Pharmazeutische Zeitung online Avoxa
whatsApp instagram facebook bluesky linkedin xign

Übererregbarkeit des Gehirns
-
Epileptische Anfälle als Frühzeichen für Alzheimer

Wenn bei einem älteren Menschen erstmals epileptische Anfälle auftreten, kann eine Alzheimer-Erkrankung dahinterstecken. Denn eine Übererregbarkeit des Gehirns kann in frühen Stadien der Erkrankung auftreten und deren Progression beschleunigen.
AutorKontaktChristina Hohmann-Jeddi
Datum 22.12.2025  09:00 Uhr

Eine Übererregbarkeit des Gehirns, also eine gesteigerte Bereitschaft von Nervenzellen oder neuronalen Netzwerken, bei Reizen zu »feuern«, ist ein Kennzeichen von Epilepsie. Plötzliche, unkontrollierte elektrische Entladungen lösen bei Patienten Anfälle aus. Eine solche Übererregbarkeit der neuronalen Schaltkreise ist aber auch in frühen Phasen einer Alzheimer-Erkrankung zu beobachten. Darauf wies Professor Dr. Jörg Schulz, Direktor der Klinik für Neurologie an der Uniklinik RWTH Aachen, beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) Mitte November in Berlin hin.

Diese Hyperaktivität kann sowohl subklinisch als auch klinisch verlaufen und sich als epileptischer Anfall äußern. Einer kalifornischen Studie zufolge träten epileptische Anfälle sehr früh im Krankheitsverlauf auf, häufig schon vor ersten Symptomen oder in der Phase einer milden kognitiven Beeinträchtigung (MCI), berichtete der Neurologe: »Bei ersten epileptischen Anfällen im höheren Lebensalter und bei unauffälligem MRT können diese eine erste Manifestation einer Alzheimer-Erkrankung sein.«

Die Anfälle treten dabei vorwiegend temporal und unilateral auf. Sie weisen Studien zufolge auf eine schnellere Progression hin. Selbst eine subklinische epileptoforme Aktivität war in einer Untersuchung mit einem Rückgang der Gesamtkognition und der exekutiven Funktionen assoziiert. »Die neuronale Hyperaktivität scheint die Atrophie zu beschleunigen«, berichtete Schulz.

Antiepileptika gegen Alzheimer-Progression?

Entsprechend könnte das Antiepileptikum Levetiracetam auch die Progression aufhalten. Um diese These zu prüfen, wurde in einer Phase-IIa-Studie die Wirkung von Levetiracetam bei 34 Patienten mit Alzheimer-Erkrankung getestet. Insgesamt konnte die Gabe die exekutiven Funktionen der Patienten nicht verbessern, berichtete ein Team um Keith Vossel von der University of California 2021 in »JAMA Neurology«. Allerdings verbesserte sich die Subgruppe von Alzheimer-Patienten, die eine neuronale Hyperaktivität aufwiesen, durch die Levetiracetam-Einnahme in verschiedenen Aufmerksamkeits- und Lerntests.

Wie hängen Alzheimer-Pathologie und Hyperaktivität zusammen? In einem Mausmodell konnte ein Team um Marc-Aurel Busche und Arthur Konnerth von der Technischen Universität München zeigen, dass sich in frühen Stadien, noch vor der Bildung von Amyloid-Plaques, eine Hyperaktivität im Hippocampus ausbildet (»Philosophical Transactions of the Royal Society B«). Wenn Tiere mit einem Inhibitor der γ-Sekretase behandelt werden, also kein β-Amyloid (Aβ) entsteht, bildet sich die Hyperaktivität nicht aus.

»Wenn man verhindert, dass β-Amyloid entsteht, dann verhindert man auch die Hyperaktivität«, sagte Schulz. Umgekehrt lässt sich durch Gabe von löslichen Amyloid-Oligomeren zu Hirngewebeproben Hyperaktivität gezielt auslösen. Die gleichen Autoren konnten auch zeigen, dass die Nervenzellen in der Umgebung von Amyloid-Plaques übererregbar sind. Somit bewirken lösliches Aβ und Plaques eine Übererregbarkeit.

Diese wiederum verstärkt die τ-Pathologie, die ein weiteres Kennzeichen der Alzheimer-Erkrankung ist. Dabei verklumpen τ-Proteine, die normalerweise Mikrotubuli stabilisieren. Diese Aggregate verbreiten sich über die Synapsen. Die Amyloid-induzierte Hyperaktivität verstärke die Vernetzung der Neuronen, nach dem Motto »What fires together, wires together«, erklärte Schulz. Dadurch trägt Aβ zur Verbreitung von pathologischem τ-Protein im Gehirn bei.

Im Zustand der Hyperaktivität und beginnenden τ-Pathologie sei die Erkrankung noch aufzuhalten – etwa durch Reduktion von Aβ oder endogenem τ. Wenn die τ-Pathologie aber fortschreitet, kommt es zu einer neuronalen Hypoaktivität und zunehmendem Zelltod. Dann komme jede Intervention zu spät, so Schulz.

Somit habe man ein neues Behandlungsziel in der Alzheimer-Therapie – nämlich, die Hyperaktivität zu bremsen. Dieses Konzept wolle ein Team um Dr. Nicolai Franzmeier von der Ludwig Maximilians Universität München in der Phase-IIa-Studie CHARGE (Controlling neuronal Hyperactivity to attenuate tau propagation in Alzheimers disease) untersuchen, berichtete der Referent. In der Studie soll die Wirkung der Antiepileptika Lacosamid, Levetiracetam und Perampanel auf die neuronale Übererregbarkeit und die aktivitätsabhängige Freisetzung von pathologischem τ-Protein (pTau217) geprüft werden.

Mehr von Avoxa