Erste personalisierte Therapie dank Erdafitinib |
| Sven Siebenand |
| 05.02.2025 07:00 Uhr |
Das Urothelkarzinom ist bei Männern der vierthäufigste Krebs, bei Frauen steht diese Tumorart an 13. Stelle. Mit Erdafitinib gibt es nun eine erste personalisierte Therapieoption für bestimmte Betroffene mit nicht resezierbarem oder metastasiertem Urothelkarzinom. / © Adobe Stock/Shisu_ka
Das Harnblasenkarzinom ist mit mehr als 30.000 Neuerkrankungen pro Jahr eine der häufigeren Krebserkrankungen in Deutschland. Größter Risikofaktor ist das Rauchen, das für die Hälfte aller Fälle verantwortlich ist. Die vorherrschende Form dieser Krebsart ist das Urothelkarzinom. Es hat im metastasierten Stadium eine besonders schlechte Prognose.
Bislang werden neben Chemotherapeutika insbesondere die Checkpoint-Inhibitoren Atezolizumab, Nivolumab und Pembrolizumab sowie das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Enfortumab Vedotin eingesetzt. Eine personalisierte Therapie stand nicht zur Verfügung.
Das hat sich mit der Einführung von Balversa nun geändert. Das Präparat ist zugelassen zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit inoperablem oder metastasiertem Urothelkarzinom und bestimmten genetischen Veränderungen des Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Rezeptor-3 (Fibroblast Growth Factor Receptor 3, FGFR3). Sie müssen zuvor mindestens eine Therapielinie mit einem PD-1- oder PD-L1-Inhibitor im nicht resezierbaren oder metastasierten Stadium erhalten haben.
FGFR3-Genveränderungen stellen beim Urothelkarzinom eine Treibermutation dar. FGFR3 ist an mehreren Schlüsselprozessen der Tumorentstehung beteiligt. Etwa 20 Prozent der Urothelkarzinom-Patienten weisen FGFR3-Alterationen auf. Vor dem Einsatz von Erdafitinib muss das Vorliegen einer oder mehrerer genetischer FGFR3-Veränderungen durch einen Test bestätigt sein.
Erdafitinib ist ein Pan-FGFR-Tyrosinkinase-Hemmer. Das heißt, der Wirkstoff inhibiert unter anderem auch FGFR3. Ganz neu ist dieser Wirkmechanismus allerdings nicht. Auch die beim Gallengangskarzinom zugelassenen Kinasehemmer Futibatinib und Pemigatinib sind FGFR-Inhibitoren; Futibatinib wie Erdafitinib ein Pan-FGFR-Tyrosinkinase-Hemmer.
Erdafitinib wurde auf Basis der Ergebnisse von der Kohorte 1 der offenen, multizentrischen Phase-III-Studie THOR zugelassen. In dieser Studie zeigte der Kinasehemmer im Vergleich zur Chemotherapie eine deutliche Überlegenheit hinsichtlich Gesamtüberleben, progressionsfreiem Überleben und Gesamtansprechrate. Involviert in die Studie waren 266 Patienten mit einem nicht resezierbaren oder metastasierten Urothelkarzinom und bestimmten FGFR2/3-Alterationen, die bereits ein bis zwei systemische Therapien, darunter eine Anti-PD-(L)1-Therapie, erhalten hatten. Die Patienten bekamen randomisiert Erdafitinib (n = 136) oder eine Chemotherapie (Docetaxel oder Vinflunin) nach Wahl des Behandlers (n = 130).
Der primäre Endpunkt, das mediane Gesamtüberleben, wurde unter Erdafitinib im Vergleich zur Chemotherapie signifikant verlängert (12,1 versus 7,8 Monate). Auch bei den sekundären Endpunkten war Erdafitinib überlegen: Das mediane progressionsfreie Überleben betrug im Erdafitinib-Arm 5,6 Monate versus 2,7 Monate im Kontrollarm. Die Gesamtansprechrate lag unter Erdafitinib laut Fachinformation bei 35,3 Prozent und unter Chemotherapie bei 8,5 Prozent.
Erdafitinib wird einmal pro Tag oral eingenommen. Die empfohlene Anfangsdosis von 8 mg kann je nach Verträglichkeit und Serumphosphatspiegel auf 9 mg erhöht werden. Zur Dosierung finden sich in der Fachinformation weitere Details. Denn abhängig vom Serumphosphatspiegel und dem Auftreten von Nebenwirkungen können Dosisanpassungen notwendig werden. Bei Patienten mit schwerer Nieren- oder Leberfunktionsstörung sollte eine Behandlungsalternative zu Erdafitinib in Betracht gezogen werden.
Die Liste möglicher Nebenwirkungen ist lang. Sehr häufig ist unter anderem Hyperphosphatämie. Wichtig ist deshalb, dass der Phosphatspiegel im Blut vor der ersten Dosis bestimmt und anschließend monatlich überwacht wird. Steigt er an, wird die Dosis reduziert, zusätzlich ein Phosphatbinder gegeben oder die Behandlung abgebrochen.
Unter der Therapie mit Erdafitinib soll die Phosphatzufuhr über die Nahrung (600 bis 800 mg täglich) eingeschränkt werden. Die gleichzeitige Anwendung von Wirkstoffen, die den Phosphatspiegel erhöhen können, soll bei Spiegeln ≥ 5,5 mg/dl vermieden werden. Eine Supplementierung mit Vitamin D wird bei Patienten, die Erdafitinib erhalten, nicht empfohlen, da sie möglicherweise zu erhöhten Serumphosphat- und Calciumspiegeln beiträgt.
