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Medizinprodukte-Verordnung
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EU-Kommission präsentiert vereinfachte MDR-Vorschriften

Die EU-Vorschriften für Medizinprodukte und Invitro-Diagnostica sind sehr komplex. Hersteller beklagen Überregulierung und unverhältnismäßig hohen bürokratischen Aufwand. Nun hat die EU-Kommission einen Vorschlag für eine vereinfachte Regelung vorgelegt.
AutorKontaktEv Tebroke
Datum 18.12.2025  10:00 Uhr

Der europäische Rechtsrahmen für Medizinprodukte wird hauptsächlich durch die Medical Device Regulation (MDR), Verordnung (EU) 2017/745, geregelt. Aufgrund des Skandals um schadhafte Brustimplantate des französischen Herstellers PIP im Jahr 2010 war die alte Regelung durch eine neue MDR mit verschärften Vorschriften ersetzt worden. Ziel war es, die Sicherheit und Leistungsfähigkeit von Produkten auf dem EU-Markt zu erhöhen. Doch mit der neuen EU-Verordnung wurde aus Sicht der Branche deutlich überreguliert.

Die im Mai 2021 in Kraft getretene MDR rief erheblichen Widerstand in der Branche hervor: Zu strenge Anforderungen, zu bürokratische Vorgaben erschwerten den Marktzugang, so das Fazit. Die Verordnung wäre eigentlich im Mai 2024 national bindend geworden. Doch aufgrund des komplexen Umsetzungsprozedere für die Hersteller gibt es eine Übergangsfrist. Die Branche hat noch bis Ende 2027 Zeit, sich auf die neuen Zulassungs- und Prüfvorgaben einzustellen. Für risikoärmere Produktgruppen wird eine Übergangsphase bis Ende 2028 eingeräumt. Nun hat die EU-Kommission auf die jahrelange Kritik reagiert und einen Vorschlag zur Vereinfachung der Vorschriften vorgelegt.

Weniger Bürokratievorgaben 

Insbesondere geht es dabei um reduzierte Bürokratievorgaben. Vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) bedeuten die bisherigen Vorschriften einen immensen Aufwand. So war etwa eine regelmäßige Rezertifizierung vorgesehen. Hersteller wären somit verpflichtet, bestehende Zertifikate ihrer Medizinprodukte alle fünf Jahre neu bewerten und bestätigen zu lassen. Diese und andere Vorschriften wurden nun gekippt.

Vorgesehen ist nach Kommissionsangaben auch eine stärkere Zentralisierung und verbesserte Koordination zwischen den Mitgliedstaaten. Zudem soll eine verbesserte Aufsicht über Benannte Stellen kommen. Darüber hinaus soll die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) eine größere Rolle bei der Koordination und Beratung der nationalen Behörden übernehmen. Und um die Effizienz zu erhöhen, ist ein stärkerer Fokus auf Digitalisierung gelegt.

MedTech-Branche sieht gute Ansätze

»Allen Beteiligten ist in den letzten Jahren klar geworden, dass die MDR weit über das Ziel hinausgeschossen ist. Deshalb ist es gut, dass die Kommission Wort gehalten hat und jetzt handelt«, kommentiert Marc-Pierre Möll, Geschäftsführer des Bundesverbands Medizintechnologie (BVMed) die Kommissionsinitiative. Die vorgeschlagenen Maßnahmen enthielten gute Ansätze, beispielswiese die Abschaffung der Rezertifizierung, die Verlängerung der Fristen für Berichtspflichten oder die Fristenregelungen für Benannte Stellen.

Aus Sicht des MedTech-Verbands reichen die Maßnahmen aber nicht aus, »um die spürbaren Folgen des aktuellen MDR-Systems für Innovationskraft, Produktverfügbarkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz der europäischen Gesundheitsindustrie kurzfristig abzustellen«. Insbesondere die zentrale Verantwortung sei in den Vorschlägen nicht enthalten. Der Verband hatte 2023 unter anderem die Schaffung einer zentralen Governance-Struktur gefordert, um Effizienz, Vorhersehbarkeit und Harmonisierung des Systems zu verbessern.

