Durchlöchert |
19.04.2004 00:00 Uhr |
Aus meiner Sicht kann es sich hierbei nur um eine Werbemaßnahme gegen Mitgliederschwund handeln. Dabei ist es beinahe bösartig, öffentlich den Eindruck zu erwecken, die Versicherten müssten dann keine Praxisgebühr mehr zahlen. Denn diese Behauptung ist falsch. Die Praxisgebühr von zehn Euro pro Quartal ist gesetzlich vorgeschrieben, muss also weiterhin vom Versicherten bezahlt werden, auch wenn er sich für ein Jahr gezwungenermaßen freiwillig im Rahmen eines Hausarztmodells an einen Arzt bindet. Die Praxisgebühr kann allerdings im Rahmen von Bonusregeln am Ende des Jahres zurückerstattet werden. Die Bedingungen für die Rückzahlung sind aber bisher noch nicht einmal fixiert.
Auch die Bravo-Rufe aus dem Ministerium sind schwer zu verstehen. Das ist blanker Populismus, um potenziell verärgerte Wähler im Superwahljahr zu beruhigen. Dabei war das Ministerium mit dem GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) angetreten, die Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherung in den Griff zu bekommen. Konsens bestand auch darin, dass dies unter anderem mit den Steuerungsinstrumenten Praxisgebühr und höheren Zuzahlungen auf der Nachfragerseite, also bei den Versicherten, geschehen sollte.
Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Zahlen des ersten Quartals, entpuppt sich die Praxisgebühr als Erfolgsstory. Um rund 10 Prozent gingen die Behandlungsfälle nach einem Bericht der KV Nordrhein zurück. Indirekt hat der Versicherte auch den Hausarzt wieder entdeckt, denn die Zahl der Überweisungen stieg um 144 Prozent. Mit anderen Worten: Der erhoffte Steuerungseffekt der Praxisgebühr ist eingetreten. Inwieweit die Effektivität des Systems verbessert und die Kosten tatsächlich gesenkt werden konnten, wird sich erst Ende des Jahres zeigen.
Deshalb ist es umso erstaunlicher, dass bereits nach dem ersten Quartal eine Demontage dieses Steuerungsinstruments eingeleitet wird. Neben den bereits erwähnten Wettbewerbsfragen führten vielleicht auch die 200.000 säumigen Patienten, die ihre Praxisgebühr nicht zahlten, zu einem Denkprozess. Denn das Gesetz schreibt vor, dass nicht die Ärzte, sondern die Kassen die Gebühr bei den säumigen Patienten eintreiben müssen.
Das bedeutet mehr Verwaltungsaufwand, den man auf der Kassenseite vielleicht nicht tragen will. Dieser Aufwand steht ebenso wenig im Verhältnis zu einem möglichen Ertrag wie die Kosten für die Bearbeitung von Zuzahlungsbefreiungen. Wenn also die Krankenversicherungen Verwaltungskosten einsparen wollen, dann sollten sie auf ein vereinfachtes Verfahren für die Befreiung von Zuzahlungen drängen.
Das insbesondere von der Barmer vorgebrachte Argument, Hausarztmodelle würden die Kosten senken und Doppeluntersuchungen vermeiden, halte ich für einen Wunschtraum, der durch nichts begründet werden kann. Ich behaupte, ebenfalls ohne es belegen zu können: Das Hausarztmodell wird die Kosten sogar steigern. Insbesondere dann, wenn das Bonusmodell und die Rückzahlung der Praxisgebühr greifen sollten. Wenn nur fünf Millionen Versicherte durch ein Hausarztmodell in den Genuss einer Rückvergütung kommen, werden die Krankenversicherungen um bis zu 200 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich belastet.
Unter dem Strich lässt sich also bei dem Vorstoß der Kassen keine Logik erkennen. Diejenigen, die das GMG ohnehin bereits als „Käse“ bezeichneten, werden es bei der beabsichtigten Durchlöcherung nun als „Schweizer Käse“ wiederfinden.
Professor Dr. Hartmut Morck
Chefredakteur
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