Fachgesellschaft kritisiert Marktrücknahme von Amivantamab |
Nach Einschätzung medizinischer Fachgesellschaften trifft die Marktrücknahme des Krebsmedikaments Amivantamab zwar nur wenige hundert Patienten, aber diese besonders hart. / Foto: Shutterstock/Ljupco Smokovski
Der Wirkstoff Amivantamab des Pharmakonzerns Janssen-Cilag wurde im Dezember 2021 für die Europäische Union und für Deutschland zugelassen und wird seitdem für die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenem, nichtkleinzelligen Lungenkarzinom eingesetzt. Der Preis für das Medikament liegt bei etwa 135.000 Euro pro Jahr. Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO), die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) und die Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (AIO) der Deutschen Krebsgesellschaft hatten sich nach eigenen Angaben im Zuge der frühen Nutzenbewertung neuer Arzneimittel durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) für die Festlegung eines Zusatznutzens ausgesprochen.
Zum Hintergrund: Seit 1. Januar 2011 hat der G-BA die gesetzliche Aufgabe, bei allen neu zugelassenen Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen innerhalb von drei Monaten nach Markteintritt zu prüfen, ob ein Zusatznutzen vorliegt. Grundlage dafür ist das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG). Das Ergebnis der Zusatznutzenbewertung ist die Entscheidungsgrundlage dafür, wie viel die Krankenkassen für ein neues Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff zahlen. In den ersten zwölf Monaten nach Markteintritt eines Arzneimittels gilt der vom Hersteller frei festgelegte Preis.
Die Zulassung des Krebsmedikamentes erfolgte nach Angaben der DGHO lediglich aufgrund einer nicht-randomisierten Studie. Der Vergleich im Verfahren der frühen Nutzenbewertung bezog sich laut DGHO auf Daten aus zwei deutschen Lungenkrebs-Registern – CRISP und nNGM.
In seiner Stellungnahme gelangt der G-BA »zu dem Ergebnis, dass für Amivantamab zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenem oder metastasiertem NSCLC mit aktivierenden EGFRExon-20-Insertionsmutationen nach Versagen einer platinbasierten Chemotherapie, die für eine weitere Chemotherapie infrage kommen, ein Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie nicht belegt ist«. Zusammengenommen seien »die vom pharmazeutischen Unternehmer vorgelegten Daten für die Nutzenbewertung nicht geeignet und ließen keinen adäquaten Vergleich von Amivantamab mit der zweckmäßigen Vergleichstherapie zu«. Amivantamab könne allerdings im vorliegenden Anwendungsgebiet in Einzelfällen eine relevante Therapieoption darstellen, schreibt der G-BA weiter.
Nach Einschätzung der DGHO ist Amivantamab ein wirksames und sicheres Arzneimittel. Die medizinische Fachgesellschaft bedauert, dass Janssen-Cilag bereits nach den ersten Gesprächen entschieden habe, das Medikament in Deutschland vom Markt zu nehmen. Das reguläre Verfahren der frühen Nutzenbewertung sehe vor, dass pharmazeutische Unternehmen und Krankenkassen auf Basis der Festlegung des G-BA in Preisverhandlungen treten und bei Dissens auch ein Schiedsgericht anrufen könnten.
Leidtragende der kurzfristigen Entscheidung zur Marktrücknahme seien die Patienten. »Bei mehr als 60.000 Neudiagnosen Lungenkrebs im Jahr betrifft die Marktrücknahme zwar nur wenige Patientinnen und Patienten, aber diese besonders hart«, schätzt DGP-Präsident Professor Torsten Bauer. Nun müsse Amivantamab aus dem Ausland importiert werden. Die Patienten würden nach Einschätzung der DGHO durch »solche, nicht medizinisch begründeten Entscheidungen« verunsichert. Dazu komme, dass der Import aus dem Ausland einen hohen administrativen Aufwand mit sich bringe. Das könne die Verordnung verzögern, kritisiert die DGHO.
Als Lösungsmöglichkeit für den künftigen Umgang mit neuen Arzneimitteln bei seltenen Erkrankungen schlägt die DGHO die formale Zuerkennung eines Orphan Drug (Arzneimittel zur Behandlung seltener Erkrankungen) Status vor. Die Fachgesellschaft kritisiert, dass neue Regelungen, die im Entwurf für das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz vorgesehen sind, unter anderem Preisabschläge bei neuen Arzneimitteln vorsehen. Das führe zu spürbarer Verunsicherung bei Leistungserbringern und pharmazeutischen Unternehmen. Die medizinischen Fachgesellschaften DGHO, DGP und AIO fordern alle Beteiligten auf, das Vertrauen der Betroffenen in die Verlässlichkeit der Versorgung mit neuen Arzneimitteln in Deutschland nicht durch inhaltlich nicht nachvollziehbare Entscheidungen, kurzfristige Marktrücknahmen oder überzogene Forderungen zu gefährden. Das Patientenwohl dürfe nicht gefährdet werden.