EU plant Voucher-Lösung für Antibiotika |
Jennifer Evans |
07.02.2023 10:30 Uhr |
Die Gesundheitsminister der EU-Staaten wollen im Mai 2023 zunächst informell zusammenkommen, um sich über die Reformentwürfe der EU-Kommission zur Arzneimittelgesetzgebung auszutauschen. / Foto: Adobe Stock/Grecaud Paul
Der Arzneimittelmangel betrifft alle EU-Mitgliedstaaten, insbesondere Schmerzmittel und Antibiotika sind knapp. Als Hauptgrund dafür nannte kürzlich die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides die gestiegene Nachfrage angesichts der vielen Atemwegsinfektionen sowie die unzureichenden Produktionskapazitäten. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA sieht als weitere Probleme für Verzögerungen oder Unterbrechungen in der Produktion etwa Engpässe bei Rohstoffen, Verteilungsprobleme, Arbeitsunterbrechungen sowie Naturkatastrophen.
Der Druck, Lösungen zu finden ist groß. Nun sind im Vorfeld die ersten Arbeitsentwürfe zur Umsetzung der EU-Pharmastrategie bekannt geworden, die allerdings noch weit von einem finalen Entwurf entfernt sein dürften. Laut derzeitigem Arbeitsprogramm wollte die EU-Kommission die Entwürfe erst Mitte März 2023 mit präsentieren. Denn erst, wenn das passiert ist, kann das Gesetzgebungsverfahren beginnen. Lange war unklar, ob dann eine für alle EU-Staaten verbindliche Verordnung oder »nur« eine Richtlinie dabei herauskommt. Jetzt ist immerhin klar: Es wird eine Richtlinie und eine Verordnung geben. Und aus vormals vier Gesetzen sollen nun zwei neue Regelwerke entstehen.
Der Verordnungsentwurf, der der PZ vorliegt, sieht mit Blick auf die Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen übertragbare Exklusivitätsgutscheine vor. Dabei erhält ein Unternehmen, das ein neues Antibiotikum mit neuem Wirkmechanismus oder Antibiotikaklasse entwickelt hat, einen Gutschein, mit dem es die Marktexklusivität eines anderen Arzneimittels seiner Wahl um ein Jahr verlängern kann. Dieses Modell ist bei der Industrie durchaus beliebt, weil es zum einen den Zeitpunkt hinauszögert, bis ein Generikum auf den Markt kommen kann. Und zum anderen lassen sich solche Gutscheine unter bestimmten Umständen auch an andere Pharmakonzerne verkaufen. Auch das ist laut Entwurf geplant. Zunächst soll die Menge der Voucher aber begrenzt sein, etabliert sich das System, zieht die EU-Kommission in Betracht nachzulegen.
Laut Entwurf stellt die neue Pharmastrategie »einen Wendepunkt« für Europa dar. Sie soll zu »einem hohen Niveau« der öffentlichen Gesundheit beigetragen und sowohl für Patienten als auch für die Gesundheitssysteme »innovative und bewährte Arzneimittel zu erschwinglichen Preisen zur Verfügung stellen«. Dabei setzt die EU auf eine Harmonisierung des Arzneimittel-Binnenmarkts. Auch Umweltbelange sollen bei der Produktion künftig berücksichtigt werden.
Einer der wichtigsten Prioritäten soll demnach ein gleichberechtigter Zugang zu Arzneimitteln für alle EU-Bürger sein. Dazu sind auch Anreize für Hersteller vorgesehen, damit etwa auch Kinder und Menschen mit seltenen Erkrankungen Zugang zu qualitativ hochwertigen Präparaten sowie wirksamen und sicheren Therapien spezieller medizinischer Bedürfnisse haben. Insgesamt soll die neue Strategie die »globale Wettbewerbsfähigkeit« stärken.
Die Richtline des Pharmapakets beinhaltet unter anderem auch das Thema elektronische Packungsbeilage. Hintergrund ist, dass sich damit Arzneimittel künftig leichter zwischen den EU-Märkten umverteilten lassen, da ein Engpass bestimmter Medikamente in der Regel nur wenige Mitgliedstaaten gleichzeitig betrifft. Berufspolitisch ist das Thema relevant, weil es einen zusätzlichen Arbeitsaufwand für die Apotheken bedeutet. Etwa wenn diese Patienten Informationen erklären oder die Packungsbeilage in der benötigten Sprache ausdrucken müssen. Klar ist: Die Apotheken werden für diese Belange die ersten Ansprechpartner für die Patienten sein.
In dem Entwurf ist jedenfalls vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten selbst entscheiden dürfen, ob sie eine digitale Packungsbeilage oder eine in Papierform zur Verfügung stellen wollen. Die EU-Kommission will sich aber vorbehalten, die elektronische Version in Zukunft einmal verbindlich vorzuschreiben. Das wäre demnach frühestens ab dem Jahr 2035 der Fall und auch nur unter der Voraussetzung, dass bis dahin die Mehrheit der Mitgliedstaaten die digitale Variante bereits zugelassen hat. Unabhängig davon soll der Patient auch in Zukunft das Recht behalten, auf Wunsch eine gedruckte Kopie der Packungsbeilage zu erhalten.
