Erstes Gepant für Prophylaxe und Akuttherapie |
Kerstin A. Gräfe |
01.07.2025 18:00 Uhr |
Für viele Menschen mit Migräne reichen klassische Akuttherapien oder prophylaktische Maßnahmen nicht aus. Mit Rimegepant gibt es eine weitere Therapieoption. / © Adobe Stock/goodluz
Rimegepant (Vydura® 75 mg Lyophilisat zum Einnehmen, Pfizer) ist zugelassen für Erwachsene zur Akutbehandlung von Migräneanfällen mit oder ohne Aura sowie zur Prophylaxe von episodischer Migräne, wenn die Betroffenen mindestens vier Migränetage pro Monat haben.
Rimegepant ist wie Atogepant (Aquipta®) ein oral verfügbarer Arzneistoff, der selektiv und mit hoher Affinität an den Rezeptor des Neuropeptids Calcitonin-Gene-Related-Peptide (CGRP) bindet und dessen Funktion antagonisiert. CGRP gilt als wichtiger Botenstoff in der Pathophysiologie der Migräne. Er ist an der Schmerzweiterleitung und Entzündungsreaktion beteiligt. Zudem bewirkt er eine Freisetzung vasoaktiver Verbindungen aus bestimmten Zellen, die eng mit den Schmerzrezeptoren der Hirnhaut assoziiert sind und zu einer Gefäßerweiterung führen.
Rimegepant steht als Lyophilisat zum Einnehmen zur Verfügung. Die empfohlene Dosis in der Akuttherapie beträgt bei Bedarf einmal täglich 75 mg. Zur Migräneprophylaxe werden alle zwei Tage einmal 75 mg Wirkstoff empfohlen. Das Lyophilisat wird auf oder unter die Zunge gelegt. Es löst sich im Mund auf und kann ohne Flüssigkeit eingenommen werden. Die Patienten sollen darauf hingewiesen werden, dass sie zum Öffnen der Blisterpackung trockene Hände haben müssen.
Die Anwendung von Rimegepant bei Patienten mit stark eingeschränkter Leberfunktion oder terminaler Niereninsuffizienz wird nicht empfohlen. Gleiches gilt für die gleichzeitige Anwendung mit starken CYP3A4-Inhibitoren oder gleichzeitiger Gabe mit starken oder mittelstarken CYP3A4-Induktoren. Bei Letzteren ist zu beachten, dass die induzierende Wirkung nach dem Absetzen für bis zu zwei Wochen anhalten kann. Bei gleichzeitiger Anwendung von mittelstarken CYP3A4-Inhibitoren sowie von starken Inhibitoren der Effluxtransporter P-gp und BCRP ist die Einnahme einer weiteren Dosis Rimegepant innerhalb von 48 Stunden zu vermeiden.
Schwangere sollten aus Vorsichtsgründen die Anwendung von Rimegepant vermeiden. Die Entscheidung über das Stillen sollte unter Berücksichtigung des therapeutischen Nutzens für die Mutter, des potenziellen Risikos für den Säugling sowie des gesundheitsfördernden Werts des Stillens getroffen werden.
Die Wirksamkeit von Rimegepant in der Akuttherapie der Migräne mit und ohne Aura bei Erwachsenen wurde in drei randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studien an insgesamt etwa 3500 Patienten untersucht. Den Teilnehmenden wurde eine Tablette ausgehändigt (75 mg Rimegepant oder Placebo) und sie wurden angewiesen, diese bei Migräne mit mittelstarken bis starken Kopfschmerzen einzunehmen. In den anschließenden 48 Stunden füllten sie einen Fragebogen zur Schmerzintensität und zu den Begleitsymptomen aus. Die koprimären Endpunkte waren Schmerzfreiheit nach zwei Stunden sowie Abklingen des am stärksten belastenden Begleitsymptoms nach zwei Stunden. Zu Letzterem zählten zum Beispiel Licht-/Geräuschempfindlichkeit oder Übelkeit.
Mit Rimegepant erreichten in allen drei Studien im Durchschnitt 20 Prozent der Patienten nach zwei Stunden eine komplette Schmerzfreiheit gegenüber durchschnittlich 12 Prozent der Patienten in der Placebogruppe. Dieser Unterschied war statistisch signifikant. Das am stärksten belastende Begleitsymptom verschwand bei etwa 36 Prozent der Patienten in der Verumgruppe und bei etwa 27 Prozent der Patienten in der Placebogruppe.
