Ein Fall aus dem Altenheim |
Carolin Lang |
22.11.2023 15:30 Uhr |
Auch Patientinnen und Patienten im Altenheim haben Anspruch auf pharmazeutische Dienstleistungen. / Foto: Adobe Stock/Halfpoint
Lemmer ist angestellte Apothekerin in der »Homecare«-Abteilung der Albert Schweizer Apotheke, Düsseldorf, die für die medikamentöse Versorgung von Heimbewohnern, Pflegedienst- und Palliativpatienten zuständig ist. Insgesamt drei Altenheime versorgt die Apotheke, in allen bietet sie die erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation an. Zum Webinar brachte die Offizin-Apothekerin einen ihr zufolge »klassischen« Fall aus dem Altenheim mit.
Dabei ging es um eine 95-jährige, multimorbide Patientin, die neben chronisch-venöser Insuffizienz, Hypertonie und Hypercholesterinämie auch an Vorhofflimmern litt. In der Vergangenheit hatte die Patientin infolge von Elektrolyt- und Flüssigkeitsmangel ein Delir entwickelt, weshalb sie stationär behandelt werden musste. Aktuelle Labor- und Vitalparameter lagen Lemmer nicht vor. Die Patientin nahm folgende Medikamente ein:
Arzneistoff | Dosierungsschema | |
---|---|---|
Captopril 50 mg | 1-0-0-0 | |
Metoprolol 50 mg | 1-0-0-0 | |
Mirtazapin 15 mg | 0-0-0-1 | |
Risperidon 0,25 mg | 0-0-0-1 | |
Simvastatin 20 mg | 0-0-1-0 | |
Torasemid 10 mg | 1-0-1-0 | |
Rivaroxaban 15 mg | 1-0-0-0 | |
Pipamperon 20 mg | bei Bedarf |
Drei arzneimittelbezogene Probleme (ABP) hatten für Lemmer bei diesem Fall Priorität. Nummer Eins betraf Torasemid. Nicht nur könne die abendliche Einnahme des Diuretikums zu nächtlichem Harndrang führen, was Schlafstörungen und eine Sturzgefahr beim Toilettengang nach sich ziehen kann. Mit Blick auf die Krankheitsanamnese sei der Arzneistoff auch insofern kritisch zu betrachten, als dass er den Wasser- und Elektrolythaushalt stören kann, was wiederum das Risiko für Arrhythmien erhöht. Dem behandelnden Arzt schlug Lemmer daher vor, die Notwendigkeit der abendlichen Dosis Torasemid zu überprüfen und diese gegebenenfalls zu streichen.
Bei der Patientin bestehe ein erhöhtes Risiko für Torsade-de-Pointes (TdP)-Arrhythmien, führte Lemmer als zweiten wichtigen Punkt an. Das weibliche Geschlecht der Patientin, ihr fortgeschrittenes Alter (> 65 Jahre), das Vorhofflimmern, die Hypertonie und eine potenziell QT-Zeit-verlängernde Medikation lagen hier als Risikofaktoren vor. Neben Torasemid trugen auch Mirtazapin, Risperidon und Pipamperon zu dem Risiko bei. Lemmer riet dem behandelnden Arzt, falls möglich den Elektrolytspiegel zu kontrollieren, ein EKG zu schreiben und die Medikation gegebenenfalls anzupassen. Besonders wichtig sei die Symptomkontrolle durch die Pflege, betonte Lemmer weiter. Es gelte, das Personal für anfängliche Symptome einer TdP-Arrhythmie wie Schwindel oder Synkopen zu sensibilisieren.
Drittens hielt Lemmer eine regelmäßige Blutdruckkontrolle durch das Pflegepersonal bei der Patientin für angezeigt. Sie wies darauf hin, dass Mirtazapin die Gefahr einer morgendlichen orthostatischen Hypotonie berge. Um Stürze zu vermeiden, solle das Pflegepersonal daher morgens besonders vorsichtig mit der Patientin umgehen. Auch die Dosis und Art der antihypertensiven Therapie sei zu prüfen, ergänzte Dr. Alexander Ravati. Captopril sei »veraltet« und unterschreite mit 50 mg die nach Fachinformation typische Minimaldosis, führte er an. Vermutlich nehme die Patientin das Medikament schon seit Jahren. Sei der Blutdruck Geriatrie-gerecht eingestellt, müsse man daran aber nichts ändern.
Dem stimmte auch Dr. Annegret Fröbel zu. Mit ihr war auch eine Allgemeinmedizinerin in der Runde vertreten, die die ärztliche Sicht auf den Fall darlegte. Der Top-3-Priorisierung Lemmers schloss sie sich an und ergänzte, liege tatsächlich eine rein venöse Insuffizienz und keine zusätzliche Herzinsuffizienz bei der Patientin vor, lasse sich durch eine Kompressionsbehandlung eventuell die Torasemid-Dosis zusätzlich reduzieren. Weiter stellte Fröbel die Notwendigkeit der verordneten Psychopharmaka infrage. Diese seien möglicherweise ein Relikt aus dem Krankenhausaufenthalt der Patientin und inzwischen obsolet, so die Medizinerin. Auch das Simvastatin sei mit Blick auf das Alter der Patientin zu hinterfragen.
»Das war wirklich ein Fall, bei dem sehr viel die Pflege mit ins Boot geholt worden ist, weil viel durch Symptombeobachtung durch die Pflege verhindert werden kann«, hob Lemmer abschließend hervor.
Auch die Lösungsvorschläge an den Hausarzt zahlten sich offenbar aus. Wie Lemmer auf Nachfrage der PZ berichtete, sei dieser der Empfehlung nachgekommen, die Torasemid-Dosis auf eine Tablette am Morgen zu reduzieren.