Zwar will die EU-Kommission vieles unverändert lassen, unter anderem auch die Vorschriften zur Fälschungsbekämpfung. Hierzulande ist dafür die Organisation Securpharm zuständig. Das Problem: Da die EU-Kommission grundsätzlich eine komplette Neufassung der Arzneimittelgesetzgebung vorschlägt, hätten das EU-Parlament und der EU-Rat theoretisch die Möglichkeit, an jeder Stelle einzugreifen und alles zu verändern.
Auch was das künftige Management von Lieferengpässen angeht, wird die Branche wachsam sein müssen, was sich im Gesetzgebungsverfahren noch an Änderungen ergeben wird. Wie die ABDA auf Anfrage der PZ sagte, begrüßt sie grundsätzlich, dass die EU-Kommission sich des Problems der Arzneimittelengpässe annimmt und eine einheitliche Definition des Begriffs »Mangel« vorschlägt. Und zwar als »eine Situation, in der das Angebot eines in einem Mitgliedstaat zugelassenen und in Verkehr gebrachten Arzneimittels die Nachfrage nach diesem Arzneimittel in diesem Mitgliedstaat nicht deckt«. Die Identifikation eines Engpasses soll künftig Aufgabe der Mitgliedstaaten sein.
Für eine geeignete Maßnahme hält die ABDA ebenfalls, dass es künftig eine Liste der Europäischen Arzneimittelagentur – EMA geben soll, die kritischen Arzneimittel auflistet und die auch öffentlich einsehbar ist. Auch die vorgesehene Verpflichtung für Hersteller, künftig Pläne zur Vermeidung von Engpässen sowohl bei zugelassenen sowie bereits bei bereits in Verkehr gebrachten Präparaten zu führen, hält die Bundesvereinigung für sinnvoll. Verwaltungs- und Kontrollpläne soll auch für Antibiotika kommen, um deren Anwendung zu überwachen oder einzuschränken.
Im Vorfeld hatte Kyriakides zu den Inhalten lediglich Andeutungen gemacht. Nach einer Diskussion vor dem Europäischen Parlament erwähnte sie, es werde stärkere Lieferverpflichtungen für Medikamente geben sowie frühzeitgiere Engpass-Meldungen beziehungsweise Rücknahmen. Außerdem sei eine größere Transparenz der Lagerbestände geplant. Darüber, wo die konkreten Probleme bei der Erhebung von Bestandsdaten in der Apotheke liegen, hatte die PZ schon ausführlich berichtet.
Laut PZ-Informationen wollen die Gesundheitsminister der EU-Staaten im Mai zunächst informell zusammenkommen, um sich über die Reformentwürfe der EU-Kommission zur Arzneimittelgesetzgebung auszutauschen. Die größten Bedenken der Branche sind, inwieweit die aktuellen Pläne der EU-Kommission in Zukunft tatsächlich die nationalen Gesundheitssysteme beeinflussen werden und was das für die Eigenverantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten bedeutet. Grundsätzlich hat die EU-Kommission zwar das Vorschlagsrecht in der Gesetzgebung, kann die Rechtsakte aber nur umsetzen, wenn die Mitgliedstaaten und das EU-Parlament zugestimmt haben. An den aktuell kursierenden Arbeitsentwürfen kann sich also demnächst noch einiges ändern.
Eine Notiz der EU-Kommission aus dem vergangenen Dezember hatte zunächst auch nicht mehr Aufschluss über die geplanten Inhalt gegeben als die Eckpunkte für die Pharmastrategie aus dem November 2020 bereits verrieten. Demnach geht es darum, Innovation zu fördern, in der EU ein »ausgewogenes System« für Arzneimittel zu schaffen, das sowohl wirtschaftliche Aspekte als auch Innovationen belohnt.
Relativ schwammig war darin auch festgehalten, dass die EU-weite Versorgungssicherheit und die Nachhaltigkeit der pharmazeutischen Industrie steigen sowie die Bürokratie sinken soll. Jedoch hieß es in der Notiz auch: Die Reform ziele darauf ab, die »funktionalen Merkmale des derzeitigen Systems« beizubehalten, aber »anzupassen, zu verbessern und zu ergänzen, wo dies erforderlich« sei. Wie viel davon in den Rechtsakten nach der Zustimmung der Mitgliedstaaten noch übrig bleiben wird, bleibt abzuwarten.
Zunächst müssen EU-Parlament und EU-Rat zu den Kommissionvorschlägen ihre Position einnehmen. Im Anschluss folgen dann die sogenannten Trilog-Verhandlungen von Kommission, Rat und Parlament, bevor die endgültige Reform verabschiedet wird.