Evidenzbasierte Cannabispolitik gefordert |
Melanie Höhn |
18.03.2025 16:20 Uhr |
Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des offenen Briefes bitten darum, regional und zeitlich begrenzte, wissenschaftlich begleitete Cannabis-Forschungsprojekte weiterhin zu ermöglichen. / © IMAGO/Sven Simon
Über 30 Unterzeichnende aus Politik und Recht, Wissenschaft und Medizin, Verbänden und Industrie, darunter der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken, die Arcaden Apotheke und die Deutsche Akademie für Ganzheitliche Schmerztherapie, appellieren in einem offenen Brief an die Bundesregierung für eine »evidenzbasierte Cannabispolitik«: Durch die Abgabe von Cannabis in Modellregionen habe Deutschland »die Chance, mit modellhaften Ansätzen neues Wissen zu generieren«.
Hintergrund: Die Union hatte angekündigt, eine Teillegalisierung von Cannabis rückgängig machen zu wollen. Unklar ist, wie es unter einer neuen Bundesregierung mit den Cannabis-Modellregionen weitergeht, in denen der Verkauf von Genusscannabis in lizenzierten Geschäften oder Apotheken erprobt werden soll. Mehrere Großstädte hatten bereits die Absicht erklärt, Cannabis-Modellregion zu werden. Frankfurt am Main und Hannover wollen Cannabis zu Genusszwecken in Geschäften verkaufen, genauso wie drei Berliner Bezirke. Die Stadt Wiesbaden will den Cannabisverkauf in Apotheken testen. Ein Forschungsprojekt zur wissenschaftlichen Untersuchung der Abgabe von Konsumcannabis in Apotheken ist auch im Kreis Groß-Gerau geplant.
Die Unterzeichner des Briefes formulieren eine klare Forderung: »Bitte setzen Sie sich dafür ein, dass die wissenschaftlich begleitete kommerzielle Abgabe von Konsumcannabis in ausgewählten Regionen zügig und unvoreingenommen umgesetzt werden kann. Lassen Sie zu, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Daten erheben, die Sie für fundierte politische Entscheidungen benötigen.«
In dem offenen Brief wird zudem dargelegt, dass es trotz der langjährigen Illegalität von Cannabis erste Erhebungen gebe, die einen Einblick in die Verbreitung des Konsums geben. Laut aktuellen Studien hätten 10 Prozent der Erwachsenen in den letzten zwölf Monaten Cannabis konsumiert. Auch in der EU sei Cannabis die nach wie vor am häufigsten konsumierte Substanz. Dennoch fehle es weiterhin an umfassenden und belastbaren Daten zum Cannabiskonsum und dessen gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Auswirkungen. Diese Wissenslücke erschwere eine fundierte Bewertung der Gesamtsituation und ihrer Folgen. Sie führe zu »emotionalen Debatten statt sachlicher Entscheidungsfindung«.
Das Konsumcannabisgesetz (KCanG) habe den Konsum von Cannabis zu Genusszwecken grundsätzlich legalisiert, weise in seiner Ausgestaltung jedoch »erhebliche praktische Herausforderungen« auf. Während der Konsum legal sei, bleibe der Erwerb außerhalb von Anbauvereinigungen weiterhin untersagt. »Diese Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis verdeutlicht die Komplexität der Thematik und unterstreicht die Notwendigkeit und Chance einer fundierten, datenbasierten Herangehensweise für zukünftige politische Entscheidungen im Bereich der Cannabisregulierung«, heißt es in dem Brief.
Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner heben hervor, dass die Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit als Grundlage für Fortschritt und Innovation im Sondierungspapier der CDU, CSU und SPD klar hervorgehoben werde: »Dort wird betont, dass die im Grundgesetz verankerte Freiheit der Wissenschaft nicht nur geschützt werden muss, sondern auch eine zentrale Voraussetzung für unabhängige Forschung und die Gewinnung neuer Erkenntnisse darstellt – frei von politischer Ideologie«.
Die Unterzeichner bitten darum, regional und zeitlich begrenzte, wissenschaftlich begleitete Cannabis-Forschungsprojekte weiterhin zu ermöglichen. Diese Vorhaben würden die »historische Gelegenheit« bieten, eine belastbare Datenbasis für faktenbasierte Diskussionen und verantwortungsvolle Entscheidungen zu schaffen – »zum Wohle der Gesundheit und Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger, zur Förderung unserer Wirtschaft und zur Wahrung unserer Innovationskraft«.
Indem unterschiedliche Abgabemodelle kontrolliert erprobt würden, etwa die Abgabe über Apotheken in der einen Region, über spezialisierte Fachgeschäfte in einer anderen, »schöpfen wir das Innovations- und Erkenntnispotenzial voll aus«, wird in dem Brief weiter ausgeführt. »Vielfalt statt Einheitslösungen ermöglicht den notwendigen Vergleich, um herauszufinden, welche Regulierung beispielsweise den höchsten Jugendschutz oder die besten gesundheitlichen Ergebnisse liefert.«
Die qualitätsgesicherten Cannabis-Produkte in diesen kontrollierten Forschungsprojekten würden auch positive Effekte für den Gesundheitsschutz nach sich ziehen: »Durch kontrollierte THC-Gehalte, Warnhinweise, begleitende Aufklärung für Studienteilnehmende und qualitätsgeprüfte Ware, ganz im Gegensatz zu den auf dem illegalen Markt in häufigen Fällen verunreinigten Produkten, wie eine Analyse von Straßencannabis aus 30 deutschen Städten zeigt«.
Zudem biete die kontrollierte Abgabe von Cannabis im Rahmen von Forschungsprojekten auch ökonomische Vorteile: Schon jetzt würden in Deutschland rund 4,5 Millionen Erwachsene mindestens einmal im Jahr Cannabis zu Genusszwecken konsumieren und dafür jährlich etwa 4 Milliarden Euro ausgeben – »Geld, das derzeit größtenteils unversteuert in die Kassen der Akteure des illegalen Marktes fließt, die es zu bekämpfen gilt«.
Eine regulierte Abgabe im Rahmen von Forschungsvorhaben könne laut der Unterzeichner zumindest einen Teil dieser Mittel in legale Bahnen lenken. Legale Abgabestellen könnten (Steuer-)Einnahmen generieren, von denen ein Teil direkt in Präventionsprogramme und Jugendschutz fließen könnten. »Zudem können neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in Wissenschaft und Wirtschaft zur regionalen Wertschöpfung beitragen«, wie es weiter heißt.
Des weiteren wird in dem Brief die Freiheit der Forschung in Artikel 5 des Grundgesetzes angeführt. »Die geplanten Vorhaben stellen nichts anderes dar als die angewandte Forschung zur Drogenpolitik und den damit verbundenen Auswirkungen auf die innere Sicherheit, organisierte Kriminalität und den Jugend- und Gesundheitsschutz«, so die Expertinnen und Experten. »Wir appellieren an Sie, auch mit Blick auf das oben bereits genannte Sondierungspapier, die Bedeutung dieser Forschungsvorhaben anzuerkennen. Es geht hierbei nicht um ideologische Symbolpolitik, sondern um einen pragmatischen, wissensbasierten Ansatz, der sowohl ökonomische Vernunft als auch Gesundheit und Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger vereint.«