Erstes Wocheninsulin im Handel |
Sven Siebenand |
25.09.2024 18:00 Uhr |
Das neue Basalinsulin Insulin icodec wird einmal wöchentlich subkutan injiziert. / Foto: PZ/Siebenand
Ob Insulin degludec, Insulin detemir oder Insulin glargin: Basalinsuline gibt es schon mehrere. Eines mit einer Halbwertszeit von gut einer Woche gab es bislang aber nicht. Das hat sich mit der Markteinführung des Ultra-Langzeitinsulins Insulin icodec nun geändert.
Die lange Halbwertszeit wurde auf zwei Wegen erreicht. Zum einen ermöglicht ein Albumin-gebundener Insulinspeicher eine langsame und kontinuierliche Wirkstoffabgabe. Dazu wurde an Position B29 der Aminosäurekette des Insulinmoleküls– wie bei Insulin degludec – ein Spacer eingefügt, an den eine Fettsäure gekoppelt ist. Während die Fettsäure bei Insulin degludec 16 C-Atome umfasst, sind es bei Insulin icodec 20. Je länger die Fettsäurekette, desto stärker die Bindung an Albumin.
Zum anderen weist Insulin icodec im Vergleich zu anderen Insulinen eine verminderte Affinität zum Insulinrezeptor beziehungsweise eine langsamere Rezeptor-vermittelte Clearance auf. Ferner besitzt es eine höhere molekulare Stabilität durch verminderten enzymatischen Abbau. Diese Eigenschaften konnte man durch einen Aminosäureaustausch an nur drei Stellen im Molekül erreichen. An Position 14 der A-Kette von Insulin wurde Tyrosin gegen Glutaminsäure getauscht, an Position 16 der B-Kette Tyrosin gegen Histidin und an Position 25 der B-Kette Phenylalanin gegen Histidin.
Zugelassen ist Insulin icodec zur Behandlung von Erwachsenen mit Diabetes mellitus. Bei Typ-1-Diabetes muss das Basalinsulin immer mit Bolusinsulin kombiniert werden. Bei Typ-2-Diabetes ist eine Monotherapie möglich oder die Kombination mit oralen Antidiabetika, GLP-1-Rezeptoragonisten und/oder Bolusinsulin. Bei Kindern und Jugendlichen sind Sicherheit und Wirksamkeit des neuen Insulins noch nicht erwiesen. Auch bei Patienten mit neu diagnostiziertem Typ-1-Diabetes ist das der Fall.
Die Zulassung von Insulin icodec stützt sich auf Ergebnisse des Phase-III-Studienprogramms ONWARDS. Dieses umfasst sechs klinische Studien, in denen Wirksamkeit und Sicherheit von einmal wöchentlich verabreichtem Insulin icodec versus herkömmlichen Basalinsulinen untersucht wurden. Insgesamt waren mehr als 4000 Erwachsene mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes eingeschlossen. Der primäre Endpunkt war jeweils die Nichtunterlegenheit der Blutzuckerkontrolle unter Insulin icodec im Vergleich zu anderen Basalinsulinen, gemessen an der Veränderung des HbA1c-Werts in Woche 52 beziehungsweise 26. Alle Studien erreichten ihren primären Endpunkt.
Drei Beispiele: In ONWARDS-1 wurden knapp 1000 zuvor insulinnaive Typ-2-Diabetiker über 52 Wochen entweder wöchentlich mit Insulin icodec oder täglich mit Insulin glargin behandelt. In der Insulin-icodec-Gruppe sank der HbA1c-Wert von durchschnittlich 8,5 auf 6,9 Prozent, in der Insulin-glargin-Gruppe von 8,4 auf 7,1 Prozent.
In ONWARDS-2 wurden 526 Typ-2-Diabetiker, die zuvor bereits ein Basalinsulin erhalten hatten, entweder auf wöchentliches Insulin icodec oder tägliches Insulin degludec eingestellt. Nach 26 Wochen war der HbA1c-Wert im ersten Studienarm von durchschnittlich 8,2 auf 7,2 Prozent gesunken, in der zweiten Gruppe von durchschnittlich 8,1 auf 7,4 Prozent. In der Studie ONWARDS-6 mit knapp 600 Typ-1-Diabetikern betrug die Senkung des HbA1c-Werts gegenüber dem Ausgangswert nach 26 Wochen –0,47 Prozent unter Insulin icodec und –0,51 Prozent unter Insulin degludec.
Das neue Insulin icodec wird mithilfe des Fertigpens FlexTouch® verabreicht. / Foto: Novo Nordisk
Die Applikation von Insulin icodec erfolgt einmal wöchentlich als subkutane Injektion in den Oberschenkel, Oberarm oder die Bauchdecke. Auch bei diesem Insulin sollen die Injektionsstellen rotieren und die Patienten sollen bei jeder Injektion eine neue Nadel verwenden.
Bei Typ-2-Diabetikern, die bisher noch kein Insulin bekommen haben, und die eine Insulintherapie mit Awiqli beginnen, wird eine wöchentliche Anfangsdosis von 70 Einheiten empfohlen. Anschließend sollte die Dosis einmal wöchentlich individuell angepasst werden.
