Ein Genom mit Süßem und Saurem |
Theo Dingermann |
27.10.2023 16:30 Uhr |
Die schwarzen Silhouetten von Fledermäusen in der Dämmerung sind manchen Leuten unheimlich. Deshalb und auch weil Fledermäuse mit Vampiren assoziiert werden, sind sie ein Symbol für Halloween. / Foto: Bloomberg Creative
Fledermäuse bilden die Ordnung Chiroptera, die nach den Nagern die zweitgrößte Ordnung der Säugetiere ist. Sie beherbergen eine Vielzahl von Viren, die teilweise für den Menschen sehr gefährlich sind. Schon mehrfach spielten Fledermäuse bei Ausbrüchen neu auftretender Zoonoseviren eine maßgebliche Rolle – zuletzt bei SARS-CoV-2, aber auch schon beim Vorgänger des Pandemievirus, dem SARS-Coronavirus-1, sowie beim Marburg-Virus und dem Nipah-Virus.
Eine weitere Besonderheit der Fledermäuse ist, dass sie nahezu resistent gegenüber Krebserkrankungen sind. Beides – die außergewöhnliche Widerstandsfähigkeit sowohl gegen Viren als auch gegen Krebs – hat seinen Ursprung im Immunsystem der Fledermäuse. Dieses sei bemerkenswert robust, berichten Forschende um Dr. Armin Scheben vom Cold Spring Harbor Laboratory in New York im Fachjournal »Genome Biology and Evolution« (DOI: 10.1093/gbe/evad148).
Für ihre Studie sequenzierten die Forschenden die Genome von 15 Fledermausarten und verglichen sie hinsichtlich der Organisation der immunrelevanten Gene miteinander und mit anderen Säugetieren, darunter der Mensch. Dabei stellten sie bei den Fledermäusen eine Verschiebung der Kopienzahlen der antiviralen Interferon-(IFN)-α- und IFN-ω-Gene fest. Das bedeutet, dass Teile des unspezifischen Immunsystems bei Fledermäusen drastisch heruntergefahren sind.
Das unspezifische Immunsystem bildet bei anderen Säugern eine erste Abwehrfront gegen Viren und Bakterien, kann den Organismus aber auch durch heftige Entzündungsreaktionen schwer schädigen. Nicht so bei Fledermäusen: »Fledermäuse haben die Alarmfunktion des Immunsystems auf ein niedriges Level eingestellt, indem sie Gene verloren haben, die Interferon-α produzieren«, erklärt Scheben in einer Mitteilung seiner Forschungseinrichtung. »Dies könnte für ihre hohe Virustoleranz verantwortlich sein. Es verhindert überaktive Immunreaktionen«.
Zudem detektierten die Forschenden in den Fledermausgenomen im Vergleich zu anderen Säugetieren mehr Gene, deren Produkte an der Unterdrückung von Tumorerkrankungen beteiligt sind. Unter anderen identifizierten sie sechs neue Gene, die für DNA-Reparaturenzyme codieren, und 46 neue Tumorsuppressorgene. »Unsere Arbeit zeigt, wie Immunität und Krebsreaktion eng miteinander verbunden sind«, sagt Scheben.
Nachdem die Forschenden zeigen konnten, dass die Geheimnisse für die starke Immunität und Krebsresistenz der Fledermäuse in deren Genomorganisation liegen, müssen nun die konkreten biochemischen Mechanismen aufgeklärt werden. Die Arbeitsgruppe hat bereits begonnen, zu untersuchen, wie die Immungene der Fledermäuse reguliert und wie sie in verschiedenen Teilen des Körpers exprimiert werden. Mit diesen Folgearbeiten hoffen die Forschenden, neue Einblicke in die Zusammenhänge zwischen Immunität, Altern und Krebs geben zu können.
»Es gibt noch viele Unbekannte«, sagt Professor Dr. Siepel, einer der korrespondierenden Autoren der Studie. »Wir werden diese Arbeit weiter vorantreiben, um letztlich den Stab an Experten für Krankheiten zu übergeben, die dann die gewonnenen Erkenntnisse vielleicht für die Entwicklung neuer Medikamente oder anderer therapeutischer Ansätze nutzen können.«
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.