EU-Papier untergräbt Engpass-Gesetz |
Jennifer Evans |
08.05.2023 18:00 Uhr |
Einige EU-Mitgliedstaaten haben sich zusammengeschlossen und präsentierten in einem gemeinsam unterzeichneten Papier kurz-, mittel- und langfristige Lösungen zur Verbesserung der Arzneimittelversorgung. / Foto: Fotolia/marqs
Non-Paper nennt sich das neue EU-Papier, das in der vergangenen Woche viele überraschte. Denn die Initiative von insgesamt 19 Mitgliedstaaten befasst sich erneut mit der Arzneimittellieferengpass-Problematik – obwohl bereits das EU-Pharmapaket sowie hierzulande auch das sogenannte Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) in Arbeit sind. Wozu also nun ein weiteres Paper, das sich mit vielen der Vorhaben ohnehin überschneidet?
Die Verfasserstaaten hielten es aber für nötig, weil die EU ihnen bislang noch nicht weit genug geht. »In Anbetracht der Komplexität der Probleme und der damit verbundenen Risiken sind wir der Meinung, dass die EU drastischere Schritte ergreifen muss, um die Sicherheit der Arzneimittelversorgung zu verbessern«, heißt es zur Begründung.
Auch Deutschland ist mit von der Partie, wenngleich das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) parallel an seiner eigenen Lösung schraubt: dem ALBVVG. Doch die Kritik daran war bereits öfter Thema in diversen politischen Diskussionen der vergangenen Wochen. Das BMG-Vorhaben löse keine Probleme und es fehle ihm ein richtiges (Finanzierungs-)Konzept. Ebenfalls war zu hören, dass die deutsche Gesundheitspolitik auf konkrete Pläne aus Brüssel wartet. Das Problem der Lieferengpässe sei einfach zu komplex und global, um es national zu lösen, so das Argument.
Nun untergräbt das Non-Paper praktisch das ALBVVG. Denn die Verfasser bieten Alternativen an. So regen sie etwa eine grenzüberschreitende Unterstützung bei Arzneimittelmangel an, um kritische Engpässe kurzfristig ausgleichen zu können. Wird ein Medikament in einem EU-Staat knapp, soll ein anderes Land schnell aushelfen können. Konkret ist die Rede von freiwilligen Solidaritätsmechanismen. Es stellt sich die Frage, ob das womöglich sogar Kosten für die Kassen einsparen könnte?
Laut dem Paper sollen sich die EU-Länder selbst über die Voraussetzungen und den Ablauf für die Hilfe einigen. Und koordinieren soll das Ganze die Lenkungsgruppe für Arzneimittelengpässe bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA). Idealerweise sollten dem Non-Paper zufolge auch Hersteller und Großhändler Teil dieser Lösung sein.
Zur Erinnerung: Die EU-Kommission wünscht unter anderem digitale Beipackzettel, damit sich angesichts von Lieferengpässen Medikamente künftig leichter zwischen den EU-Märkten umverteilen lassen. Berufspolitisch ist das Thema relevant, weil es einen zusätzlichen Arbeitsaufwand für die Apotheken bedeutet. Etwa dann, wenn diese den Patienten die Informationen erklären oder die Packungsbeilage in der benötigten Sprache erst ausdrucken müssen.
Mittelfristig ist in dem Paper die Rede von einer EU-weiten Liste kritischer Arzneimittel. Eine solche ist bei dem Gremium der EMA bereits angelegt. Doch nach Ansicht der 19 Staaten sollte da etwas mehr Tempo hineinkommen und auch digitale Möglichkeiten sollten dazu beitragen, doppelte Arbeit zu vermeiden. Insbesondere, wenn es um Präparate geht, bei denen es schon wiederholt zu Engpässen gekommen ist. In diesen Fällen gilt es dem Non-Paper zufolge, die Versorgung strenger zu überwachen, die Wertschöpfungsketten zu kartieren sowie (potenzielle) Lieferanten und Schwachstellen zu ermitteln. Vor diesem Hintergrund erscheint es regelrecht überflüssig, wenn das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nach den Plänen des BMG künftig ebenfalls eine Liste gefährdeter Arzneimittel führen soll.