Doc-Morris-Chef will Rx-Boni durchsetzen |
Cornelia Dölger |
15.07.2024 12:36 Uhr |
Um die flächendeckende Versorgung in den kommenden Jahrzehnten sicherstellen zu können, brauche es Versorgung vor Ort, gleichzeitig mehr Telepharmazie sowie auch hybride Versorgungsformen, so Doc-Morris-CEO Walter Hess zur PZ. / Foto: Doc Morris/ www.grund.photo
Apotheken vor Ort hätten an einigen Punkten durchaus Vorteile, so Hess zur PZ. »Monatelang hatten sie mit der EGK-Stecklösung ein Quasi-Monopol auf das E-Rezept. Sie bekommen für die Belieferung zu Hause eine Botendienstpauschale. Online-Apotheken bekommen keinen Zuschlag für die im Ergebnis gleichwertige Lieferung an die Haustür.« In beiden Fällen finde die pharmazeutische Beratung in der Regel vorher statt.
Um die flächendeckende Versorgung in den kommenden Jahrzehnten sicherstellen zu können, brauche es Versorgung vor Ort, gleichzeitig mehr Telepharmazie sowie auch hybride Versorgungsformen. Hess geht davon aus, dass dies auch von den Vor-Ort-Apotheken so eingeschätzt wird; immerhin hätten mittlerweile schon fast 3200 Vor-Ort-Apotheken in Deutschland eine Versandhandelserlaubnis. Hess betonte: »Feindbilder und Grabenkämpfe helfen da nicht.«
Den Reformplänen des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) kann Hess einiges abgewinnen, etwa sei positiv, dass das Apothekenhonorar ab 2027 dynamisiert werden soll. Gutes sieht Hess auch in puncto Telepharmazie. Deren Etablierung in der Regelversorgung sei positiv zu bewerten, allerdings sei das dem Gesetz zugrunde liegende Verständnis von Telepharmazie »zu eng«.
Warum es zum Beispiel die Telefonie ausschließe, erkläre sich ihm nicht. Schließlich sei diese »in jeder Apotheke eine gängige Form der Kommunikation mit dem Patienten«. Hess fragte: »Wenn Ärzte schon telemedizinische Betreuung aus dem Home office machen dürfen, warum sollte dieses Recht dann für Apotheker nicht auch dem Grunde nach gelten?« Aus seiner Sicht sollte die Definition der Telepharmazie deshalb »technologieoffen erweitert werden und synchrone wie asynchrone Kommunikation einschließen«.
Hess äußerte sich auch zu grundsätzlichen Rechtsfragen – namentlich zu den mittlerweile im SGB V verbotenen Rx-Boni. »Wir verhalten uns rechtskonform, denn wir gehen weiterhin davon aus, dass die Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 19. Oktober 2016 in der Rechtssache Parkinson Bestand hat«, so Hess.
Das EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung hatte 2016 den deutschen Apothekenmarkt erschüttert. Obwohl mehrere deutsche Gerichte die Rx-Boni des EU-Versenders Doc Morris für unzulässig erklärt hatten, stellten die Luxemburger Richter klar, dass der niederländische Versandkonzern nicht an die deutsche Preisbindung gebunden ist.
In der Folge baute Doc Morris seine Boni-Programme aus. Darauf wiederrum reagierte die 2020 Politik mit dem Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG), das es in- und ausländischen (Versand)-apotheken (wieder) verbot, GKV-Versicherten Rx-Boni anzubieten.
Um diese Regelung vor europarechtlichen Angriffen zu schützen, zog der Gesetzgeber das Boni-Verbot aus dem Arzneimittelgesetz ins Fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V) um. Damit ist der Streit aber noch nicht begraben; im Gegenteil: Für die EU-Versender ist ein Rx-Boni-Verbot nach dem EuGH-Urteil europarechtswidrig – ob es nun im SGB V steht oder im Arzneimittelgesetz.
Hierauf pochte Hess gegenüber der PZ. Vor dem Hintergrund der aktuellen Klage der Freien Apothekerschaft (FA) gegen das Bonusmodell von Shop Apotheke betonte der CEO, der EuGH sei der richtige Ort, um über die europarechtskonformen Bedingungen des Wettbewerbs im deutschen Apothekenmarkt zu entscheiden.
Rückenwind hatte die Apothekerseite ihrerseits durch ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) München bekommen, das im März 2024 entschied, die deutsche Arzneimittelpreisbindung verstoße nicht gegen EU-Recht – jetzt nicht und auch 2016 nicht, als der EuGH das folgenschwere Urteil fällte.
Der EuGH hatte 2016 für einen freien Preiswettbewerb plädiert. Dabei führte er zwar an, dass EU-Versender, die in Deutschland agieren, sich ansonsten nur schwer auf dem deutschen Markt behaupten könnten. Gleichzeitig mahnte er aber an, dass ihm zu wenige Argumente der klagenden Parteien für die Preisbindung vorlägen. Dass sich das OLG München später für eine genauere Auskunft der Bundesregierung in der Sachlage interessierte, gab den Kritikern des EuGH-Urteils Rückenwind; die Apothekerseite wertete das OLG-Urteil jetzt als »Etappensieg«.
Hess sagte der PZ, dass Doc Morris sowie Shop Apotheke am 6. Juli 2023 Beschwerde bei der EU-Kommission eingereicht hätten. Die Beschwerde richte sich gegen die im Rahmen VOASG verabschiedeten Rx-Preisregeln in Verbindung »mit der verzögerten und diskriminierenden E-Rezept-Einführung in Deutschland«.
Dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) laut Referentenentwurf zum Apotheken-Reformgesetz (ApoRG) PTA-Vertretung in Filialen vorsieht, in denen Approbierte nur noch stundenweise vor Ort sein müssen, hält Hess für unproblematisch. »Der Gesetzentwurf führt ja nicht zu Apotheken ohne Apotheker«, so seine Einschätzung. Für jede Betriebsstätte bleibe ein Apotheker verantwortlich, der auch eine gewisse Zeit vor Ort sein solle.
Grundsätzlich gehe der Reformentwurf aus seiner Sicht in die richtige Richtung, betonte Hess, etwa was den Bürokratieabbau und die Vereinfachung des Apothekenbetriebs angehe. »Flexiblere Öffnungszeiten, die einfache Gründung von Zweigapotheken oder weiter von der Hauptapotheke entfernten Filialen können zum Erhalt der flächendeckenden Versorgung ebenso beitragen wie etwas weniger strenge Auflagen zur physischen Anwesenheit des Apothekeninhabers.« Wie man höre, sähen das ja auch viele Apothekeninhaber in Deutschland positiv, meinte Hess, ohne darauf einzugehen, wen genau er dazu befragt hat.
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.