Ein Symptom, viele mögliche Ursachen |
| Annette Rößler |
| 20.10.2025 16:20 Uhr |
Eine Beinvenenthrombose wird per Ultraschall diagnostiziert. Andere bildgebende Verfahren sind nicht notwendig. / © Adobe Stock/Peakstock
»Die ärztliche Abklärung von Umfangsvermehrungen der Beine macht einen Großteil unserer gefäßchirurgischen Sprechstunden aus«, sagte Dr. Hans-Walter Fiedler vom Gefäßmedizinischen Versorgungszentrum Kreis Soest bei einer Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG). Das »dicke Bein« ist mit anderen Worten ein häufiges Symptom – also ein Krankheitszeichen, keine eigenständige Krankheit, wie Fiedler betonte.
In den meisten Fällen sei die Beinschwellung auf eine Einlagerung von Lymphflüssigkeit in der Haut und Unterhaut zurückzuführen. Ein solches Ödem entstehe, wenn zwischen Zu- und Abfluss der Gewebeflüssigkeit ein Ungleichgewicht besteht. Fiedler erklärte die Pathophysiologie: Wasser werde ständig durch winzige Poren der Gefäßwände in die Zellspalten filtriert, von wo es über kleine Lymphkanälchen wieder abfließt. »Diese Kanälchen drainieren die Zellzwischenräume und transportieren von dort nicht nur Wasser ab, sondern auch etliche Abfallprodukte«, so der Mediziner.
Steigt der Filtrationsdruck an, etwa weil eine Vene durch ein Blutgerinnsel verstopft ist oder die Venenklappen geschwächt sind und das Blut in die Beine sackt, wird mehr Flüssigkeit in das Gewebe gepresst als drainiert. »Eine große Risikogruppe sind daher Menschen mit Venenschwäche und Krampfadern, die fast 16 Prozent der Bevölkerung ausmachen«, erklärte Fiedler. Auch eine Herzschwäche, zum Beispiel bei Rhythmusstörungen, erhöhe den Filtrationsdruck, weil sich das Blut im Kreislauf vor dem rechten Herzen in den Venen zurückstaut. Warmes Wetter, langes Stehen und Sitzen sowie Bewegungsmangel seien ebenfalls mögliche Ödemursachen.
Ein weiterer Mechanismus der Ödementstehung ist eine erhöhte Durchlässigkeit der Gefäßwände, wie sie etwa bei Entzündungen und Allergien oder auch infolge von hormonellen Veränderungen vorliegen kann. Schließlich könne auch der Abtransport der Lymphe mechanisch blockiert sein, etwa aufgrund angeborener Fehlbildungen, nach traumatischer Zerstörung, der Entfernung von Lymphknoten und -gefäßen bei Krebsoperationen oder bei Adipositas.
»Klinisch sehen alle diese Ödeme zunächst fast gleich aus«, sagte Fiedler. Wichtig sei, eine tiefe Beinvenenthrombose (TVT) als Ursache schnellstmöglich zu erkennen, um den Patienten mit Gerinnungshemmern zu behandeln und so bedrohliche Komplikationen wie eine Lungenembolie zu vermeiden. Warnzeichen für eine TVT sei eine sich rasch entwickelnde schmerzhafte, einseitige Beinschwellung ohne Trauma. In einem solchen Fall müsse umgehend eine fachärztliche Ultraschalldiagnostik erfolgen. Die DGG hatte kürzlich anlässlich des Welt-Thrombose-Tags darauf hingewiesen, dass weitere Untersuchungen nicht notwendig sind, um eine Thrombose sicher zu diagnostizieren beziehungsweise auszuschließen. Aber auch hinter einer akuten Schwellung beider Beine könne eine Thrombose stecken, sagte Fiedler – nämlich eine höherliegende Thrombose im Bauchraum (Vena-cava-Thrombose).
Bei schon länger bestehender Ödemproblematik sei eine Abklärung nicht ganz so zeitkritisch, aber dennoch wichtig, um die Ursachen zu identifizieren und gezielt zu behandeln. Denn wenn ein Lymphödem längere Zeit bestehe, werde es chronisch. Dann verändert sich die Struktur der Haut und Unterhaut, wie Fiedler erläuterte: »Die Drainagekanäle erleiden Schäden und verstopfen. Die Filterporen in den winzigen Adern werden größer und größer, sodass pro Zeit noch mehr Wasser und andere Blutinhaltsstoffe in den bereits überschwemmten Zellzwischenraum filtriert werden. Gleichzeitig wird der Lymphabtransport aber schlechter, sodass ein Teufelskreis entsteht: Immer mehr rein, immer weniger raus, immer mehr Gewebeschäden.« Die möglichen Folgen: verdickte und verfärbte Haut bis hin zum Unterschenkelgeschwür.
Eine ursächliche Therapie bei einem Ödem infolge eines Krampfaderleidens könne etwa in der operativen Entfernung der betroffenen Blutgefäße bestehen. Dagegen wird sich ein Beinödem, das auf einer Herzschwäche beruht, nur mit einer medikamentösen Behandlung der Herzinsuffizienz bessern lassen. »Beide, also Krampfadern und Herzschwäche, können langfristig ergänzend mit einem Kompressionsstrumpf weiterbehandelt werden«, sagte Fiedler. »Behandeln wir die Herzschwäche aber primär nur mit Kompression und die Krampfadern primär nur mit Wassertabletten, richten wir mitunter schwere gesundheitliche Schäden an.« Um Patienten mit Beinödemen ideal zu versorgen, sei daher häufig interdisziplinäre Zusammenarbeit gefragt.