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Covid-19

Endemisch bedeutet nicht harmlos

Der Begriff »endemisch« droht zu einem der am häufigsten missbrauchten Wörter der aktuellen Pandemie zu werden. Dies zumindest ist die Meinung von Professor Dr. Aris Katzourakis, einem Evolutionsbiologen an der Universität Oxford.
AutorKontaktTheo Dingermann
Datum 01.02.2022  14:00 Uhr

In einen Meinungsbeitrag, der kürzlich im Fachjournal »Nature« publiziert wurde, warnt der Professor für Virusevolution und Genomik an der Universität Oxford, Aris Katzourakis, davor, den derzeit vor allem von Politikern immer wieder benutzten Begriff »Endemie« nicht politisch motiviert zu instrumentalisieren. Denn, der Begriff »Endemie« im Kontext von Covid-19 bedeute nicht, dass alles wieder zur Normalität zurückkehren wird.

Endemie = statische Gesamtinfektionsraten

Für einen Epidemiologen, so argumentiert Katzourakis, ist eine Endemie dadurch gekennzeichnet, dass die Gesamtinfektionsraten sich in einem dynamischen Gleichgewicht eingependelt haben, also weder steigen noch fallen. Über die Schwere einer Infektionskrankheit sage der Begriff nichts aus (mehr dazu lesen Sie hier). Das heiße, dass »endemisch« keineswegs bedeute, dass die Evolution einen Krankheitserreger irgendwie gezähmt habe, sodass das Leben einfach wieder »normal« werde. So seien Erkältungen endemisch, ebenso wie Lassa-Fieber, Malaria und Polio. Und auch die Pocken waren endemisch, bis Impfstoffe sie ausrotteten.

Mit anderen Worten, eine Krankheit könne endemisch sein, auch wenn sie weit verbreitet und sogar tödlich ist. Immerhin starben im Jahr 2020 an Malaria mehr als 600.000 Menschen. Zehn Millionen erkrankten im selben Jahr an Tuberkulose und 1,5 Millionen erlagen dieser Krankheit.

»Es frustriert mich, wenn Politiker das Wort endemisch als Entschuldigung dafür heranziehen, wenig oder gar nichts zu tun«, klagt Katzourakis. Denn eine globale Gesundheitspolitik verlange mehr als mit endemischen Pathogenen wie Rotavirus, Hepatitis C oder Masern leben zu lernen.

Keine garantierte Stabilität 

Die Aussage, dass eine Infektion endemisch wird, sagt laut Katzourakis nichts darüber aus, wie lange es dauern könnte, bis die Gesamtinfektionstraten statisch werden, wie hoch die Fall-, Morbiditäts- oder Sterblichkeitsraten sein werden oder ob und wenn ja welche Teile der Bevölkerung von der Krankheit mehr oder weniger bedroht sind. Auch suggeriere dieser Begriff keine garantierte Stabilität: Es könne immer noch zu Wellen endemischer Infektionen kommen, wie beispielsweise beim Masernausbruch in den USA im Jahr 2019.

Es werde, so Katzourakis, von gesundheitspolitischen Entscheidungen und individuellem Verhalten abhängen, welchen Charakter Covid-19 annehmen werde, sollte die Krankheit endemisch werden. Unterschiedliche Bedingungen auf der ganzen Welt können Virusvarianten den Weg bahnen, die in der Lage sind, neue Epidemie-Wellen auszulösen.

Noch lange werde die reale Gefahr bestehen bleiben, dass ein Gleichgewicht bei den Infektionsraten in einer Region – sei es ein Gleichgewicht mit geringen oder hohen Krankheits- beziehungsweise Todesraten – gestört wird, wenn plötzlich eine neue Variante mit neuen Merkmalen auftauche.

 Virusevolution verläuft nicht immer in Richtung geringerer Pathologie

Das Coronavirus sei natürlich nicht der erste Erreger, der eine Pandemie verursacht. Derart existenzielle Bedrohungen hätten die Evolution unseres Immunsystems dahingehend vorangetrieben, dass die Menschen den Kampf mit dem Pathogen auf Augenhöhe aufnehmen könnten. Dessen ungeachtet solle man nicht verkennen, dass der Weg zur immunologischen Kontrolle über ein Pathogen verlustreich und von hohen Sterblichkeitsraten begleitet sein könne.

Es sei ein weit verbreitetes, naives Missverständnis, dass sich Viren im Laufe der Zeit dahingehend entwickeln, dass sie harmloser werden, gibt der Virologe zu bedenken. Diese naive Vorstellung treffe erst recht nicht für Viren wie SARS-CoV-2 zu, die einen Organismus deutlich vor dem Auftreten der ersten Symptome infizieren. »Gezähmt« werde ein solches Virus durch die positive Entwicklung des individuellen Immunsystems, wenn es gezielt, hinreichend und in einer Gesellschaft weit verbreitet trainiert wird.

Es kann viel getan werden

Es könne viel getan werden, um die evolutionären Entwicklungsprozesse in eine positive Richtung zu lenken. Vor allem müsse man auf einen »faulen Optimismus« verzichten, appelliert Katzourakis.

Strategien sollten auf Basis belastbarer Zahlen zum wahrscheinlichen Ausmaß an Todesfällen, Invalidität und Krankheit, verursacht durch Covid-19, entwickelt werden. Zudem sollten derartige Strategien berücksichtigen, dass von nach wie vor zirkulierenden Viren immer die Gefahr ausgeht, dass neue Varianten entstehen.

Drittens müssen bereits jetzt die verfügbaren Instrumente zur Eindämmung der Pandemie weltweit einsetzt werden. Dies gilt für die bemerkenswert wirksamen Impfstoffe ebenso, wie für die immer besser und spezifischer werdenden antiviralen Medikamente, die diagnostischen Tests und für das deutlich besser gewordene Verständnis dafür, wie ein luftübertragenes Virus durch das Tragen von Masken, Distanzierung sowie Belüftung und Filtration gestoppt werden kann. Und viertens müssen wir weiter an Impfstoffen forschen, um uns vor einer breiteren Palette von Varianten schützen zu können.

Zu denken, dass Endemizität sowohl mild als auch unvermeidlich ist, sei nicht nur falsch, sondern gefährlich. Statt voreilig und übertrieben optimistisch zu sein, wäre es produktiver, darüber nachzudenken, wie schlimm es werden könnte, wenn wir dem Virus weiterhin Gelegenheiten geben, unser Immunsystem auszutricksen. Dann würde sich die Menschheit stärker anstrengen, um dies nicht eintreffen zu lassen, resümiert Katzourakis.

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