Diabetikern, die von ein- oder zweimal täglich verabreichtem Basalinsulin auf Insulin icodec umsteigen, wird empfohlen, die erste Insulin-icodec-Gabe am Tag nach der letzten verabreichten Dosis ihres alten Basalinsulins zu injizieren. Die empfohlene Dosis Awiqli entspricht der täglichen Basalinsulin-Gesamtdosis multipliziert mit 7, gerundet auf die nächsten 10 Einheiten. Lediglich für die erste Injektion wird eine zusätzliche einmalige Aufsättigungsdosis von 50 Prozent empfohlen, falls ein schnelleres Erreichen der Blutzuckerkontrolle bei Patienten mit Typ-2-Diabetes angestrebt wird. Für Patienten mit Typ-1-Diabetes wird diese Aufsättigungsdosis bei der ersten Injektion immer empfohlen.
Ein Beispiel: Hat ein Typ-1-Diabetiker insgesamt bisher 30 Einheiten eines Basalinsulins gespritzt, so rechnet man für die erste Dosis 7 x 30 Einheiten x 1,5 = 315 Einheiten. Aufgerundet wird dann auf 320 Einheiten. Ab der zweiten Woche errechnet sich die wöchentliche Dosis dann wie folgt: 7 x 30 Einheiten = 210 Einheiten. In der Fachinformation findet sich eine entsprechende Tabelle.
Die am häufigsten beobachtete Nebenwirkung von Insulin icodec ist eine Unterzuckerung. Bei Typ-1-Diabetikern gab es im Vergleich zu Insulin degludec ein erhöhtes Hypoglykämie-Risiko, weshalb sie nur dann mit Insulin icodec behandelt werden sollten, wenn ein eindeutiger Nutzen von einer wöchentlichen Dosierung erwartet wird. Eine häufig beobachtete Nebenwirkung von Insulin icodec sind Reaktionen an der Injektionsstelle.
Aufgrund fehlender Erfahrungen während der Schwangerschaft muss Frauen im gebärfähigen Alter geraten werden, Awiqli abzusetzen, wenn sie schwanger werden oder schwanger werden möchten. In der Stillzeit ist zu entscheiden, ob auf das Stillen verzichtet wird oder die Behandlung mit Insulin icodec beendet wird. Dabei sind sowohl der Nutzen des Stillens für das Kind als auch der Nutzen der Therapie für die Frau zu berücksichtigen.
Wie andere Insuline muss auch Awiqli vor dem ersten Gebrauch im Kühlschrank bei 2 bis 8 °C aufbewahrt werden. Nach Anbruch darf das Arzneimittel maximal zwölf Wochen bei maximal 30 °C gelagert werden.
Mit Insulin icodec kommt nach vielen Jahren erstmals ein neues Basalinsulin in den Handel. Es handelt sich um das erste Ultra-Langzeitinsulin, das nur noch einmal pro Woche zu injizieren ist – mit Efsitora alfa könnte zukünftig übrigens ein weiteres folgen.
Die wöchentliche Gabe und die Raffinessen, die beim Wirkstoffdesign von Insulin icodec dazu geführt haben, dass die Halbwertszeit auf fast 200 Stunden verlängert wurde, rechtfertigen die Einstufung des Neulings bei den Sprunginnovationen. Insulin icodec weist ein Wirkprofil mit einer langsamen und stetigen zuckersenkenden Wirkung auf.
Das umfangreiche Studienprogramm ONWARDS zeigt, dass die einmalig wöchentliche Gabe des neuen Insulins der täglichen Basalinsulin-Therapie mindestens ebenbürtig ist. In einigen Studien war Insulin icodec tendenziell sogar etwas besser wirksam hinsichtlich der HbA1c-Senkung.
Insbesondere bei Typ-2-Diabetikern wird Insulin icodec wohl eine Rolle spielen. Denn bei manchen Betroffenen hat die Belastung durch eine oder zwei tägliche Basalinsulingaben einen negativen Einfluss auf die Therapieakzeptanz und -adhärenz. Die wöchentliche Therapie mit Insulin icodec könnte sich daher positiv auf beides auswirken. Man hat schließlich auch bei den GLP-1-Rezeptoragonisten gesehen, dass die verminderte Injektionsfrequenz von täglich zu wöchentlich hinsichtlich Therapietreue und Blutzuckerkontrolle in vielen Fällen vorteilhaft ist.
Interessant wären natürlich auch weitere Daten bei Typ-1-Diabetes, unter anderem auch bei Kindern. Bislang wird das neue Insulin bei neu diagnostiziertem Typ-1-Diabetes sowie bei Kindern und Jugendlichen nicht empfohlen und grundsätzlich gilt bislang die Empfehlung, dass Typ-1-Diabetiker wegen eines erhöhten Unterzuckerungsrisikos nur dann mit Insulin icodec behandelt werden sollten, wenn ein eindeutiger Nutzen von einer wöchentlichen Dosierung erwartet wird.
Zu erwarten ist, dass Awiqli auch in der Apotheke für Beratungsbedarf sorgen wird, zum Beispiel bei Fragen zum Fertigpen, zur wöchentlich zu injizierenden Dosis und zum Einsatz des Präparats in Schwangerschaft und Stillzeit.
Sven Siebenand, Chefredakteur