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Thrombosen nach Astra-Zeneca-Impfung

Eine Frage der Gene

Professor Dr. Rolf Marschalek vom Institut für Pharmazeutische Biologie der Goethe-Universität Frankfurt am Main hat mit seiner Arbeitsgruppe eine wahrscheinliche Erklärung für die seltenen Thrombosen gefunden, die nach der Impfung mit dem Covid-19-Impfstoff Vaxzevria® von Astra-Zeneca auftreten können. Im Interview mit der PZ erklärt er, wo das Problem liegt und warum es bei dem Impfstoff von Janssen (Johnson & Johnson) weniger ausgeprägt ist.
AutorKontaktTheo Dingermann
Datum 03.08.2021  09:01 Uhr

Marschalek: Wir haben im Auftrag der Frankfurter Virologie alle 28 Gene des SARS-Coronavirus-2 kloniert. Anschließend haben wir versucht, die Gene in Proteine zu exprimieren und waren ziemlich erstaunt, dass uns das nur in wenigen Fällen gelang. Noch mehr wunderte uns, dass die Proteine zum Teil ganz andere Größen hatten als erwartet. So sind wir zum ersten Mal darauf gekommen, dass möglicherweise das Spleißen, das erfolgt, wenn die Gene im Zellkern exprimiert werden, bei diesem Virus ein Problem darstellen könnte.

PZ: SARS-CoV-2 ist ein RNA-Virus, das normalerweise die Biochemie des Zellkerns gar nicht sieht …

Marschalek: … und genau darin liegt das Problem. Der Lebenszyklus dieses Virus findet ausschließlich im Cytosol statt. Aber wenn wir im Labor arbeiten, klonieren wir Gene in Vektoren. Diese bringen die Gene in den Zellkern, wo sie transkribiert werden. Das ist gängige Praxis und deshalb hatten wir uns auch zuerst nichts dabei gedacht. Aber dann haben wir eben festgestellt, dass das mit den Genen dieses Virus nicht funktioniert.

PZ: Auch die Vektorimpfstoffe bringen die genetische Information für das S-Protein in den Zellkern. Mit welchen Konsequenzen?

Marschalek: Wir haben in unseren Arbeiten gezeigt, dass dann das Problem des Spleißens zum Tragen kommt. Das beobachtet man bei den mRNA-Impfstoffen überhaupt nicht, weil die ja ausschließlich im Cytosol der Zellen landen, dort direkt translatiert werden und dann das fertige Antigen auf der Oberfläche der Zellen präsentiert wird. Bei den Vektorimpfstoffen sehen wir dagegen, dass Spleißereignisse in signifikanter Menge auftreten können. Das führt dazu, dass anstelle des gewünschten S-Proteins plötzlich eine ganze Reihe verschiedener Proteinvarianten hergestellt werden können, die dann nicht nur nicht auf der Oberfläche der Zellen erscheinen, sondern auch als lösliche Proteine in den Körper abgegeben werden können. Das ist sehr besorgniserregend, denn es ist möglicherweise einer der Gründe für die Thrombosen, die nach Impfung mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff auftreten können.

PZ: Warum tritt dieses Problem hauptsächlich bei Vaxzevria auf und weniger bei dem Impfstoff von Janssen? Beides sind schließlich Vektorvakzinen.

Marschalek: Zwischen den beiden Impfstoffen gibt es einen gravierenden Unterschied. Das liegt vielleicht daran, dass die eine Firma sehr viel Erfahrung mit vektorbasierten Impfstoffen hatte. Sie hatte im Jahr zuvor gerade erst den Ebolaimpfstoff auf den Markt gebracht [Janssen, Anmerkung der Redaktion]. Für diesen Impfstoff wurde derselbe Vektor verwendet wie jetzt für den Covid-19-Impfstoff.

Beim Janssen-Impfstoff sieht man deutlich, dass am Leserahmen des Gens für das S-Protein bestimmte Modifikationen vorgenommen wurden, die Spleißen weniger wahrscheinlich machen. Darüber hinaus wurden noch ein paar weitere Modifikationen eingebaut, um dieses Antigen sehr sicher zu machen. Genau diese wichtigen Modifikationen hat Astra-Zeneca nicht durchgeführt. Hier wurde einfach der Leserahmen genommen – so wie wir das vor einem Jahr auch gemacht haben – und wahrscheinlich nicht bedacht, dass das ein Problem sein könnte.

PZ: Trotzdem kann es ja auch nach Impfung mit der Janssen-Vakzine in seltenen Fällen zu Thrombosen kommen. Warum?

Marschalek: Bei dem Janssen-Konstrukt ist das Spleißen marginal, aber es ist auch vorhanden. Auch bei diesem Impfstoff sieht man solche Spleißereignisse und damit auch andere Proteine. Aber das ist bei Astra-Zeneca massiv viel stärker. Wir glauben, dass genau dieser kleine, feine Unterschied erklärt, warum bei Astra-Zeneca ungefähr bei einer von 80.000 geimpften Personen ein thromboembolisches Ereignis auftritt, bei Janssen dagegen nur bei einer von einer Million Personen. Das ist ziemlich genau die Hintergrundinzidenz, also die Häufigkeit, mit der in der Bevölkerung auch bei ungeimpften Personen solche Ereignisse auftreten.

PZ: Woran kann es liegen, dass diese schweren unerwünschten Ereignisse dann bei Vaxzevria trotzdem so selten sind?

Marschalek: Wir haben im Moment eine Vermutung, die wir allerdings noch nicht experimentell überprüfen konnten, weil wir keinen Zugang zu diesen Patienten haben. Wir glauben, dass die Wahrscheinlichkeit deswegen so niedrig ist, weil jeder Mensch aufgrund seiner Genetik unterschiedliche Antigenstrukturen dieses Spike-Proteins wahrnimmt. Von den sogenannten MHC-Loci hängt es ab, welche Eiweißfragmente dieses Antigens wir zeigen können. Jeder, der mit diesem Impfstoff geimpft wird, stellt diese löslichen Proteinvarianten her, aber nur ein Teil dieser Varianten ist in der Lage, an den ACE2-Rezeptor zu binden. Die Rate von 1:80.000 macht es aus unserer Sicht wahrscheinlich, dass das genau die Menschen sind, die keine neutralisierenden Antikörper herstellen können. Bei ihnen treiben die löslichen Proteinvarianten durch die Blutgefäße und binden an ACE2. In der Folge können sich Immunkomplexe bilden, die dann als Auslöser für die Thrombosen infrage kommen.

PZ: Hätte das möglicherweise auch Konsequenzen hinsichtlich des Impfschutzes dieser Menschen?*

Marschalek: Ja, sie wären wegen der fehlenden neutralisierenden Antikörper deutlich schlechter vor (Neu-) Infektion geschützt.*

PZ: Könnte man Personen mit diesem Risiko durch eine Typisierung der MHC-Moleküle im Vorfeld der Impfung identifizieren?

Marschalek: Das ist richtig. Es wäre natürlich wahnsinnig aufwendig, aber es ist nicht unmöglich. Erst einmal könnte man alle diejenigen untersuchen, die solch ein thromboembolisches Ereignis hatten. Und wenn sich dann herausstellt, dass sie alle gemeinsame Allele haben, wäre das sicherlich ein Ausschlusskriterium für die Impfung von Personen mit diesen Anlagen mit solchen Vektorimpfstoffen. Wir hoffen, dass sich Kollegen aus der Medizin mit diesem Problem auseinandersetzen werden, um genau diese Frage zu beantworten.

Langfassung des Interviews im Video:

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