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Nudging in Apotheken

Ein kleiner »Stups« für mehr Adhärenz 

Ein subtiler Schubs hin zu einer bestimmten Entscheidung funktioniert oft besser als Regeln oder Verbote. Die sogenannte Nudging-Methode machen sich inzwischen viele Branchen zunutze. Auch im Gesundheitswesen hat sie große Bedeutung, wie der Mediziner Dr. Mathias Krisam im Gespräch mit der PZ berichtet.
Jennifer Evans
24.03.2022  18:00 Uhr

Nudging ist, wenn in der Kantine das frische Obst griffbereiter präsentiert wird als süße Muffins oder Schokoriegel. Dann greifen nämlich mehr Menschen zu Apfel, Birne, Banane & Co. Oder wenn Schwellen auf der Straße zum langsameren Fahren erziehen sollen. Aber auch, wenn durch ein Bild auf der Innenwand eines Pissoirs rund 80 Prozent weniger Urin auf dem Boden der Herrentoilette landet. Mit Untersuchungen wie diesen haben sich der Wirtschaftsnobelpreisträger Richard H. Thaler und der Rechtswissenschaftler Cass R. Sunstein befasst und 2008 das Buch »Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt« veröffentlicht. Seitdem hat sich das Thema Nudging weltweit zum Trend entwickelt – auch in der Gesundheitsbranche. Ganz unumstritten ist diese subtile Art der Beeinflussung aber nicht.

Nudging bedeutet so viel wie Anstupsen und stammt aus der Verhaltensökonomie. Ziel ist es, Entscheidungsmöglichkeiten zu präsentieren, die Menschen zwar hin zu einem bestimmten Verhalten lenken sollen, aber dabei auf Verbote, Vorschriften oder (finanzielle) Anreize verzichten. Warum macht man das? Experten sind der Ansicht, dass diese Methode nicht so manipulativ wahrgenommen wird, weil sie zwar einen Denkanstoß gibt, der Entschluss dazu aber freiwillig bleibt.

Nicht nur im Marketing kommen sogenannte Nudges zum Einsatz, sondern auch Arbeitgeber, Versicherungen und Politik machen von dem freundlichen Anstupsen Gebrauch. Unter anderem der Schweizer Pharmakonzern Novartis nutzt die verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnisse. Laut der Theorie von Thaler und Sunstein sollte ein Nudge grundsätzlich nicht irreführen, sondern neutral, transparent und ethisch vertretbar sein. Ebenso leicht sollte immer auch die Entscheidung gegen das gewünschte Verhalten möglich sein. Idealerweise dient die durch einen Nudge gefällte Entscheidung zudem dem Wohl der Gesellschaft. Trotz allem bleibt einigen Kritikern der Ansatz nach wie vor zu manipulativ.

Fokus auf ein höheres Ziel

Der Mediziner und Gastwissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin, Dr. Mathias Krisam, zeigt sich hinsichtlich der Kritik im Gespräch mit der PZ entspannt. Er spricht hingegen lieber davon, Impulse zu setzen. Dabei steht für ihn mehr im Vordergrund, eine gute Lösung für ein höheres Ziel zu finden. Seiner Ansicht nach lässt sich gesundheitsförderndes Verhalten nämlich nicht allein damit erreichen, Patienten mit Informationen zu überschütten. Im Gegenteil: Häufig machten stattdessen die kleinen Impulse den größeren Unterschied. »Gerade im Gesundheitsbereich haben wir ein deutliches Übergewicht von inhaltsbasierten und weniger emotionsbasierten Botschaften«, sagt er. Und das obwohl gerade beim Thema Prävention Emotionen entscheidend seien, um etwas zu bewegen.

Grundsätzlich hält Krisam Apotheken für »ein interessantes Setting« für Nudges, weil viele Menschen ohnehin in die Offizin gehen. Als ein Beispiel nennt er Impfungen. Eine Botschaft wie »Deine Impfung wartet auf dich« habe sich als sehr wirksam erwiesen, berichtet er. Dem Mediziner zufolge liegt das daran, dass die Ansprache in diesem Fall nicht über die inhaltliche Seite samt medizinischer Begründung erfolgt, sondern über einen bloßen Anstupser. Zusätzlich habe eine Apotheke die Möglichkeit, einen solchen Slogan visuell über ein Plakatfoto zu unterstützen. Sehe der Kunde dann noch andere Menschen oder Testimonials, die sich ebenfalls den Piks in der Apotheke geben lassen, diene das als zusätzlicher Verstärker, sich an Ort und Stelle für eine Impfung zu entscheiden.

Ähnliches lässt sich seiner Auffassung nach umsetzen, wenn eine Offizin ihre Kunden zum Anlegen eines Organspende-Ausweises motiviert. Dasselbe gilt für das Ansprechen auf Screening-Untersuchungen. Auch wenn diese letztlich nicht in der Apotheke stattfänden, folgten auf eine solche Erinnerung nachweislich mehr Terminvereinbarungen, so Krisam. Klar ist ihm, dass es dabei »kreativer Lösungen« bedarf, damit auch die Vor-Ort-Apotheken einen Vorteil von der Werbung für solche Angebote haben. Aber er ist sicher: »Die gesundheitsfördernde Mechanik dahinter würde auf jeden Fall gut funktionieren.«

Atemübungen, Kniebeugen und Unterschriften

Grundsätzlich rät er dazu, dort Impulse zu setzen, wo Menschen warten. Dafür bieten sich etwa kurze Achtsamkeits- oder Atemübungen an. Gleichzeitig lässt sich damit die Aufmerksamkeit eines Kunden tendenziell eher auf ein bestimmtes Produkt lenken, als wenn dieser mit den Augen weiter an seinem Smartphone klebt, während er wartet. Als Gag wäre es auch möglich, für 20 Kniebeugen einen Gutschein zu bekommen, meint Krisam.

Ein weiteres Nudging-Thema ist Adhärenz. Es hat sich gezeigt: Wenn ein Patient vorab unterschreiben muss, dass er das empfangene Medikament genau nach Anleitung des Apothekers einnimmt, hält er seinen Behandlungsplan eher ein. Das belegt eine britische Studie in Kooperation mit der britischen Apothekenkette Boots. Die Sorge vor möglichen negativen Konsequenzen habe die Motivation der Patienten verstärkt, so Krisam. »Und die eigene Unterschrift erhöht die Bedeutung und Verbindlichkeit zur Therapietreue.« Vor dem Hintergrund zunehmender chronischer Erkrankungen gewinne eine Nudging-Methode in dieser Form Bedeutung. Dasselbe gilt demnach für Reminder-Funktionen aus der Apotheke, bevor die Arzneimittel-Packung wieder leer ist.

Generell ist die Akzeptanz der Deutschen für Nudging im Gesundheitsbereich sehr hoch. Wie eine Studie eines Autorenteams um Krisam aus dem vergangenen Jahr gezeigt hat, unterstützen 90 Prozent das Konzept. Basis für einen solchen Anstupser muss dem Mediziner zufolge aber immer die Freiwilligkeit bleiben. 

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