Ein Antikörper, zwei Indikationen |
Brigitte M. Gensthaler |
02.05.2023 07:00 Uhr |
Der Antikörper hemmt selektiv das Protein CTLA-4 und fördert damit letztlich die Antitumoraktivität. / Foto: Adobe Stock/Corona Borealis
Tremelimumab ist als Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung mit 20 mg/ml auf den Markt. Das Medikament »Tremelimumab Astra-Zeneca« wird in Kombination mit Durvalumab (Imfinzi®) und einer platinbasierten Chemotherapie eingesetzt zur Erstlinienbehandlung des metastasierten nicht kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC), das keine sensibilisierenden EGFR- oder ALK-positiven Mutationen aufweist. Unter dem Handelsnamen Imjudo® ist das Präparat in Kombination mit Durvalumab indiziert zur Erstlinienbehandlung von Patienten mit fortgeschrittenem oder nicht resezierbarem hepatozellulären Karzinom (hepatocellular carcinoma, HCC).
Nach Angaben von Hersteller Astra-Zeneca soll der CTLA-4-Inhibitor ab der zweiten Jahreshälfte in beiden Indikationen Imjudo® heißen. Auch das Immunonkologikum Durvalumab wird von dieser Firma vermarktet.
Tremelimumab wird nach Verdünnung als intravenöse einstündige Infusion gegeben.
Lungenkrebs-Patienten können maximal fünf Dosen erhalten. Für vier Zyklen erhalten sie Tremelimumab 75 mg in Kombination mit Durvalumab 1500 mg und platinbasierter Chemotherapie alle drei Wochen (am Tag der Dosierung als separate Infusionen in dieser Reihenfolge); das sind insgesamt zwölf Wochen. Danach bekommen sie weiterhin Durvalumab und eine Erhaltungstherapie mit Pemetrexed alle vier Wochen. Eine fünfte Dosis von Tremelimumab 75 mg kann in Woche 16 parallel zur sechsten Dosis Durvalumab infundiert werden.
Patienten mit Leberkrebs bekommen dagegen nur eine einzige Dosis Tremelimumab, allerdings 300 mg. Diese wird am ersten Tag von Zyklus 1 vor Durvalumab 1500 mg infundiert. Es folgt eine Durvalumab-Monotherapie alle vier Wochen bis zur Krankheitsprogression oder nicht beherrschbarer Toxizität.
Tremelimumab ist ein humaner monoklonaler Immunglobulin-G2a-Antikörper und richtet sich gegen das Immun-Checkpoint-Protein CTLA-4 (Cytotoxic T-Lymphocyte Antigen-4), das primär auf der Oberfläche von T-Lymphozyten exprimiert wird. Die Interaktion von CTLA-4 mit seinen Liganden CD80 und CD86 begrenzt die Aktivierung von Effektor-T-Zellen. Tremelimumab hemmt selektiv das Protein CTLA-4 und blockiert damit dessen Bindung an den Rezeptor. In der Folge kommt es zur verstärkten Aktivierung, Proliferation und Diversifikation von T-Lymphozyten: Dies fördert die Antitumoraktivität.
Durvalumab ist ebenfalls ein Checkpoint-Inhibitor, richtet sich aber gegen PD-L1 (Programmed Cell Death Ligand-1). Die Kombination der beiden Immuntherapeutika soll synergistisch wirken, die antitumorale Wirkung weiter fördern und die Tumorzellantwort verstärken.
Gezeigt wurde der Nutzen der Kombitherapie in der randomisierten offenen POSEIDON-Phase-III-Studie mit 1013 Patienten mit metastasiertem NSCLC ohne sensibilisierende Mutation im epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor (EGFR) oder genomische Tumoraberration vom Typ anaplastische Lymphomkinase (ALK). Die Patienten erhielten Durvalumab mit oder ohne Tremelimumab in Kombination mit einer platinbasierten Chemotherapie. Die Art der Chemotherapie richtete sich danach, ob ein Plattenepithel- oder Nicht-Plattenepithel-NSCLC vorlag.
Die zusätzliche Gabe von Tremelimumab (75 mg) zu Durvalumab (1500 mg) und einer Chemotherapie – das sogenannte POSEIDON-Regime – verlängerte das Gesamtüberleben der Patienten signifikant. Median überlebten die Patienten 14,0 Monate mit der Dreifachtherapie versus 11,7 Monate unter alleiniger Chemotherapie. Auch das mediane progressionsfreie Überleben war signifikant länger (6,2 versus 4,8 Monate). In einer Langzeitbeobachtung zeigte sich eine geringere Sterblichkeit in der Tremelimumab-Gruppe: Nach drei Jahren lebten noch 25 Prozent der Patienten gegenüber 13,6 Prozent in der Kontrollgruppe (DOI: 10.1016/annonc/annonc1089; Abstract LBA59).
