dm sieht OTC-Versand als »Sortimentserweiterung« |
Cornelia Dölger |
21.10.2025 19:00 Uhr |
Im dm-Dialogicum in Karlsruhe informierte die Geschäftsführung über Konzernbilanzen und neue Projekte. / © imago/Arnulf Hettrich
In Europa erzielte der Konzern nach eigenen Angaben einen Bruttoumsatz von 19,19 Milliarden Euro, ein Plus von gut 8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch in Deutschland stiegen die Zahlen auf 13,27 Milliarden Euro, das sind 6,5 Prozent mehr als zuvor. Damit wächst der Drogerieriese weiterhin, allerdings flacht die Umsatzkurve ab. Er könne eine durchweg positive Bilanz für das Geschäftsjahr 2024/2025 ziehen, betonte gleichwohl dm-Chef Werner bei einem Pressegespräch im dm-Dialogicum heute in Karlsruhe. Deutschland ist mit Abstand der größte Markt für den Drogisten, darüber hinaus ist er in 13 weiteren Ländern in Europa vertreten.
Auch die dm-Belegschaft wächst, inzwischen zähle man europaweit mehr als 90.000, davon in Deutschland mehr als 60.000 Beschäftigte in der »dm-Arbeitsgemeinschaft«. Die Zahl der Märkte in Deutschland liegt demnach bei mehr als 2000, die Verkaufsflächen wüchsen kontinuierlich. Mehr als 2,2 Millionen Kunden pro Tag besuchten die Stores inzwischen, so Werner. Das Unternehmen belege regelmäßig Spitzenplätze bei Kundenrankings.
Der Vorsitzende der dm-Geschäftsführung spannte einen weiten Bogen, um im Anschluss an die Geschäftszahlen die jüngsten Projekte des Konzerns zu skizzieren: Augen-, Haut- und Bluttests in ausgewählten Stores, für die dm mit Health-Tech-Unternehmen kooperiert, sowie der geplante OTC-Versand aus Tschechien. Es gebe heutzutage eine enorme Bereitschaft, sich selbst zu monitoren, so Werner. Gleichzeitig zeichne sich eine Gesundheitskrise ab, weil die Babyboomer-Generation allmählich in den Ruhestand gehe und sich dadurch der Fachkräftemangel verschärfe.
dm sieht hier also Bedarf und will sich nach eigenem Bekunden am »Auf- und Ausbau von Gesundheitskompetenz« beteiligen. Der OTC-Versand sei dabei »nur ein Baustein« in der Strategie, Kundinnen und Kunden »eigenverantwortliche präventive Maßnahmen niederschwellig zu erschwinglichen Preisen zugänglich zu machen«.
Mit den Vorstößen eckt der Konzern allerdings an. In den teils harschen Reaktionen von Fachverbänden sieht Werner seinerseits vor allem eine »Besitzstandswahrung«. Es sei doch offensichtlich, dass sich das System nicht mehr trage, warum sollten also neue Initiativen unterbunden werden, so der dm-Chef heute. Innovation sei doch stets das Abweichen von alten Pfaden.
Die Bundesrepublik stecke in einer Krise, das »alte Geschäftsmodell BRD ist an sein Ende gekommen«, so Werner. Ursachen gebe es einige. Unter anderem sorge das Wegbrechen alter Gewissheiten wie die wirtschaftliche Verbundenheit mit den USA für Unsicherheit. Dies wirke sich auch auf das Wohlbefinden der Menschen aus.
Neben »erstarrten Strukturen« nehme er zudem eine Ideologisierung der Diskurse wahr, abzulesen etwa an der mangelnden Nachfrage nach E-Mobilität, die politisch zuvor forciert wurde. Auch die »Bevormundung der Regulatorik« kritisierte Werner, ebenso wie einen schwindenden ökonomischen Sachverstand in der öffentlichen Diskussion.
Es brauche wieder mehr Experimentierbereitschaft in Deutschland, eine durch Digitalisierung gestärkte Produktivität sowie ein Entkommen aus besagten erstarrten Regeln. Werner empfahl etwa für Gesetze die »Sunset-Klausel«, also Auslaufklausel, die Gesetzen eine Art Verfallsdatum gebe, um sich an neue Bedingungen und Nachfragen anpassen zu können.
Dem Kundenwillen wolle man entsprechen, das stellte Werner als eine Unternehmensphilosophie heraus. Es gelte, das Sortiment stets anzupassen und zu optimieren. Die Idee der »dm-Apotheke« sei mithin aus einer solchen Überlegung einer »Sortimentskompetenz« entstanden, »die von Kindern unserer Zeit erwartet wird«.
Für diesen Herbst hatte dm den Start des OTC-Versands aus dem tschechischen Bor angekündigt. Zuletzt war zu hören, dass es bürokratische Schwierigkeiten vor Ort gibt. Es hakte angeblich an der Betriebserlaubnis. Dem widersprach Sebastian Bayer, dm-Geschäftsführer Marketing und Beschaffung. Bei der Umsetzung hake es »nirgends«. Bis Jahresende solle es mit dem Versand losgehen, so Bayer in Karlsruhe.
Derzeit gehe es um Zertifizierungen und Genehmigungen. Auch in Tschechien ist der Versandhandel nur durch öffentliche Apotheken erlaubt; Offizin und Logistik müssen am selben Standort sein, wenn auch nicht in denselben Räumlichkeiten. In Bor nahe der Grenze zu Bayern besitzt dm eine Logistikfläche von 60.000 Quadratmetern. Auf dem Gelände wurde eine Apotheke errichtet.
Bayer setzte hinzu, dass die geplante »dm-Apotheke« im Prinzip eine bloße »Sortimentserweiterung« sei. Für diese Erweiterung sei nun mal vorgeschrieben, eine Apotheke aufzubauen, die Kundschaft werde das neue Angebot aber nicht als Apotheke wahrnehmen. Perspektivisch sei im Übrigen nicht ausgeschlossen, dass dm für die neuen Angebote auch PTA einstelle.
Die aktuell pilotierten Gesundheitsdienstleistungen bekämen gute Resonanz, so Bayer. Derzeit würden die Angebote noch nicht stark beworben, sodass viele Kundinnen und Kunden geradezu überrascht seien, wenn sie diese in den Stores vorfänden. Aber sie würden spontan gut angenommen. dm habe sich eine Testphase von zunächst sechs Monaten gesetzt.
Auf den Launch der Angebote im August hatten mehrere Fachverbände mit scharfer Kritik reagiert. Dermatologen und Hautärzte zeigten sich skeptisch bis entsetzt und sahen die Patientensicherheit in Gefahr. Werner bemerkte heute dazu, man nehme die Kritik ernst, es sei aber wichtig zu schauen, aus welcher Motivation heraus der Gegenwind komme.
Dass es im Gesundheitswesen oftmals um die Wahrung der Strukturen gehe, habe man im Übrigen auch bemerkt, als Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) im September beim Apothekertag neue Aufgaben und Kompetenzen für Apothekerinnen und Apotheker skizzierte, unter anderem Arzneimittelabgabe ohne Rezept. Daraufhin brach ein Sturm der Entrüstung seitens der Ärzteschaft los – den Werner bezeichnend fand.