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Arzneimittelstudien

EU führt repräsentative Geschlechterverteilung ein

Um künftig eine sichere und gleichberechtigte Arzneimittelversorgung zu gewährleisten, führt die EU eine repräsentative Geschlechter- und Altersgruppenverteilung in klinischen Studien ein. Außerdem sollen Studienergebnisse für Laien verständlicher und zugänglicher gemacht werden. Genehmigungen von Prüfanträgen sollen zudem vereinfacht werden. Eine entsprechende Verordnung wird am 31. Januar 2022 in Kraft treten. 
Charlotte Kurz
26.08.2021  11:00 Uhr

Arzneimittel wirken bei Frauen und Männern unterschiedlich. Bei Schmerzmitteln und Entzündungshemmern sind geschlechtsspezifische Unterschiede besonders auffällig, der Grund dafür: Schmerzen werden von Frauen anders verarbeitet als von Männern. Aber auch bei der Häufigkeit von Erkrankungen gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. Bei der Durchführung von klinischen Studien, die neue Wirkstoffe und Arzneimittel testen, analysieren Pharmakonzerne allerdings oftmals nicht ausreichend die unterschiedliche Wirkung auf Frauen und Männer. Vor allem in der Vergangenheit nahmen mehrheitlich männliche Probanden in klinischen Versuchen teil. Aber auch heute sind Frauen insbesondere in den frühen Phasen der Versuche häufig noch unterrepräsentiert.

Bei den aktuellen Covid-19-Studien wird die Wirkung der getesteten Medikamente und Vakzine ebenfalls nicht ausreichend auf die Unterschiede bei Mann und Frau untersucht. So hat beispielsweise eine Meta-Studie, die sich 4420 registrierte Studien zu Covid-19 Medikamenten und Impfstoffen im Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis zum 26. Januar 2021 angesehen hat, herausgefunden, dass lediglich ein Fünftel der Studien in der Rekrutierungsphase Teilnehmer hinsichtlich ihres Geschlechts berücksichtigt haben. Nur 4 Prozent aller Studien haben laut den eingereichten Studienplänen zudem explizit Geschlecht als Variable aufgenommen. Und 8 von 45 tatsächlich durchgeführten Covid-19-Versuchsstudien (17,8 Prozent) haben die Resultate auch nach Geschlecht aufgeschlüsselt. Laut den Autorinnen und Autoren dieser Meta-Studie führt dies zu potenziellen Gesundheitsrisiken bei einem Großteil der Bevölkerung. Vor allem verstärkte unerwünschte Nebenwirkungen in den nicht-getesteten Bevölkerungsgruppen etwa aufgrund von Übermedikation können so zum Problem werden.

Diesen Missstand hat auch die Europäische Union (EU) seit einiger Zeit erkannt und will nun stärker dagegen vorgehen. Künftig sollen alle an einer klinischen Prüfung teilnehmenden Prüfungsteilnehmer repräsentativ für die Bevölkerungsgruppen, zum Beispiel die Geschlechter- und Altersgruppen sein, die voraussichtlich das in der klinischen Prüfung untersuchte Arzneimittel anwenden werden. So heißt es in einer EU-Verordnung die 2014 verabschiedet wurde, aber noch nicht in Kraft getreten ist. Für die repräsentative Auswahl der Probanden soll es allerdings eine Ausnahme geben können: Wenn der Prüfplan eine begründete andere Regelung enthält, kann von dieser Regelung auch Abstand genommen werden.

Konkret muss künftig das Antragsdossier eines Erstantrags zur klinischen Überprüfung eines Medikaments genaue Angaben zur Begründung für die Geschlechts- und Altersverteilung enthalten. Sollte ein Geschlecht oder eine Altersgruppe von den Studien ausgeschlossen oder darin unterrepräsentiert sein, wird eine Erläuterung der Gründe sowie eine Begründung der Ausschlusskriterien benötigt. Dies regelt Anhang I der EU-Verordnung 536/2014. In der Zusammenfassung der Ergebnisse der klinischen Prüfung wird es zudem zur Pflicht, dass Arzneimittelhersteller Subgruppen der Prüfungsteilnehmer nach Altersgruppen und Geschlecht aufschlüsseln.

Die neuen Regelungen sollen dabei nicht nur für die EU-Mitgliedsstaaten gelten. Die EU-Kommission ist laut Verordnung auch dazu ermächtigt Kontrollen durchzuführen, damit diese auch im Fall von in Drittstaaten durchgeführten klinischen Studien gewährleistet wird.

