Erste Gentherapie im Handel |
Kerstin A. Gräfe |
23.05.2023 07:00 Uhr |
Die Zulassung basiert auf der offenen, einarmigen Phase-III-Studie HOPE-B an 54 erwachsenen Patienten mit mittelschwerer und schwerer Hämophilie B. In einer sechsmonatigen Einleitungsphase, in der die Probanden weiterhin ihre Standardtherapie verwendeten, wurde die jährliche Blutungsrate (ABR) als Referenzwert ermittelt. Danach erhielten die Studienteilnehmer eine einmalige Infusion Etranacogen Dezaparvovec. Der primäre Endpunkt war die 52-wöchige ABR nach Erreichen einer stabilen FIX-Transgenexpression, gemessen von Monat 7 bis 18 nach Infusion.
Von der laufenden Studie liegen die 24-Monats-Daten vor. Im Vergleich zur Einleitungsphase verringerten sich demnach die bereinigte ABR signifikant um 64 Prozent, die Rate behandelter Blutungen um 73 Prozent und die Rate an Gelenkblutungen um 80 Prozent. 96 Prozent der Patienten konnten die Faktor-IX-Prophylaxe beenden.
Zu den häufigen Nebenwirkungen gehören Kopfschmerzen, grippeähnliche Symptome sowie infusionsbedingte Reaktionen. Neun von 54 Teilnehmern (16,7 Prozent) entwickelten eine behandlungsbedürftige Erhöhung der ALT.
Etranacogen Dezaparvovec, die erste Gentherapie bei Hämophilie B, ist als Sprunginnovation einzustufen. Die
derzeit verfügbaren Faktor-IX-Präparate mit verlängerter Wirkdauer stellen zwar einen großen Fortschritt in
der Behandlung dar, können Blutungen aber nicht vollständig vermeiden. Laut den 24-Monatsdaten der Phase-III-Studie HOPE-B konnten nach der Behandlung mit Etranacogen Dezaparvovec 96 Prozent der Patienten die Faktor-IX-Prophylaxe dauerhaft beenden und die jährlichen Blutungsraten sanken deutlich. Leider können nicht alle Patienten mit Hämophilie B mit der neuen Gentherapie behandelt werden. Diejenigen, die die Kriterien erfüllen, dürfen aber auf einen hohen Nutzen hoffen.
Nun gilt es zu prüfen, wie lange der Effekt anhält. Selbstverständlich muss auch das Sicherheitsprofil dauerhaft überwacht werden. Auf der Einführungspressekonferenz zu Etranacogen Dezaparvovec hieß es, dass bisher noch kein Fall einer Insertionsmutagenese beim Menschen durch eine AAV-basierte Gentherapie bekannt geworden ist. Das ist beruhigend, muss aber weiter sorgfältig beobachtet werden.
Sven Siebenand, Chefredakteur