Die Wirksamkeit von Rimegepant als prophylaktische Migränebehandlung wurde in einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie an 747 Erwachsenen mit 4 bis 18 Migräneanfällen pro Monat untersucht. Die Teilnehmenden erhielten über einen Zeitraum von bis zu zwölf Wochen alle zwei Tage Rimegepant oder Placebo. Primärer Endpunkt war die Veränderung der durchschnittlichen Anzahl von Migränetagen pro Monat gegenüber dem Ausgangswert in Woche 9 bis 12. Unter Vydura zeigte sich eine mittlere Reduktion der monatlichen Migränetage um 4,3 Tage, gegenüber 3,5 Tagen unter Placebo.
Die häufigste Nebenwirkung in der Akuttherapie und Prophylaxe war Übelkeit. Zudem wurden im Rahmen von klinischen Studien Überempfindlichkeitsreaktionen wie Dyspnoe und Ausschlag in weniger als 1 Prozent aller Fälle beobachtet. Diese Reaktionen können auch noch Tage nach der Einnahme auftreten. Wenn sich eine solche Überempfindlichkeitsreaktion entwickelt, ist Rimegepant abzusetzen und eine geeignete Therapie einzuleiten.
Vydura sollte nicht bei Temperaturen von mehr als 30 °C und in der Originalverpackung aufbewahrt werden, um den Inhalt vor Feuchtigkeit zu schützen.
Nach Atogepant, das im ersten Quartal 2025 eingeführt wurde, kam im zweiten Quartal nun direkt der zweite orale CGRP-Rezeptorantagonist in den deutschen Handel: Rimegepant. Da es ein paar Wochen nach Atogepant kommt und der Wirkmechanismus längst auch von den Anti-CGRP-Antikörpern bekannt ist, scheint die vorläufige Bewertung als Sprunginnovation überraschend. Es gibt dafür aber Gründe.
So ist Rimegepant der erste CGRP-Rezeptorantagonist, der nicht nur für die Migräneprophylaxe zugelassen ist. Die Substanz darf auch zur Akuttherapie der Migräne mit oder ohne Aura bei Erwachsenen zum Einsatz kommen. Das ist also ein neues Wirkprinzip in der Akutbehandlung. In den drei Studien dazu konnte Rimegepant gegenüber Placebo einen signifikanten Nutzen belegen.
Vorteilhaft, etwa für Migränepatienten mit Übelkeit, ist sicher auch die bukkale Anwendung von Rimegepant ohne Flüssigkeit. Anders als das ebenfalls recht neue Akutmedikament Lasmiditan ist im Fall von Rimegepant nach der Anwendung nicht mit einem Einfluss auf die Verkehrstüchtigkeit oder das Bedienen von Maschinen zu rechnen. Grundsätzlich ist Rimegepant eine sehr gut verträgliche Substanz. In der Migräneprophylaxe muss es anders als Atogepant nicht täglich angewendet werden, sondern nur alle zwei Tage.
Ob man die vorläufige Bewertung Sprunginnovation beibehalten kann, ist zukünftig zu überprüfen. Denn einige Fragen bleiben offen. Ein Direktvergleich in beiden Einsatzgebieten wäre sehr wünschenswert. Es wäre zum Beispiel gut zu wissen, wie sich Rimegepant zur Prophylaxe gegenüber den Antikörpern oder Atogepant schlägt. In der Akuttherapie wäre ein direkter Vergleich mit einem Triptan sinnvoll. Apropos Triptane: Bei ihrem Einsatz ist immer auch das mögliche kardiovaskuläre Risiko der Patienten zu berücksichtigen. Ist Rimegepant hier eine geeignete Ausweichsubstanz? In der Fachinformation steht dazu nichts. Man sollte aber doch im Hinterkopf behalten, dass CGRP im kardiovaskulären System eine protektive Funktion hat, die ein CGRP-Rezeptorantagonist gegebenenfalls ausschalten könnte.
Sven Siebenand, Chefredakteur