Dostarlimab als Alternative bei bestimmtem Darmkrebs |
Theo Dingermann |
13.06.2022 14:00 Uhr |
Immun-Checkpoint-Blockade statt Chemo und OP: Sollten sich die Ergebnisse in größeren Studien replizieren lassen, könnte dies eine Therapie mit weniger Spätfolgen darstellen. / Foto: Adobe Stock/SciePro
In einem Kongressbeitrag auf der ASCO-Jahrestagung 2022 und zeitgleich im »New England Journal of Medicine« (NEJM) berichten Dr. Andrea Cercek und Kollegen vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York sowie vom Department of Pathology der Yale University School of Medicine in New Haven von den erstaunlichen Ergebnissen einer kleinen prospektiven Phase-II-Studie, in der zwölf Patienten mit einem lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinom mit dem PD-1-Inhibitor Dostarlimab (Jemperli®) behandelt wurden.
Wichtig ist, dass die Tumoren der Patienten ein sogenanntes Mismatch-Reparaturdefizit aufwiesen. Dadurch sind die Zellen nicht mehr in der Lage, Mutationen effizient zu reparieren. Das führt dazu, dass diese Tumoren sehr schlecht behandelbar sind. Andererseits können sie sich längst nicht so gut vor dem Immunsystem »verstecken«, wie das Tumoren gelingt, deren Zellen Mutationen noch zu einem gewissen Grad reparieren können. Wird daher das Immunsystem der Patienten durch die Gabe bestimmter Wirkstoffe aktiviert, besteht eine gute Chance, dass die durch die vielen Mutationen in den Zellen gebildeten Neoantigene erkannt und die Tumorzellen immunologisch eliminiert werden.
Auf dieser Überlegung, die keinesfalls neu ist, basiert die Hypothese der klinischen Studie, über deren Ergebnisse hier berichtet wird. Tatsächlich ist Dostarlimab in der Europäischen Union bereits für die Therapie von bestimmten Formen von Gebärmutterkrebs mit einer Mismatch-Reparatur-Defizienz bedingt zugelassen. Für die Behandlung des Rektumkarzinoms gibt es noch keine Zulassung.
Das könnte sich nach dieser Studie jedoch ändern. Denn das erstaunliche Ergebnis dieser Studie war, dass alle zwölf eingeschlossenen Patienten auf die Behandlung klinisch vollständig ansprachen, das heißt ein Tumor war mit keiner der eingesetzten diagnostischen Verfahren, darunter MRT, PET, endoskopische Untersuchungen, digitale rektale Untersuchung oder in Biopsiematerial nach einer mindestens sechsmonatigen Nachbeobachtungszeit nachweisbar. Zum Zeitpunkt des Berichts hatte zudem keiner der Patienten eine Chemo-/Radiotherapie erhalten oder sich einer Operation unterzogen.
Dies sind bemerkenswerte Ergebnisse, denn wie Cercek in einem Beitrag auf »OncLive« betont, lautete die Nullhypothese, dass die Gesamtansprechrate weniger als 25 Prozent betragen würde – eine Annahme, die auf der Grundlage der Ansprechrate einer neoadjuvanten Chemotherapie bei Patienten mit dMMR-Kolonkarzinom von etwa 7 Prozent getroffen wurde. »Ein Verwerfen der Nullhypothese hätte ein Ansprechen von 11 oder mehr Patienten erfordert«, so Cercek.
Allerdings ist die Studie in vielerlei Hinsicht zu klein, um zuverlässige Schlüsse zu ziehen. Das Prinzip der gezielten Aktivierung des Immunsystems im Rahmen der Therapie von Tumoren, die Defizite bei ihren genetischen Reparaturmechanismen aufweisen, wird diese Studien jedoch sich weiter vorantreiben. So gehen die Autoren davon aus, dass zeitnah auch eine PD1-Blockade bei anderen lokalisierten Mismatch-Reparatur-defizienten Tumoren wie lokalisiertem Bauchspeicheldrüsen-, Magen- und Prostatakrebs, im Rahmen einer neoadjuvanten Behandlung untersucht werden.
Dies könnte die Tür für einen immunoablativen Ansatz öffnen. Wenn lokale oder entfernte Rezidive beobachtet werden, kann eine kombinierte Chemotherapie oder Bestrahlung zusätzlich zur Immun-Checkpoint-Blockade gerechtfertigt sein.
In einem begleitenden Editorial schreibt Professor Hanna K. Sanoff vom Lineberger Comprehensive Cancer Center der University of North Carolina in Chapel Hill, dass das Studienteam und die Patienten, die sich bereit erklärten, für eine vielversprechende, aber in ihrer Effizienz noch nicht bewiesenen Immun-Checkpoint-Blockade auf die Standardbehandlung zu verzichten, einen möglicherweise entscheidenen Einblick in eine revolutionäre Veränderung der Behandlung gegeben haben. Obwohl die Häufigkeit schwerer Nebenwirkungen bei PD1-Inhibitoren in der Regel höher ist als in dieser Studie, sind dauerhafte Folgen dieser Therapie eher selten.
Wenn sich die Immun-Checkpoint-Blockade als eine mögliche kurative Therapie für Rektumkarzinome erweisen sollte, blieben den Patienten, die nach diesem Schema behandelt werden könnten, möglicherweise funktionelle Einschränkungen, wie sie oft aus der Standardtherapie resultieren, erspart, so die Autorin des Editorials.