E-Rezept-Boom schwächt Vor-Ort-Apotheken |
Der schwedische Online-Apothekenhandel wächst rasch. Grund dafür könnte das E-Rezept sein. / Foto: Adobe Stock/ruslanshug
Der schwedische Apothekenmarkt besteht aus fünf landesweiten Ketten, drei reinen E-Commerce-Anbietern sowie einigen wenigen eigenständigen Apotheken. Mit den Apothekenketten, die ebenfalls in unterschiedlichem Maße im elektronischen Handel tätig sind, gibt es insgesamt neun Online-Apotheken, die einen immer größeren Teil des ambulanten Apothekenumsatzes ausmachen. Grund dafür könnte das E-Rezept sein, denn in Schweden sind elektronische Verschreibungen längst alltäglich. Rezepte landen in einer zentralen Datenbank, an die alle schwedischen (Online-)Apotheken angeschlossen sind. Der Patient kann das Medikament dann entweder bei einer Apotheke abholen oder es sich nach Hause liefern lassen.
Ein Bericht des schwedischen Apothekenverbands Sveriges Aopteksförening zeigt aktuell, wie stark der Onlinehandel wächst: Seit 2018 ist der Umsatz des elektronischen Apothekenhandels von rund 300 Millionen Schwedischen Kronen (29 Millionen Euro) pro Monat auf rund 800 Millionen Schwedischen Kronen (77,5 Millionen Euro) pro Monat in 2021 gestiegen. Im Januar 2022 lag er zuletzt bei 970 Millionen Schwedischen Kronen (94 Millionen Euro), was 21,3 Prozent des Umsatzes des ambulanten Apothekenmarktes entspricht. Während für den Onlinehandel 2021 unterm Strich ein Umsatzwachstum von 19 Prozent stand, kam der physische Handel auf ein Minus von 1 Prozent.
Dabei machen verschreibungspflichtige Medikamente rund die Hälfte des Umsatzes des elektronischen Handels aus. Während der Versandanteil aller Rx-Arzneimittel in Deutschland nur bei rund 1 Prozent liegt, sind es in Schweden laut dem Bericht immerhin 13 Prozent. Auf andere Apothekenprodukte entfallen knapp 41 Prozent des Online-Umsatzes und auf nicht verschreibungspflichtige Medikamente gerade mal etwas mehr als 8 Prozent.
Während der Internethandel floriert, sank die Apothekenzahl im vergangenen Jahr zum ersten Mal seit der Apothekenreform 2009 von insgesamt 1433 auf 1411. Früher waren die schwedischen Apotheken in staatlicher Hand. Nachdem der Sektor geöffnet wurde, stieg die Anzahl der Vor-Ort-Apotheken eigentlich stetig – bis jetzt. Während in den kleineren Städten die Anzahl der Apotheken weiterhin leicht gestiegen ist, nahm sie in den größeren Städten ab. Der Wettbewerb scheint in Großstädten also besonders groß zu sein, wobei ländliche Gebiete und kleinere Städte laut Bericht einen höheren Anteil am elektronischen Handel aufweisen.
In Schweden gibt es drei reine Versand-Apotheken. Das »Handelsblatt« stellte sie in einem Bericht vom 11. April etwas genauer vor. Eine davon ist Meds. Betriebswirt Björn Thorngren habe das Start-up vor vier Jahren zusammen mit zwei Partnern gegründet, nachdem er von einem Arbeitsaufenthalt aus London zurückkehrte und ihm die Online-Bestellung von Medikamenten in Schweden zu kompliziert gewesen sei, berichtet die Zeitung. Das Unternehmen mit Standort im Südwesten von Stockholm beschäftigt demnach heute rund 200 Mitarbeiter, wovon laut Thorngren allein 100 im vierten Quartal des vergangenen Jahres eingestellt worden sind.
Thorngren sieht in seinem Unternehmen klare Vorteile für Kunden: »Warum sollte ich in Stockholm in die Apotheke gehen, wenn ich das Medikament innerhalb von zwei Stunden geliefert bekomme?« Nicht-verschreibungspflichtige Medikamente seien bei Meds außerdem bis zu 45 Prozent günstiger als in einer Vor-Ort-Apotheke. Im vergangenen Jahr hat sich der Umsatz von Meds laut Thorngren gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt. 2020 lag das Volumen bei 223 Millionen Schwedischen Kronen (22 Millionen Euro).
Die größte schwedische Online-Apotheke Apotea gab gegenüber »Handelsblatt« einen Umsatz von 4,5 Milliarden Schwedische Kronen (440 Millionen Euro) für das Geschäftsjahr 2021 sowie ein Wachstum im Vergleich zum Vorjahr um 11 Prozent an. Insgesamt habe Apotea 850 Angestellte, wovon 700 in den beiden Warenlagern arbeiteten.
Die kleinste der drei Online-Apotheken in Schweden namens Apohem hat dem Bericht zufolge im vergangenen Jahr einen Umsatz von rund 232 Millionen Schwedischen Kronen (23 Millionen Euro) erzielt. Klar habe die Pandemie den Arzneimittel-Versandhandel angekurbelt, so Geschäftsführer Gustav Hasselgren. Die Einführung des E-Rezepts sei aber der »Gamechanger« gewesen. »Die elektronische Verschreibungspflicht ist ein entscheidender Faktor für das explosive Wachstum der Online-Apotheken in Schweden«, betonte Hasselgren, »ich wüsste nicht, warum das in Deutschland anders kommen sollte.« Darauf hoffen Versandhändler wie Doc Morris hierzulande jedenfalls inständig.
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.