Entscheidend ist die Vielfalt |
Annette Rößler |
18.04.2023 07:00 Uhr |
Zusammenhänge zwischen dem Mikrobiom und Allergien sind ein Schwerpunkt von Traidl-Hoffmanns Forschung. Auch sie unterstrich: »Eine hohe Diversität des Mikrobioms ist mit Gesundheit verbunden, eine niedrige Diversität mit Krankheit. Welches von beiden die Ursache ist und was die Folge, ist allerdings nicht ganz klar.« Die Regel »große Vielfalt = gesund« gelte sowohl für das Mikrobiom des Darms als auch für das der Haut. So sei etwa die Haut von Patienten mit atopischem Ekzem (Neurodermitis) von einer drastischen Abnahme der Bakterienvielfalt gekennzeichnet. Staphylococcus aureus dominiere und verdränge andere Bakterien.
»In Europa haben 30 Prozent der Kinder ein atopisches Ekzem«, berichtete Traidl-Hoffmann. Dieses könne den Ausgangspunkt eines sogenannten atopischen Marsches bilden. Das bedeutet, dass ein Kind mit Neurodermitis später auch weitere Allergien wie Nahrungsmittelallergien, Heuschnupfen und schließlich Asthma entwickelt. Die Neurodermitis diene dabei als Türöffner (DOI: 10.1111/all.15108). »Wenn wir diese Tür schließen, wenn wir also das Ekzem stoppen, können wir den atopischen Marsch aufhalten.« Dies könne etwa durch eine gute Hautpflege bereits von Neugeborenen mit hohem Neurodermitis-Risiko gelingen, wie eine Publikation aus dem Jahr 2021 gezeigt habe (DOI: 10.1111/all.15116).
Der Mensch und seine Mikrobiome können dabei nicht losgelöst von der Umgebung betrachtet werden, in der sie sich befinden. Die mit der Urbanisierung einhergehende tiefgreifende Veränderung der Lebensbedingungen wird daher heute allgemein als entscheidender Faktor im Zusammenhang mit den stark gestiegenen Fallzahlen von Allergien gesehen – Stichwort Hygienehypothese. Traidl-Hoffmann zitierte eine Studie finnischer Autoren aus dem Jahr 2018, in der diese die Entwicklung der Allergieprävalenz im finnischen und im russischen Teil Kareliens seit dem Zweiten Weltkrieg miteinander verglichen hatten (DOI: 10.1111/cea.12527).
Demnach waren Allergien im russischen Karelien, wo sich die Lebens- und Ernährungsweise in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur allmählich wenig geändert hatten, kaum häufiger geworden. Im von Modernisierung geprägten finnischen Karelien dagegen hatten sich die Fallzahlen vervielfacht, sodass das Fazit der Arbeit lautete: »Diese Beobachtungen stützen die These, dass die Allergie- und Asthmaepidemie durch eine Abnahme der Exposition mit natürlichen Umgebungen mit reichen Mikrobiota, eine veränderte Ernährung und sitzenden Lebensstil zustande kommt.«
Kinder, die auf einem Bauernhof aufwachsen, leiden viel seltener an Asthma als Großstadtkinder. / Foto: Adobe Stock/splendens
Dies bestätigte auch Professor Dr. Erika von Mutius, Direktorin des Instituts für Asthma- und Allergieprävention, die vor allem in Bayern viel zum sogenannten Bauernhofeffekt geforscht hat. Darunter versteht man die Beobachtung, dass Kinder, die auf dem Bauernhof aufwachsen, viel seltener allergisches Asthma entwickeln als Kinder, die in Städten groß werden. »Als Studentin habe ich noch gelernt, dass die Atemwege steril sind. Heute wissen wir aber, dass das nicht stimmt«, berichtete von Mutius.