Entrectinib hemmt TRK, ROS1 und ALK |
Annette Rößler |
05.10.2020 07:00 Uhr |
Gleich drei überaktive Kinasen, die bei Krebs eine Rolle spielen können, hemmt Entrectinib: TRK, ROS1 und ALK. / Foto: Getty Images/PolenAZ
Entrectinib (Rozlytrek® 100 mg und 200 mg Hartkapseln, Roche) ist bestimmt zur Therapie von Patienten ab einem Alter von zwölf Jahren mit soliden Tumoren mit nachgewiesener neurotropher Tyrosinrezeptorkinase (NTRK)-Genfusion. Bedingungen für den Einsatz sind, dass die Erkrankung lokal fortgeschritten oder metastasiert ist oder dass bei einer chirurgischen Entfernung des Tumors eine schwere Morbidität zu erwarten wäre, dass der Patient zuvor keinen NTRK-Inhibitor erhalten hat und dass keine anderen zufriedenstellenden Therapieoptionen zur Verfügung stehen. Bei Erwachsenen mit nicht kleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC) darf Entrectinib ebenfalls eingesetzt werden, wenn eine Mutation im ROS1-Gen der Tyrosin-Proteinkinase ROS festgestellt wurde, die Erkrankung fortgeschritten und der Patient ROS1-Inhibitor-naiv ist.
Es gibt drei NTRK-Gene: NTRK1, NTRK2 und NTRK3. Sie kodieren für die Tropomyosin-Rezeptorkinasen TRKA, TRKB und TRKC. Diese Enzyme sind über verschiedene Signalkaskaden unter anderem an der Entwicklung und der normalen Funktion des Nervensystems sowie an der Neubildung und Heilung von Knochen beteiligt. Ist ein NTRK-Gen beschädigt und lagert sich mit einem anderen, ebenfalls beschädigten Gen neu zusammen (Genfusion), kann es zum Onkogen werden. Das NTRK-Fusionsgen ist dann dauerhaft aktiv und produziert ständig die entsprechende Kinase.
NTRK-Genfusionen sind insgesamt selten, können aber bei allen Tumorarten vorkommen. Bereits der erste TKR-Hemmer Larotrectinib (Vitrakvi®) wurde daher gewebeunspezifisch zugelassen. Das bedeutet, dass nicht eine bestimmte Tumorart Voraussetzung für die Anwendung ist, sondern der Nachweis einer NTRK-Genfusion. Entrectinib hemmt darüber hinaus auch ROS und die anaplastische Lymphomkinase (ALK).
Die empfohlene Dosis Entrectinib beträgt bei Erwachsenen 600 mg einmal täglich und bei Kindern und Jugendlichen 400 oder 600 mg einmal täglich, abhängig von der Körperoberfläche. Die Hartkapseln sollen im Ganzen geschluckt und nicht geöffnet oder aufgelöst werden, da der Inhalt sehr bitter ist. Die Einnahme kann unabhängig von den Mahlzeiten erfolgen, jedoch nicht zusammen mit Grapefruit oder Grapefruitsaft. Eine versäumte Dosis kann nachgeholt werden, wenn es bis zum nächsten Einnahmezeitpunkt noch mehr als zwölf Stunden sind. Kommt es unmittelbar nach der Einnahme zum Erbrechen, kann die Dosis wiederholt werden.
Die Therapie mit Entrectinib soll bis zur Krankheitsprogression oder dem Auftreten nicht akzeptabler Toxizität fortgesetzt werden. Verschiedene Nebenwirkungen wie Herzinsuffizienz, kognitive Störungen, Hyperurikämie, QT-Zeit-Verlängerung, erhöhte Transaminasewerte, Anämie oder Neutropenie können eine Dosisreduktion, eine Unterbrechung der Behandlung oder ein dauerhaftes Absetzen von Entrectinib erforderlich machen.
Entrectinib wird hauptsächlich über CYP3A4 in der Leber verstoffwechselt. Deshalb darf es bei Kindern und Jugendlichen nicht gleichzeitig mit moderaten oder starken CYP3A4-Inhibitoren angewendet werden. Bei Erwachsenen ist die Anwendung, wenn sie nicht zu vermeiden ist, auf 14 Tage zu beschränken und gleichzeitig ist die Entrectinib-Dosis auf 100 mg (zusammen mit starken CYP3A4-Hemmern) beziehungsweise 200 mg (zusammen mit moderaten CYP3A4-Hemmern) zu reduzieren. Auch die gleichzeitige Anwendung von moderaten oder starken CYP3A4- oder P-gp-Induktoren ist zu vermeiden.
