Elektronenlecks bestimmen den Schlafdruck |
Theo Dingermann |
21.07.2025 10:30 Uhr |
Das zwingende Bedürfnis nach Schlaf ist bei allen Säugetieren evolutionär konserviert. Wir brauchen ihn wohl unter anderem für metabolische Reinigungsprozesse. / © Getty Images/Erica Shires
Fundamentale biologische Prozesse werden in aller Regel an Modellorganismen aufgeklärt. In einer jetzt im Wissenschaftsmagazin »Nature« publizierten Arbeit beschreiben Forschende um Dr. Raffaele Sarnataro vom Centre for Neural Circuits and Behaviour an der Universität Oxford die Fruchtfliege Drosophila melanogaster, um den Mechanismen auf den Grund zu gehen, die Schlafen so essenziell machen.
Sie identifizierten in dem Fliegenmodell ganz bestimmte Neuronen als wichtige Schlafregulatoren. Dabei konnten sie aufdecken, dass diese Neuronen den Schlafbedarf über Elektronen »messen«, die durch die Elektronentransportkette ihrer Mitochondrien fließen. Durch die Regulierung dieses Flusses in genau dieser kleinen Gruppe von Neuronen wird der Schlaf des Tieres gesteuert.
Aufmerksam wurden die Forschenden auf diese spezialisierte Gruppe von Neuronen dadurch, dass sie durch Einzelzell-RNA-Sequenzanalysen zeigen konnten, dass Transkripte, die nach Schlafentzug in den schlafkontrollierenden Neuronen identifiziert wurden, fast ausschließlich für Proteine kodieren, die eine Rolle bei der mitochondrialen Atmung und der ATP-Synthese spielen. Gleichzeitig wurde eine Herunterregulierung von Genen beobachtet, die an der synaptischen Transmission und der neuronalen Plastizität beteiligt sind.
Plausibel wurden die Beobachtungen auch dadurch, dass in Stadien, in denen der Schlafdruck sehr hoch ist, die Mitochondrien starke Schädigungen aufweisen. Diese Schäden sind nach einem Erholungsschlaf reversibel. Offensichtlich sind also Schlaf und aerobe Stoffwechselprozesse grundlegend miteinander verbunden.
Bei genauerer Analyse dieses Zusammenhangs identifizierten die Forschenden eine Diskrepanz zwischen der Elektronenzufuhr und dem ATP-Verbrauch in den Mitochondrien als treibende Kraft des Bedürfnisses nach Schlaf.
Während der Wachphase steigt der NADH/NAD⁺-Quotient, das heißt es besteht ein Überschuss an Reduktionsäquivalenten in Form von NADH, die zur ATP-Synthese genutzt werden können, während ATP aufgrund neuronaler Inaktivität kaum verbraucht wird. So kommt es zu Störungen in der Atmungskette, was Ein-Elektron-Abflüsse, die reaktive Sauerstoffspezies (ROS) produzieren, begünstigt. Diese ROS verursachen vor allem Lipidperoxidationen, die dann zur Schädigung der Mitochondrien beitragen.
Diese Hypothese untermauerten die Forschenden durch intelligente Eingriffe in die Atmungskette. Beispielsweise verringerte sich der Schlafdruck bei den Fruchtfliegen ebenso wie die mitochondriale Fragmentierung, wenn in Anwesenheit einer alternativen Oxidase überschüssige Elektronen abgefangen wurden. Analog war das Ergebnis, wenn durch Überexpression zweier Entkopplungsproteine die elektrochemischen Protonengradienten über die innere Mitochondrienmembran kurzgeschlossen und so der Elektronenbedarf für die ATP-Synthese erhöht wurde. Umgekehrt induzierte eine ATP-Synthese, die unabhängig von NADH läuft, das Schlafbedürfnis trotz hoher Energieverfügbarkeit.
Die Ergebnisse dieser wichtigen Arbeit stützen die Hypothese, dass Schlaf ein fundamentaler metabolischer Reinigungsprozess ist, der nötig wird, wenn mitochondriale Elektronenfluss-Ungleichgewichte oxidativen Stress verursachen. Auch wird durch diese Arbeit deutlich, wie fatal ein erzwungener Schlafentzug ist.
So helfen die Ergebnisse, bekannte Zusammenhänge zwischen Stoffwechsel, Schlaf und vor allem auch der Lebensdauer zu erklären. Kleinere Tiere, die pro Gramm Körpergewicht mehr Sauerstoff verbrauchen, schlafen tendenziell mehr und leben kürzer. Menschen mit mitochondrialen Erkrankungen leiden oft unter starker Müdigkeit, auch ohne Anstrengung – was nun möglicherweise durch denselben Mechanismus erklärt werden kann, argumentieren die Autoren in einer Pressemitteilung der Universität.
Obwohl die Daten an der Fruchtfliege erarbeitet wurden, spekulieren die Forschenden, dass die Prozesse, die dazu führen, dass auf Aktivität immer eine Schlafphase folgt, bei Säugern und damit auch beim Menschen ganz ähnlich ablaufen.
Offensichtlich haben es ein aerober Stoffwechsel und die mitochondriale ROS-Produktion evolutionär erforderlich gemacht, während einer Schlafphase entstandene Fehler zu korrigieren – ein Phänomen, das in der gesamten Tierwelt konserviert ist. Denn die Evolution ist bei derart fundamentalen Prozessen sehr konservativ, argumentieren die Autoren. Zudem sehen sie Parallelen zur Regulation des Energiehaushalts im Hypothalamus von Säugetieren, wo die mitochondriale Dynamik ebenfalls Verhalten wie Hunger moduliert.