E-Rezept: Apotheken drohen neue Versicherungskosten |
Während die Versicherungsrisiken bei Papierrezepten klar erkennbar und definierbar waren, ist dies bei E-Rezepten komplexer. Nun drohen höhere Versicherungskosten / Foto: imago images/Westend61
Bei der flächendeckenden Einführung des E-Rezepts wurde in den vergangenen Monaten viel darüber gesprochen und geschrieben, wie die digitalen Verordnungen erzeugt werden, in der Apotheke landen und wie sie dort verarbeitet werden. Vergleichbar wenig ging es um die Abrechnung der E-Rezepte. Am Abrechnungsprozess feilen derzeit gemeinsam die Krankenkassen, der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der Rechenzentren-Verband VDARZ. Erst kürzlich hatte Gerald Wischnewski, Bereichsleiter Technik vom ARZ Darmstadt, im Rahmen des PZ-Nachgefragt-Webcasts »Das E-Rezept im Apothekenalltag« die schon vereinbarten Grundzüge der E-Rezept-Abrechnung erläutert.
Etwa viereinhalb Monate vor dem bundesweiten und gesetzlich vorgeschriebenen E-Rezept-Start ist beim Abrechnungsverfahren nun aber ein Problem bekannt geworden, das den gesamten Prozess gefährden könnte. Denn im Gegensatz zu Papierrezepten sind E-Rezepte nur schwer zu versichern. Konkret geht es um den sogenannten Gefahrenübergang, der klarstellt, zu welchem Zeitpunkt das Rezept welcher Instanz in der Lieferkette vorliegt. Beim Papierrezept ließ sich dieser bislang sehr leicht belegen. Beispielsweise gaben die Krankenkassen im Moment der Rezeptübergabe an sie eine Empfangsquittung aus, auch die Lieferung der haptischen Rezepte aus der Apotheke an die Rechenzentren ließ sich gut von den Lieferdiensten belegen. Bei elektronischen Datensätzen ist dies jedoch weniger greifbar: Feuer-und Wasserschäden an haptischen Rezepten ließen sich leichter belegen als der Verlust von oder Schaden an elektronischen Datensätzen. Zudem stellt sich die Frage, ob die Krankenkassen auch beim Empfang von E-Rezepten weiterhin Empfangsquittungen ausgeben.
Die PZ hat sich dazu im Versicherungslager umgehört. Viele große Apothekenrechenzentren (ARZ) lassen sich von der Funk-Gruppe diesbezüglich beraten. Das Unternehmen ist unter anderem auf die Vermittlung von Versicherungen im Rezept-Abrechnungsbereich spezialisiert und berät die Rechenzentren auch fachlich. Ein Sprecher erklärte gegenüber der PZ, warum der Gefahrenübergang so bedeutend ist für die Versicherungsunternehmen: »Für die Versicherer ist wesentlich, wo genau sich die E-Rezept-Datensätze zu welchem Zeitpunkt befinden und wie sie konkret geschützt werden. Vor allem ab dem Zeitpunkt der Gefahrtragung durch die Abrechnungszentren sollten sich die E-Rezept-Datensätze innerhalb eines gut geschützten Systems befinden, dessen technische Ausstattung dem Versicherer auch bekannt ist. Schwierig kann es werden, wenn Versicherer diese Datensätze versichern sollen, diese aber noch in für sie fremden Systemen feststecken.«
Nach Informationen der PZ laufen derzeit Gespräche zwischen dem DAV, den Rechenzentren sowie den Krankenkassen. Dabei geht es insbesondere um die oben genannte Frage der Empfangsquittungen, um die genauen Punkte des Gefahrenübergangs zu klären. Der Funk-Sprecher weist darauf hin, dass dabei noch juristische Fragen geklärt werden müssten, die »mit Spannung erwartet werden«.