Auch Augenerkrankungen kann der neue Wirkstoff auslösen. Sehr häufig sind zum Beispiel trockenes Auge und zentrale seröse Retinopathie. Vor Beginn der Behandlung mit Balversa und in regelmäßigen Abständen unter der Therapie sollten augenärztliche Untersuchungen erfolgen. Alle Patienten sollten zudem eine Prophylaxe oder Behandlung gegen Augentrockenheit erhalten, und zwar mindestens alle zwei Stunden während der Wachzeiten.
Weitere Warnhinweise beziehen sich zum Beispiel auf Haut-, Nagel- und Schleimhauterkrankungen sowie Lichtempfindlichkeitsreaktionen. Hauterkrankungen wie trockene Haut und palmar-plantares Erythrodysästhesie-Syndrom (PRES) sind sehr häufig, ebenso Nagelerkrankungen einschließlich Onycholyse, Nagelverfärbung und Paronychie. Auch Schleimhauterkrankungen wie Stomatitis und Mundtrockenheit treten sehr häufig auf. Wegen des potenziellen Risikos phototoxischer Reaktionen im Zusammenhang mit der Einnahme von Balversa ist bei Sonnenexposition Vorsicht geboten, indem schützende Kleidung getragen wird und/oder Sonnenschutzmittel aufgetragen wird.
Auch in Sachen Wechselwirkungen gibt es einiges zu beachten. So ist Vorsicht geboten bei der Anwendung von Balversa zusammen mit Arzneimitteln, die bekanntermaßen das QT-Intervall verlängern, oder mit Arzneimitteln, die Torsades de pointes auslösen können.
Die gleichzeitige Anwendung des Kinasehemmers mit moderaten CYP2C9- oder starken CYP3A4-Inhibitoren erhöht die Erdafitinib-Exposition und erfordert eine Dosisanpassung. Der Verzehr von Grapefruit oder Bitterorangen (Sevilla-Orangen) soll während der Behandlung mit Balversa aufgrund der starken CYP3A4-Hemmung vermieden werden.
Die gleichzeitige Anwendung von Erdafitinib mit starken CYP3A4-Induktoren wird nicht empfohlen. Die gleichzeitige Gabe mit moderaten CYP3A4-Induktoren erfordert eine Dosisanpassung. Zudem kann eine gleichzeitige Einnahme die Wirksamkeit hormoneller Kontrazeptiva verringern. Patientinnen, die hormonelle Kontrazeptiva anwenden, sollten darauf hingewiesen werden, während der Behandlung und bis zu einem Monat nach der letzten Einnahme von Balversa ein alternatives Kontrazeptivum, das nicht durch Enzyminduktoren beeinflusst wird, oder eine zusätzliche nicht hormonelle Verhütungsmethode zu verwenden.
Erdafitinib kann aufgrund seines Wirkmechanismus und basierend auf Ergebnissen aus tierexperimentellen Reproduktionsstudien den Fetus schädigen, wenn es von Schwangeren eingenommen wird. Patientinnen im gebärfähigen Alter sollen darauf hingewiesen werden, vor und während der Behandlung sowie für einen Monat nach der letzten Einnahme von Erdafitinib eine hochwirksame Verhütungsmethode anzuwenden. Während der Schwangerschaft darf der Kinasehemmer nicht angewendet werden, es sei denn, eine Behandlung ist aufgrund des klinischen Zustandes der Frau erforderlich. Das Stillen sollten Frauen während der Behandlung und für einen Monat nach der letzten Einnahme unterbrechen.
Der Wirkmechanismus von Erdafitinib ist ganz sicher nicht das Innovative an diesem Neuling. Denn mit Futibatinib und Pemigatinib gibt es schon seit einiger Zeit FGFR-Inhibitoren im Handel. Das Besondere an Erdafitinib ist sein Einsatzgebiet: Es ist die erste personalisierte Therapie beim Urothelkarzinom.
Für Patienten mit FGFR3-Alterationen bringt der Wirkstoff einen Fortschritt. Immerhin circa jeder Fünfte weist diese genetischen Veränderungen auf. Eine rechtzeitige Testung darauf ist also spätestens vor der Entscheidung zur Zweitlinientherapie sinnvoll. Zusammen mit den überzeugenden Studien, in denen Erdafitinib im Vergleich zu einer Chemotherapie das Gesamtüberleben um mehr als vier Monate verlängern und das progressionsfreie Überleben in etwa verdoppeln konnte, ergibt sich die vorläufige Bewertung als Schrittinnovation.
Erdafitinib ist aber auch ein Wirkstoff, bei dem in Sachen Nebenwirkungen einiges zu beachten ist. Themen wie Augengesundheit, Phosphatspiegel und Nagelerkrankungen spielen auch bei der Abgabe des Medikaments in der Apotheke eine wichtige Rolle im Beratungsgespräch.
Es bleibt abzuwarten, wie es mit Erdafitinib weitergehen wird. Denkbar wären ein Einsatz auch in der Erstlinientherapie beim Urothelkarzinom oder die Anwendung bei anderen Tumoren. Denn FGFR-Genmutationen liegen bei einem breiten Spektrum von Krebserkrankungen vor und können ein Treiber für das Tumorwachstum sein.
Sven Siebenand, Chefredakteur