenschaftlichen Fehlverhalten eines führenden Forschers im Bereich Neurowissenschaften zusammenfasst. Es handelt sich um den ehemaligen Direktor der Abteilung für Neurowissenschaften des National Institute on Aging (NIA), Professor Dr. Eliezer Masliah.
In einem 300-seitigen Dossier, das forensische Analysten »Science« zur Verfügung gestellt haben, sind offensichtliche Manipulationen vor allem in Abbildungen in 132 Arbeiten aufgeführt, die Masliah zwischen 1997 und 2023 veröffentlicht hat. Die Untersuchung der wissenschaftlichen Arbeiten von Masliah ergab, dass zahlreiche der Laborstudien, die seine Gruppe sowohl an der University of California San Diego (UCSD) als auch am NIA durchgeführt hatte, offenbar Fälschungen von Proteinanalysen (Western Blots) und Mikroskopaufnahmen von Gehirnschnitten enthielten.
Viele dieser Bilder wurden in und zwischen verschiedenen Artikeln publiziert. Nicht selten liegen die Erscheinungsdaten der Arbeiten Jahre auseinander. Zudem wurden auch identische Bilder benutzt, um Ergebnisse zu illustrieren, die auf unterschiedlichen Versuchsanordnungen basieren.
»Science« stellte dieses Material elf ausgewiesenen Experten im Bereich der Demenzforschung zur Verfügung. Einer von ihnen ist Professor Dr. Christian Haass, der am deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen in München forscht. Seine Reaktion: »Die schiere Masse der Auffälligkeiten hat mich umgehauen. Das spricht schon für deutliche Betrugsabsichten.«
Der Fall ist so brisant, weil Masliah nicht nur als einer der renommiertesten, sondern auch als einer der einflussreichsten Forscher auf dem Gebiet der Alzheimer- und Parkinson-Krankheit gilt. Zudem erstrecken sich die Vorwürfe über Jahrzehnte. Seine Arbeiten gehören zu den meistzitierten Publikationen in mehreren Teilbereichen der Neurowissenschaften. Auf Basis dieser Daten wurden zudem auch Wirkstoffe entwickelt, darunter beispielsweise der Antikörper Prasinezumab zur Behandlung der Parkinson-Krankheit.
Die Ergebnisse der Studie wurden im August 2022 im »New England Journal of Medicine« publiziert. Es zeigten sich für den Antikörper, der gegen α-Synuclein-Aggregate gerichtet war, keine signifikanten Unterschiede zwischen den aktiven Behandlungsgruppen und der Placebogruppe bei den Dopamintransporter-Werten in der Einzelphotonen-Emissionscomputertomografie (SPECT) und auch die Ergebnisse für die meisten klinischen sekundären Endpunkte waren in den aktiven Behandlungsgruppen und in der Placebogruppe ähnlich. Demgegenüber waren mit der Behandlung erhebliche Nebenwirkungen verbunden.
Auch auf andere Arzneimittelentwicklungen hatten Masliahs Forschungen erhebliche Auswirkungen. So stützte sich das in Österreich ansässige Biopharmaunternehmen Ever Pharma bei der Entwicklung von Cerebrolysin (FPF-1070), einer Mischung aus kurzkettigen Peptiden, die aus Schweinehirnen gewonnen werden, stark auf Publikationen Masliahs. Acht Studien, darunter eine, die im Journal »BMC Neuroscience« publiziert wurde, bilden die Basis für die Entwicklung von Cerebrolysin und wurden teilweise von Ever Pharma finanziert.
Neuropore Therapies ist ein weiteres Unternehmen, das auf Basis von Studien aus dem Masliah-Labor potenzielle Parkinson-Mittel entwickelt. Der bekannteste Kandidat war Minzasolmin, das eine Fehlfaltung von α-Synuclein verhindern soll.
Zwischenzeitlich wurden die Rechte zur Entwicklung und Vermarktung dieses und anderer Moleküle an das Pharmaunternehmen UCB für 63 Millionen US-Dollar (58,2 Millionen Euro) auslizenziert. Im Gegenzug zahlte der Schweizer Pharmariese Novartis UCB 150 Millionen US-Dollar (138,5 Millionen Euro) von möglichen 1,5 Milliarden US-Dollar (1,4 Milliarden Euro) für die Mitentwicklungsrechte für Minzasolmin und ein weiteres experimentelles Medikament.