Entwarnung für werdende Mütter und Väter? |
Kerstin A. Gräfe |
20.06.2024 09:00 Uhr |
Eltern wollen das Beste für ihr Kind. Für Typ-2-Diabetiker stellt sich die Frage, ob sie zum Wohl des Kindes Metformin absetzen sollten. Neuen Studiendaten zufolge ist das wohl unnötig. / Foto: Getty Images/ArtistGNDphotography
Metformin gilt laut der Nationalen Versorgungsleitlinie als Mittel der ersten Wahl bei Typ-2-Diabetes. Ob diese Empfehlung angesichts neuerer Antidiabetika-Klassen wie GLP-1-Rezeptoragonisten oder SGLT2-Inhibitoren noch zeitgemäß ist, wird inzwischen kritisch hinterfragt.
Einige Metformin-haltige Präparate wie Glucophage®, Glucophage XR® und Stagid® können seit nunmehr zwei Jahren auch während der Schwangerschaft eingesetzt werden. Die Zulassungserweiterung umfasst dabei aber lediglich die Fortführung einer präkonzeptionell begonnenen Therapie bei Schwangeren mit Typ-2-Diabetes. Bei einem Gestationsdiabetes oder polyzystischen Ovarialsyndrom bleibt der Einsatz weiterhin off Label. In der entsprechenden Leitlinie wird von der Einnahme von Metformin in der Schwangerschaft gänzlich abgeraten.
Die beiden nun im Fachjournal »Annals of Internal Medicine« publizierten Studien könnten womöglich den Anstoß geben, diese Empfehlung zu überdenken. Das Team um Yu-Han Chiu von der Harvard T.H. Chan School of Public Health in Boston, Massachusetts, untersuchte die Daten von mehr als 12.000 Frauen und deren Kindern. Etwa zwei Drittel der Frauen nahmen im ersten Schwangerschaftstrimester weiterhin Metformin ein und erhielten zusätzlich Insulin. Als Kontrollgruppe dienten Frauen, die Metformin absetzten und nur mit Insulin behandelt wurden.
Das Risiko für eine Totgeburt bei Kindern von Frauen, die mit Metformin und Insulin behandelt wurden, war nicht größer ist als bei Frauen, die nur Insulin erhielten (34,2 versus 32,7 Prozent). Auch das Risiko für Fehlbildungen von lebend geborenen Kindern unterschied sich nicht zwischen den beiden Gruppen (5,7 versus 8 Prozent).
»Die Studie liefert starke Evidenz, dass Metformin während der Schwangerschaft sicher ist und keine signifikant erhöhten Risiken für kongenitale Fehlbildungen oder nicht lebende Geburten darstellt«, kommentiert Professor Dr. Michael Zitzmann vom Universitätsklinikum Münster. Sie könne tatsächlich Anlass für eine Überarbeitung der aktuellen Empfehlungen für Metformin bei schwangeren Frauen mit Typ-2-Diabetes bieten. Zu bedenken sei allerdings, dass in der Studie langfristige Effekte, die über den Geburtszeitpunkt hinausgehen, nicht vollständig bewertet wurden.
Diese Limitation sieht auch Dr. Wolfgang Paulus von der Universitätsfrauenklinik Ulm, der sie gravierender einschätzt als sein Kollege; Paulus rechnet mit keiner Änderung der Leitlinien auf Basis dieser Studie. Die langfristigen Auswirkungen der Metformin-Exposition auf die kardiovaskuläre und metabolische Verfassung der Nachkommen seien nicht genügend bekannt und auch die vorliegende Studie könne dazu keine Antworten geben.
Eine zweite Studie untersuchte fast 400.000 Kinder von Männern mit Typ-2-Diabetes, die Metformin während der Phase der Spermienproduktion eingenommen hatten. Eine frühere Studie aus dem Jahr 2022 hatte darauf hingedeutet, dass Metformin in dieser Phase das Risiko für Fehlbildungen bei den gezeugten Kindern erhöhen könnte.
Die Ergebnisse der aktuellen Studie sprechen gegen diesen Zusammenhang. Die Forschenden um Ran S. Rotem, ebenfalls aus Harvard, fanden keine erhöhte Inzidenz für Fehlbildungen. Erhöht war in dieser Studie jedoch das Risiko für Fehlbildungen bei Nachkommen von Vätern, die eine antidiabetische Polytherapie erhielten. Die Wissenschaftler führen dies auf ein potenziell schlechteres zugrunde liegendes kardiometabolisches Risikoprofil der Eltern zurück.
»Diese Ergebnisse legen nahe, dass Metformin als Monotherapie während der Spermatogenese nicht teratogen wirkt, wodurch die Bedenken der früheren Studie relativiert werden«, ordnet Zitzmann ein.