Die Versicherer sehen aber noch ein zusätzliches Problem, das sich bei der Versicherung von E-Rezepten erstmals ergeben könnte. Laut dem Funk-Sprecher müssen die E-Rezepte insbesondere gegen »Informationssicherheitsverletzungen« versichert werden. »Das bedeutet konkret, dass die Datensätze entweder gar nicht mehr abrufbar sind oder nicht mehr das aussagen, was sie eigentlich aussagen sollten. Dies kann infolge von Manipulationen oder Fehlbedienungen passieren, aber auch technische Probleme der verwendeten Systeme können diese Probleme verursachen. Insgesamt besteht beim neuen E-Rezept also eine größere Nähe zur Cyber- als zur Sach-Versicherung.« Für die Apotheken heißt das: Wahrscheinlich ergeben sich beim E-Rezept durch das Thema Cybercrime neue Risiken, die versichert werden sollten. Unklar ist allerdings, ob diese neuen Versicherungen weiterhin von den Rechenzentren oder den Apotheken selbst abgeschlossen werden müssten. In jedem Fall dürften die Versicherungskosten – auch mit Blick auf die ungeklärten Fragen des Gefahrenübergangs – steigen. Der Funk-Sprecher dazu: »Dies lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht genau sagen, ob der komplexen Risikosituation ist das aber wahrscheinlich.«
Der Rechenzentren-Verband VDARZ glaubt, dass bei der Einführung des E-Rezepts insbesondere auf die Softwarehersteller und Apotheken neue Versicherungsbedürfnisse hinzukommen. Michael Dörr ist Sonderbeauftragter des VDARZ und steht derzeit in Verhandlungen mit den Versicherern. Er kommentiert gegenüber der PZ: »Beim E-Rezept spielt die Warenwirtschaft eine maßgebliche Rolle. Wenn das E-Rezept aus dem Gematik-Speicher abgeholt wird, dann liegen alle Arbeitsprozesse erst einmal nur in der Warenwirtschaft. Dies umfasst das Taxieren und dann nach dem Dispensieren die Erstellung der Signatur und die Kommunikation über den Konnektor mit der TI der Gematik, um die Quittung zu bekommen. (…) All das findet in verschieden Warenwirtschaften statt, deren Risikopotential die Apothekenrechenzentren nicht kennen und auch nicht schätzen können. Auch der Umgang der Apotheke mit ihren eigenen Systemen ist unbekannt (Backup, Betriebskonzept und so weiter ).«
Klar ist: Die ARZ benötigen zur Abrechnung drei Datensätze von den Apotheken, nämlich den Verordnungsdatensatz, den Dispensierdatensatz und den Quittungsdatensatz. Mit Blick auf das oben beschriebene Problem des Gefahrenübergangs stellt sich also die Frage: Wann und wie bescheinigen die Rechenzentren den Apotheken also, dass die Verordnung komplett übertragen wurde und somit im »Besitz« der ARZ ist? Nach dem ersten Datensatz? Erst nach allen drei Datensätzen? Dörr schlägt dazu unter anderem vor, dass »alle zur Abrechnung notwendigen Komponenten übertragen werden und der Server der ARZ eine signierte Quittung ausstellt«. Dörr weiter: »Dies ist dann der Gefahrenübergang von der Apotheke auf die ARZ.«
Aus Sicht des VDARZ ist aber insbesondere der Übergang des E-Rezepts an die Krankenkassen derzeit noch ungeklärt. Wie auch der Funk-Sprecher wies der VDARZ-Sonderbeauftragte auf die Bedeutung der Empfangsquittungen der Krankenkassen hin. »Derzeit fehlt es an einer verbindlichen Aussage, dass die Datenannahmestellen der Kostenträger den Apothekenrechenzentren eine signierte Quittung nach der Datenübertragung ausstellen. Der VDARZ hat den DAV als Vertragspartner gebeten, dafür zu sorgen, dass dies in den sich auf den Rahmenvertrag beziehenden Regelungen aufgenommen wird.«
Was mögliche neue Versicherungen oder Erhöhungen der Versicherungsbeiträge betrifft, will sich Dörr nicht festlegen. Er kenne die Kalkulationen der Versicherer nicht. Er wies aber nochmals darauf hin, dass die Rechenzentren nur Gefahren, die in ihrem Bereich liegen, absichern könnten. Auch mit Blick auf Cybercrime erklärt er daher: »Die Apotheken müssen sich darauf einstellen, das sie selbst Versicherungen für den Betrieb der eigenen Warenwirtschaft abschließen müssen. Dies ist sicherlich ein Novum, da dieser Bereich bisher nicht im Fokus der von einer Apotheke zu versichernden Risiken lag.«
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.