In einigen Ländern gibt es bereits ähnliche Regeln

Zum Vergleich: In den USA ist seit 1993 gesetzlich festgeschrieben, dass Frauen und Minderheiten in klinischen Studien inkludiert sein müssen. Bereits damals hielt der Kongress auf Bundesebene fest, dass beispielsweise der Kostenfaktor kein akzeptabler Grund sei, um Frauen oder Minderheiten aus klinischen Studien auszuschließen. Kanada folgte mit einer entsprechenden Leitlinie im Jahr 1997, die empfiehlt, dass beide Geschlechter in klinischen Studien teilnehmen. Auch in Deutschland gibt es seit einigen Jahren bereits entsprechende Regelungen. In Anlehnung an die bislang geltende EU-Richtlinie heißt es seit 2004 in § 42 Arzneimittelgesetz bislang lediglich, dass die Unterlagen zu klinischen Prüfungen »den Nachweis der Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit eines Arzneimittels einschließlich einer unterschiedlichen Wirkungsweise bei Frauen und Männern« erbringen müssen. 

In Deutschland muss aber laut Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von Studien (GCP-Verordnung) im Antrag auf Genehmigung einer Prüfung die Geschlechterverteilung zur Feststellung möglicher geschlechtsspezifischer Unterschiede bei der Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit des geprüften Arzneimittels bereits angemessen begründet sein. Mit der neuen EU-Verordnung wird diese Regelung auch in Zukunft sichergestellt. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) fordert zudem seit 2011 im Zuge der AMNOG-Reform von Pharma-Herstellern eine Zusatznutzenbewertung neuer Wirkstoffe durchzuführen. Dazu gehört auch die Auswertung der Ergebnisse nach dem Geschlecht. Bezüglich der Rekrutierung von Frauen und Männern für klinische Studien werde sich in Deutschland durch die EU-Verordnung deshalb für Arzneimittelhersteller nichts ändern, erklärte der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) auf Nachfrage der PZ.

Allerdings sind die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben nicht immer eine Garantie dafür, dass relevante Effekte eines neuen Arzneimittels auf Subgruppen oder Geschlecht analysiert und gefunden werden, erklärte die US-Arzneimittelbehörde FDA in einem Bericht aus dem Jahr 2013. Dies sei vor allem durch zu kleine Stichprobengrößen zu erklären. Trotzdem kann die Einführung eines rechtlichen Rahmens als ersten Schritt angesehen werden, damit Pharma-Unternehmen verschiedene Alters- und Geschlechtsverteilungen in ihre klinischen Studien mit einbeziehen.

EU-Portal und EU-Datenbank für mehr Transparenz

Die neue EU-Verordnung soll weiterhin die Sicherheit der an Studien beteiligten Personen verstärkt sicherstellen. Zudem sollen die Verfahren zur Genehmigung solcher Prüfungen für die Entwicklung neuer Arzneimittel vereinfacht und beschleunigt werden. Ein EU-Portal wird eingerichtet, das als zentrale Anlaufstelle für die Übermittlung von Daten dienen soll. Alle Daten zu klinischen Prüfungen werden in einer sogenannten EU-Datenbank gespeichert. Der EU ist zudem wichtig, dass die Ergebnisse der klinischen Studie künftig auch für Laien einfacher und verständlicher dargestellt werden. So müssen laut Artikel 37 die Ergebnisse der klinischen Prüfung in einer für Laien verständlichen Art und Weise zusammengefasst und veröffentlicht werden.

Die EU-Verordnung Nr. 536/2014 wurde bereits 2014 verabschiedet. Sie gilt für alle in der EU durchgeführten klinischen Prüfungen, aber nicht für nichtinterventionelle Studien. In Kraft treten kann die Verordnung erst sechs Monate nachdem die EU festgestellt hat, dass das EU-Portal und die EU-Datenbank uneingeschränkt funktionsfähig sind. Diese Feststellung und die damit verbundene Veröffentlichung eines entsprechenden Beschlusses erfolgte vor kurzem, am 31. Juli 2021. Damit tritt die EU-Verordnung am 31. Januar 2022 in Kraft.

Im Gegensatz zu Richtlinien sind EU-Verordnungen für alle Mitgliedstaaten direkt verbindlich. Damit müssen sie nicht etwa noch in nationales Recht umgewandelt werden, sondern gelten unmittelbar in allen Mitgliedsländern. Damit werden die bestehenden Vorschriften laut EU-Richtlinie 2001/20/EG nach einer dreijährigen Übergangsphase abgelöst. 

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