Editorial
von Dr Hartmut Morck,
Chefredakteur der Pharmazeutischen Zeitung
Mit der am 5. November auf Einladung der drei Berliner Universitäten im
Schauspielhaus am Gendarmenmarkt gehaltenen Grundsatzrede zur Bildungsreform
hat Bundespräsident Roman Herzog wieder einmal dem deutschen Volk den Spiegel
vorgehalten und Nachdenken verursacht.
In allen Punkten kann ich dem Bundespräsidenten zustimmen und die Aufforderung,
in der Bildungspolitik "Irrwege abzubrechen und falsche Mythen zu beseitigen" nur
unterstützen. Auch für die augenblickliche Diskussion um eine neue
Approbationsordnung für Apotheker sind in der Herzogschen Rede genügend
Ansatzpunkte enthalten, die die Verantwortlichen mit bedenken sollten.
Ohne den Bundespräsidenten kritisieren zu wollen, fehlt mir bei seiner
Bestandsaufnahme die Antwort auf die Frage, warum unser Bildungssystem in die
von ihm aufgezeigte Sackgasse geraten ist und international einen so schlechten Ruf
bekommen hat. Außerdem ist mir der eigentliche Adressat, an den diese Rede
gerichtet war, nicht klar geworden. Haben die Schüler, die Lehrer, die Eltern oder
die Universitäten dieses Chaos zu verantworten?
Die Antworten auf diese Fragen würden aus meiner Sicht auch den Weg aufzeigen,
der das deutsche Bildungssystem aus der Krise führt.
Meines Erachtens liegen die Wurzeln in der falschen Vorstellung der 70er Jahre, alle
Menschen hätten die gleiche Begabung, man müsse sie nur fördern. Diese
Vorstellung, die insbesondere von den 68ern vehement vertreten und zur
linksliberalen Ideologie wurde, ist inzwischen längst wissenschaftlich widerlegt
worden. Trotzdem wird sie weiter verfolgt, weil viele 68er jetzt in politische
Positionen aufgerückt sind, die es ihnen erlauben, ihre damaligen Ideale
verwirklichen zu können. In den bildungspolitischen Etagen der Bundesländer
orientiert man sich bis heute an den linksliberalen Ideologien der 70er Jahre. Das
schlägt sich hauptsächlich in der Einführung integrierter Gesamtschulen nieder, die
eben nicht in der Lage sind, die Herzogschen Forderungen nach
Leistungsbezogenheit, Differenzierung und Praxisbezogenheit zu verwirklichen.
Soll also ein neues Bildungssystem geschaffen werden, dann müssen Landespolitiker
umdenken. Eltern, Schüler, Studenten und Universitäten wären sicher dazu bereit.
Nur die Politik hindert sie daran.
Ein weiterer Punkt, der das Bildungssystem in die Sackgasse geführt hat, ist die
finanzielle Ausstattung von Schulen und Universitäten. Wer sich einmal mit den Etats
dieser Einrichtungen beschäftigt hat, wird schnell verstehen, warum das deutsche
Bildungssystem international einen schlechten Ruf hat. Die Universitäten sind
finanziell so schlecht ausgerüstet, daß sie den Lehrbetrieb nicht den Herzogschen
Vorstellungen entsprechend durchführen können. Auch hier ist die Politik die
Hauptverantwortliche. Wenn Wissenschaft , wie Herzog es formulierte, die
wichtigste Ressource in unserem rohstoffarmen Land ist, dann frage ich mich, warum
man seit Jahrzehnten lang in die Kohle investiert, obwohl dies wirtschaftlich nicht
rentabel ist. Das Geld wäre sicherlich besser in der Bildung, in der Erschließung des
Wissens investiert gewesen. Gerade in der augenblicklich schwierigen
Wirtschaftslage unseres Landes ist es wichtig, in die Ressource Wissen zu
investieren. Auch hier ist die Politik der größte Hemmschuh, sowohl auf Bundes- als
auch auf Länderebene. Um das Bildungssystem des 21.Jahrhunderts nach der
Herzogschen Vision aufzubauen, müsen vor allem die Politiker umdenken.

© 1997 GOVI-Verlag
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