Die häufigsten Nebenwirkungen waren Anämie (bei fast jedem zweiten Patienten), Übelkeit und Neutropenie (jeweils über 41 Prozent), Fatigue (36 Prozent), Hautausschlag, Thrombozytopenie und Diarrhö (26 bis 21 Prozent). Die häufigsten Nebenwirkungen von Grad 3 und 4 waren Neutropenie und Anämie, die jeder vierte bis fünfte Patient erlitt, sowie Pneumonie, Thrombozytopenie, Leukopenie, Fatigue und erhöhte Leberwerte. Aufgrund von Nebenwirkungen musste die Gabe von Tremelimumab bei 40 Prozent der Patienten unterbrochen und bei 4,5 Prozent abgesetzt (am häufigsten wegen Pneumonie und Kolitis) werden.
Die Wirksamkeit von Tremelimumab 300 mg als Einzeldosis in Kombination mit Durvalumab wurde in der HIMALAYA-Phase-III-Studie untersucht. In der randomisierten offenen Studie wurden rund 1170 therapienaive Patienten mit nicht resezierbarem Leberkrebs randomisiert in drei Gruppen aufgeteilt und erhielten entweder das STRIDE-Schema (Tremelimumab 300 mg als Einzeldosis plus Durvalumab 1500 mg, gefolgt von Durvalumab 1500 mg alle vier Wochen) oder Durvalumab (1500 mg alle vier Wochen) oder Sorafenib (400 mg zweimal täglich). Der primäre Endpunkt war das Gesamtüberleben. Es lag unter der Kombitherapie bei 16,4 Monaten versus 13,9 Monaten unter Sorafenib. Unter der Durvalumab-Monotherapie war es nicht schlechter als unter Sorafenib. Das mediane progressionsfreie Überleben unterschied sich nicht signifikant in den drei Gruppen.
Die häufigsten Nebenwirkungen waren Hautausschlag (32 Prozent), Pruritus und Diarrhö (jeweils rund 25 Prozent), Bauchschmerzen (fast 20 Prozent), erhöhte Aspartat- und Alanin-Aminotransferase-Werte, Pyrexie, Hypothyreose, Husten, peripheres Ödem und erhöhte Lipase. Die häufigsten schwerwiegenden Nebenwirkungen waren Kolitis, Diarrhö und Pneumonie (jeweils mehr als 2 Prozent der Patienten) und Hepatitis (1,7 Prozent). 6,5 Prozent der Patienten brachen die Behandlung aufgrund von Nebenwirkungen ab, am häufigsten wegen Hepatitis und erhöhten Leberenzymwerten.
Unabhängig von der Indikation ist zu beachten, dass unter Tremelimumab eine ganze Reihe von immunvermittelten Nebenwirkungen (die potenziell tödlich verlaufen können) auftreten kann. Dazu gehören unter anderem Pneumonitis, Hepatitis, Kolitis, Endokrinopathien wie Schilddrüsen- und Hypophysenstörungen, Myokarditis, Nephritis und Hautausschlag. Die Fachinformation zu Imjudo enthält eine ausführliche Liste zur Anpassung der Krebstherapie und Einleitung einer Corticosteroid- oder anderen Therapie.
Zu beachten ist, dass die Patienten vor Beginn der Tremelimumab-Therapie keine systemischen Corticosteroide in höheren Dosen (ab 10 mg/Tag Prednison-Äquivalent) oder Immunsuppressiva bekommen sollten, da diese die Wirksamkeit beeinflussen können.
Frauen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung und noch mindestens drei Monate nach der letzten Dosis von Tremelimumab zuverlässig verhüten.
Checkpoint-Inhibitoren für die Krebsimmuntherapie gibt es mittlerweile einige. Und auch das Target des Neulings Tremelimumab bietet kein Alleinstellungsmerkmal. Wie das bereits länger verfügbare Ipilimumab ist auch Tremelimumab ein CTLA-4-Hemmer. Nachdem es in der Vergangenheit einige enttäuschende Ergebnisse mit dem Antikörper gab, ist er nun gleich bei zwei Tumorarten zugelassen.
Vorläufig lässt sich die Einstufung als Schrittinnovation vornehmen. Dies erfolgt zum einen wegen der erfolgreichen Kombination mit einem zweiten Checkpoint-Inhibitor, dem gegen PD-L1 gerichteten Antikörper Durvalumab. Frei nach der Devise »doppelt hält besser« sollen ein CTLA-4- und ein PD-L1-Inhibitor zusammen die Anti-Tumor-Antwort verstärken.
Schrittinnovation darf man aber auch angesichts der Studienergebnisse – sowohl bei Lungen- als auch bei Leberkrebs – sagen. So konnte die zusätzliche Gabe von Tremelimumab zu Durvalumab und einer platinbasierten Chemotherapie das Gesamtüberleben in der Studie POSEIDON bei metastasiertem Lungenkrebs verlängern. Und auch bei Leberkrebs brachte eine duale Checkpoint-Blockade durch Tremelimumab (einmalig initial als Booster) plus Durvalumab alle vier Wochen in der Studie HIMALAYA einen Überlebensvorteil.
Sven Siebenand, Chefredakteur