Doppelte Rückendeckung für Antibiotikum |
Kerstin A. Gräfe |
01.07.2021 07:00 Uhr |
Multiresistente, gramnegative Erreger gewinnen zunehmend an Bedeutung. Besonders problematisch sind Carbapenemase-bildende Enterobakterien, die inzwischen gegenüber zahlreichen Antibiotika resistent sind. Neue Therapieoptionen werden daher benötigt. / Foto: CDC/Melissa Dankel/James Gathany
Recarbrio® (MSD) ist als Einzeldosis in Form eines Pulvers zur Herstellung einer Infusionslösung erhältlich. Eine Dosis entspricht 500 mg Imipenem, 500 mg Cilastatin und 250 mg Relebactam. Imipenem und Cilastatin sind bereits als Fixkombination auf dem Markt. Cilastatin verzögert als Dehydropeptidase-I-Inhibitor den renalen Metabolismus des Antibiotikums und wirkt damit als Booster. Der neue β-Lactamase-Hemmer Relebactam soll die antibiotische Wirkung von Imipenem durch Hemmung der abbauenden Enzyme aufrechterhalten.
Relebactam ist ein β-Lactamase-Hemmer ohne β-Lactamstruktur. Er ist wirksam gegen β-Lactamasen der Ambler-Klassen A und C inklusive KPC, ESBL, AmpC und PDC. Gegen Klasse-B-Enzyme (Metallo-β-Lactamasen) oder Klasse-D-Carbapenemasen ist Relebactam unwirksam.
Strukturformel von Relebactam / Foto: Grafik: Wurglics
Eingesetzt werden darf das neue Kombinationspräparat bei Erwachsenen mit im Krankenhaus erworbener Pneumonie (HAP) einschließlich beatmungsassoziierter Pneumonie (VAP). Zudem ist Recarbrio indiziert bei Bakteriämie, für die ein Zusammenhang mit HAP oder VAP bei Erwachsenen besteht oder vermutet wird. Darüber hinaus wird es angewendet zur Behandlung von Infektionen mit aeroben gramnegativen Erregern bei Erwachsenen mit begrenzten Therapieoptionen. In diesem Fall sollte die Behandlung nur nach Beratung durch einen Infektiologen erfolgen.
Recarbrio wird intravenös als Infusion über eine Dauer von 30 Minuten angewendet. Die jeweilige Dosis hängt von der Kreatinin-Clearance, der Anwendungshäufigkeit und Behandlungsdauer je nach Indikationsgebiet ab. Dosistabellen finden sich in der Fachinformation.
Kontraindiziert ist das neue Präparat bei Überempfindlichkeit gegen Carbapenem-Antibiotika sowie bei schwerer Überempfindlichkeit wie anaphylaktische Reaktionen und schwere Hautreaktionen gegen jegliche andere β-Lactam-Antibiotika (zum Beispiel Penicilline, Cephalosporine oder Monobactame).
Unter der Therapie mit β-Lactam-Antibiotika sind schwerwiegende und mitunter tödlich verlaufende (anaphylaktische) Überempfindlichkeitsreaktionen beschrieben worden. Vor Therapiebeginn mit Recarbrio sind frühere Überempfindlichkeitsreaktionen auf Carbapeneme, Penicilline, Cephalosporine, andere β-Lactam-Antibiotika und andere Allergene sorgfältig abzufragen. Bei Auftreten einer allergischen Reaktion muss die Behandlung mit Recarbrio sofort abgebrochen werden. Bei schwerwiegenden anaphylaktischen Reaktionen müssen sofort geeignete Notfallmaßnahmen ergriffen werden.
Die Leberfunktion sollte während der Behandlung aufgrund des Risikos einer Lebertoxizität engmaschig überwacht werden. Bei Patienten mit vorbestehender Lebererkrankung sollte während der Behandlung mit Recarbrio die Leberfunktion überwacht werden. Eine Dosisanpassung ist nicht erforderlich.
Unter der Behandlung mit Recarbrio kam es in Studien zu Clostridioides-difficile-assoziierter Diarrhö (CDAD). Der Schweregrad der CDAD kann von einer leichten Diarrhö bis zu einer tödlich verlaufenden Kolitis reichen. Eine CDAD ist bei allen Patienten in Betracht zu ziehen, wenn bei ihnen Diarrhö während oder nach der Anwendung von Recarbrio auftritt. Eine sorgfältige Anamnese ist erforderlich, da ein Auftreten der CDAD mehr als zwei Monate nach der Anwendung von Antibiotika berichtet wurde. Bei einer vermuteten oder bestätigten CDAD ist das Absetzen der Behandlung mit Recarbrio und die Anwendung einer spezifischen Behandlung gegen C. difficile in Betracht zu ziehen. Arzneimittel zur Hemmung der Peristaltik sollten nicht angewendet werden.