Auch Pharma Deutschland spricht von »strukturellen Verbesserungen« und einem »lang erwarteten Schritt«, äußert aber auch Kritik. Zu den begrüßenswerten Reformansätzen zählten unter anderem die Abschaffung der maximalen Gültigkeitsdauer von Zertifikaten, die Reduzierung der Beteiligung Benannter Stellen an der Konformitätsbewertung von Produkten mit geringem und mittlerem Risiko (Klassen IIa und IIb) sowie eine stärkere Unterstützung von Mikro- und kleinen Unternehmen durch reduzierte Gebührensätze der Benannten Stellen und abgesenkte Anforderungen an klinische Nachweise. Auch die Einführung eines strukturierten Dialogs sowie von Reallaboren sieht der Verband positiv.

Neue bürokratische Hürden?

Bedenken gibt es hingegen wegen der vorgesehenen stärkeren Rolle der EMA. Laut Reformvorschlag soll die EMA die national zuständigen Behörden künftig wissenschaftlich, technisch und administrativ bei der Koordinierung in verschiedenen Bereichen unterstützen, etwa bei Abgrenzungs- und Klassifizierungsfragen, länderübergreifenden klinischen Studien und Ausnahmeregelungen sowie in den Bereichen Vigilanz und Marktüberwachung. Pharma Deutschland befürchtet dadurch »zusätzliche bürokratische Hürden«.

Darüber hinaus zeigt sich der Verband besorgt, dass die vorgesehenen Regelungen zum rechtlichen Status sowie zur Klassifizierung bereits CE-gekennzeichneter Produkte, anders als in den Erwägungsgründen dargestellt, die Rechtssicherheit und den Grundsatz des freien Warenverkehrs nicht hinreichend gewährleisten.

»Im Vorschlag für die Verordnung sind einige gute Ansätze enthalten, um Bürokratie zu reduzieren, besser mit den massiven Versorgungsrisiken umzugehen, Innovationsgrade zu stärken und insgesamt die Wettbewerbsfähigkeit der EU im Medizinproduktebereich zu verbessern«, so Pharma-Deutschland-Hauptgeschäftsführerin Dorothee Brakmann. Das sei ermutigend. Allerdings seien die Schwierigkeiten, welche die aktuelle Medizinprodukteverordnung für die Hersteller und damit für die Patientinnen und Patienten erzeugt, auf den ersten Blick größer als die Lösungsansätze, die der Verband in dem Vorschlag erkennen könne.

AOK fordert Haftpflichtversicherung für Hersteller

Vonseiten des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI) heißt es, man begrüße den Vorschlag. Insbesondere würden KMU von einer vereinfachten Regulierung profitieren. Der europäische Gesetzgeber müsse nun allerdings dringend dafür Sorge tragen, dass die Neuordnung des Rechtsrahmens für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika schnell, geordnet und unter Berücksichtigung der Hinweise der betroffenen Unternehmen umgesetzt werde.

Kritik kommt von den Krankenkassen. So moniert der AOK-Bundesverband Lücken bei der Patientensicherheit. »Hier weist der Verordnungsvorschlag eine Leerstelle auf«, sagt AOK-Vorständin Carola Reimann. Wenn durch Bürokratieabbau künftig auch Regeln zum Schutz von Patientinnen und Patienten abgebaut würden, dann müsse gleichzeitig das Kostenrisiko für jene Herstellerfirmen steigen, die mangelhafte Produkte auf den Markt bringen, so Reimann. »Die AOK-Gemeinschaft fordert vor diesem Hintergrund, dass die Hersteller von der EU gesetzlich dazu verpflichtet werden, eine Haftpflichtversicherung mit einer angemessenen Mindestdeckungssumme abzuschließen, die im Schadensfall von den Geschädigten auch direkt auf EU-Ebene in Anspruch genommen werden kann.«

Die EU ist weltweit führend im Bereich der Medizinprodukte. Laut EU-Kommission arbeiten fast eine Million Menschen in diesem Sektor, hauptsächlich in kleinen und mittleren Unternehmen. Der EU-Markt hat demnach einen Wert von rund 170 Milliarden Euro.

 

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