Erstes Antisense-Oligonukleotid bei ALS |
Brigitte M. Gensthaler |
01.08.2024 18:00 Uhr |
In einer Fallserie mit sechs Patienten (DOI: 10.1002/mus.27818), die in drei deutschen ALS-Zentren behandelt wurden, beobachteten die Autoren um Professor Dr. Thomas Meyer von der Charité Berlin einen signifikanten Rückgang von NfL. Dies könne darauf hinweisen, dass Tofersen den Krankheitsverlauf beeinflussen kann (disease-modifying activity).
In der Phase-III-ATLAS-Studie (NCT04856982) soll nun geprüft werden, ob der Einsatz von Tofersen bei präsymptomatischen Trägern von bestimmten SOD1-Varianten und mit erhöhten NfL-Plasmaspiegeln die klinische Manifestation hinauszögern kann.
Schwerwiegende Nebenwirkungen unter Tofersen waren Myelitis, erhöhter intrakranieller Druck und/oder Papillenödem (jeweils 2,7 Prozent), Radikulitis und aseptische Meningitis (jeweils 1,4 Prozent). Die häufigsten Nebenwirkungen waren Schmerzen, Gelenk- und Muskelschmerzen, Müdigkeit (Fatigue), erhöhte Leukozytenzahl und Proteinmenge im Liquor sowie Fieber.
Wechselwirkungen wurde nicht untersucht. Tofersen ist aber kein Induktor oder Inhibitor des CYP450-vermittelten oxidativen Metabolismus. Es gibt keine Erfahrungen in der Schwangerschaft. Die Anwendung während der Schwangerschaft und bei Frauen, die nicht verhüten, wird nicht empfohlen.
Das Antisense-Oligonukleotids Tofersen ist vorläufig als Sprunginnovation einzustufen. Dafür spricht, dass das Target, die mRNA des SOD1-Gens, neu ist. Und mit Tofersen steht erstmals ein Arzneistoff zur Verfügung, der gezielt gegen eine bestimmte, aber sehr seltene genetische Ursache der ALS gerichtet ist.
Gewisse Abstriche muss man allerdings machen. So fielen die Ergebnisse der zulassungsrelevanten Studie im primären Endpunkt zwar numerisch zugunsten von Tofersen aus, sie waren jedoch statistisch nicht signifikant. Gleiches galt für die sekundären Endpunkte. Zudem ist die Liste möglicher, auch schwerwiegender, Nebenwirkungen lang. Insofern ist es richtig, dass die Europäische Arzneimittelagentur Tofersen bislang nur unter »außergewöhnlichen Umständen« zugelassen hat und den Hersteller aufgefordert hat, weitere Daten zur langfristigen Sicherheit und Wirksamkeit des Arzneimittels vorzulegen.
Gut möglich, dass man dann zu der Erkenntnis kommt, dass die 28 Wochen, die für die anfängliche verblindete Studienphase vorgesehen waren, nicht lang genug waren, um einen klinischen Nutzen nachzuweisen. Immerhin war diese Phase lang genug, um eine Senkung der SOD1- und NfL-Spiegel zu zeigen.
Mit Spannung darf man auch auf die Ergebnisse der ATLAS-Studie warten. In dieser wird untersucht, ob Tofersen bei präsymptomatischen Personen mit einer bestätigten SOD1-Genmutation und Biomarker-Anzeichen für eine Krankheitsaktivität den Beginn der manifesten klinischen Symptomatik verzögern kann.
Sven Siebenand, Chefredakteur