Wechselwirkungen gibt es einige zu beachten. Recarbrio sollte nicht gleichzeitig mit Ganciclovir angewendet werden, es sei denn, der potenzielle Nutzen überwiegt die damit verbundenen Risiken. Auch die gleichzeitige Anwendung mit Valproinsäure/Divalproex-Natrium wird nicht empfohlen. Bei gleichzeitiger Anwendung von Antibiotika mit Warfarin kann dessen blutgerinnungshemmende Wirkung verstärkt werden. Es wird empfohlen, den INR-Wert während und kurz nach der gemeinsamen Anwendung von Antibiotika mit oralen Antikoagulanzien entsprechend zu überwachen.
Recarbrio hat einen mäßigen Einfluss auf die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen. Daher ist Vorsicht geboten beim Fahren oder Bedienen von Maschinen.
Recarbrio sollte nur während der Schwangerschaft angewendet werden, wenn der potenzielle Nutzen das potenzielle Risiko für den Fötus rechtfertigt. Ein Risiko für das gestillte Neugeborene/Kind kann nicht ausgeschlossen werden. Es muss eine Entscheidung darüber getroffen werden, ob das Stillen oder die Behandlung mit Recarbrio zu unterbrechen ist. Dabei ist sowohl der Nutzen des Stillens für das Kind als auch der Nutzen der Therapie für die Frau zu berücksichtigen.
Die Zulassung basiert auf den Phase-III-Studien RESTORE-IMI 1 und RESTORE-IMI 2. RESTORE-IMI 1 verglich Recarbrio mit der Kombination Colistin/Imipenem/Cilastatin an 47 Patienten, die an Infektionen durch Imipenem-unempfindliche bakterielle Erreger litten. Patienten mit HAP oder VAP, komplizierten intraabdominalen Infektionen oder komplizierten Harnwegsinfektionen erhielten randomisiert Recarbrio oder die Vergleichskombination. Die Therapie dauerte bei Pneumonien 7 bis 21 Tage, bei intraabdominalen oder Harnwegsinfektionen 5 bis 21 Tage. Primärer Endpunkt war das klinische Gesamtansprechen, definiert anhand relevanter Endpunkte für jeden Infektionstyp in der mikrobiologisch modifizierten Intention-to-Treat-Population (mMITT). Dies waren Patienten, bei denen ein für den Studieneinschluss relevanter Erreger nachweisbar war und die mindestens eine Dosis der Studientherapie erhalten hatten. Von den 47 Patienten erfüllten 31 die mMITT-Kriterien. Den primären Endpunkt erreichten 71,4 Prozent der Recarbrio-Gruppe und 70,0 Prozent der Kontrollgruppe.
RESTORE-IMI 2 verglich die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Recarbrio in fester Dosiskombination mit Piperacillin/Tazobactam an Patienten mit HAP oder VAP. Die Studie war auf den Nachweis der Nichtunterlegenheit angelegt. 537 Patienten erhielten randomisiert entweder Recarbrio oder Piperacillin 4000 mg/Tazobactam 500 mg jeweils intravenös alle sechs Stunden über 7 bis 14 Tage. Bis zum Nachweis, dass in der Baseline-Kultur keine Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) waren, wurden Patienten in beiden Gruppen zusätzlich mit Linezolid (600 mg) behandelt. Primärer Endpunkt war die 28-Tage-Gesamtsterblichkeit. Diesen erreichten 15,9 Prozent der Patienten in der Recarbrio-Gruppe und 21,3 Prozent der Patienten in der Vergleichsgruppe. Die Nichtunterlegenheit war somit gegeben.
Häufigste Nebenwirkungen unter Recarbrio waren Durchfall sowie erhöhte Alanin-Aminotransferase- und Aspartat-Aminotransferase-Werte.
Relebactam ist ein Analogpräparat. Es handelt sich um einen weiteren β-Lactamase-Hemmer. Er gehört zu den Diazabicyclooctanen (DBO). Verglichen mit älteren β-Lactamase-Inhibitoren wirken diese Substanzen zwar nicht grundlegend anders, aber stärker und mit einem breiteren Spektrum. In einer Art Ping-Pong-Mechanismus acylieren und deacylieren DBO das Enzym, ohne selbst hydrolysiert zu werden. Durch diese reversiblen Reaktionen verbleiben sie lange am Wirkort und sind effektiver als die klassischen β-Lactamase-Hemmer. Mit Avibactam kam vor einigen Jahren bereits ein DBO auf den Markt. Relebactam bietet hier keinen weiteren Fortschritt. Weitere β-Lactamase-Inhibitoren mit potenziell breiterem Wirkspektrum befinden sich in der Testung.
Sven Siebenand, Chefredakteur