Da Entrectinib den Fetus schädigen kann, sollte die Anwendung in der Schwangerschaft unbedingt vermieden werden. Frauen im gebärfähigen Alter müssen vor Beginn einer Therapie mit Rozlytrek unter ärztlicher Aufsicht einen Schwangerschaftstest machen. Während der Behandlung und für mindestens fünf Wochen nach der letzten Dosis müssen sie wirksam verhüten. Bei Verwendung oraler Kontrazeptiva ist eine zusätzliche Barrieremethode ratsam. Das Stillen soll während der Behandlung unterbrochen werden. Männliche Patienten mit Partnerinnen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung und für mindestens drei Monate danach zuverlässig verhüten.
Die Wirksamkeit bei erwachsenen Patienten mit NTRK-Genfusion wurde in einer gepoolten Subgruppe von 74 Probanden gezeigt, die an einer der drei einarmigen, offenen Studien ALKA, STARTRK-1 und STARTRK-2 teilnahmen. Unter der Therapie mit einmal täglich 600 mg Entrectinib betrugen die objektive Ansprechrate (ORR) 63,5 Prozent und die mediane Dauer des Ansprechens (DOR) 12,9 Monate. Die Wirksamkeit bei Kindern und Jugendlichen wurde durch Extrapolation der Daten von Erwachsenen sowie anhand erster Daten aus der noch laufenden STARTRK-NG-Studie mit pädiatrischen Patienten ermittelt.
Bei Patienten mit ROS1-positivem NSCLC konnte die Wirksamkeit in einer anderen Subgruppe der ALKA-, STARTRK-1- und STARTRK-2-Studien gezeigt werden, die 161 Patienten umfasste, von denen allerdings nur 94 auswertbar waren. Hier betrugen die ORR 73,4 Prozent, die mediane DOR 16,5 Monate und das mediane progressionsfreie Überleben 16,8 Monate.
Kognitive Störungen wie Verwirrtheit und Gedächtnisprobleme, aber auch Halluzinationen und Wesensveränderungen sind mögliche Nebenwirkungen von Entrectinib. / Foto: Getty Images/Chinnapong
Die häufigsten Nebenwirkungen waren Fatigue, Verstopfung, Geschmacksstörungen, Atemnot, Anämie, Gewichtszunahme, erhöhte Kreatinin-Werte, Schmerzen, kognitive Störungen wie Verwirrtheit und eingeschränktes Erinnerungsvermögen, Erbrechen, Husten und Fieber. Diese traten jeweils bei mindestens 20 Prozent der Patienten auf. Eine besondere Nebenwirkung sind Knochenbrüche vor allem an der Hüfte oder den unteren Extremitäten, die bei 5,3 Prozent der erwachsenen und 21,8 Prozent der pädiatrischen Patienten auftraten und möglicherweise mit der Wirkung der TRKA auf den Knochen erklärt werden können. Bemerkenswert ist, dass bei Erwachsenen nur einem Teil der Frakturen ein Sturz oder ein anderes Trauma vorausgegangen war und bei Kindern und Jugendlichen sogar alle Frakturen nach lediglich minimalen oder ohne Traumata auftraten.
Aufgrund der noch stark begrenzten Datenlage wurde Rozlytrek »unter besonderen Bedingungen« zugelassen. Die Europäische Arzneimittelagentur erwartet also vom Hersteller weitere Belege für Wirksamkeit und Sicherheit.
Die Entwicklung in der Onkologie vom Ansatz »one size fits all« zur personalisierten Krebstherapie auf Grundlage molekulargenetischer Marker hat in den vergangenen Jahren erfreulicherweise ordentlich an Fahrt aufgenommen. Auch der Kinasehemmer Entrectinib folgt diesem Trend und ermöglicht eine zielgerichtete Therapie. In den Zulassungsstudien konnte die Substanz ihre Wirksamkeit unter Beweis stellen.
Allerdings bringt Entrectinib in beiden Einsatzgebieten keinen innovativen Therapiefortschritt und ist vorerst als Analogpräparat anzusehen. Mit Larotrectinib gibt es bereits einen Wirkstoff mit gewebeunabhängiger Zulassung bei Nachweis einer NTRK-Genfusion. Larotrectinib darf grundsätzlich auch im pädiatrischen Bereich eingesetzt werden und steht als Lösung zur Verfügung, Entrectinib ist erst ab einem Alter von zwölf Jahren zugelassen. Ein direkter Vergleich Entrectinib versus Larotrectinib existiert bislang nicht.
Auch im zweiten Einsatzgebiet, dem fortgeschrittenem ROS1-Fusions-positiven, metastasierten NSCLC, ist Entrectinib nicht der erste Wirkstoff. Auch der Kinasehemmer Crizotinib darf in dieser Indikation angewendet werden. Wie bei den Tumoren mit NTRK-Genfusion wäre ein direkter Vergleich Crizotinib versus Entrectinib sehr wünschenswert.
Sven Siebenand, Chefredakteur